Deutschland: Schutzschirm für Journalisten
22. April 2021Lebensgefährlich wie in vielen anderen Regionen der Welt ist die Arbeit von Reportern, Reporterinnen und Kamerateams in Deutschland nicht, aber die feindselige Stimmung gegenüber Medien nimmt zu. Die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) registrierte in ihrem aktuellen Bericht zur Rangliste der Pressefreiheit mit 65 Attacken gegen Medienvertreter 2020 fünfmal so viele Übergriffe wie ein Jahr zuvor. "Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden gestoßen, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert", schreibt ROG.
Der häufigste Tatort waren Demonstrationen gegen die Corona-Politik. Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe ereigneten sich anlässlich solcher Proteste, an denen sich oft mehrere zehntausend Menschen beteiligten.
Die alarmierende Entwicklung hat dazu geführt, dass Deutschland auf der aktuellen ROG-Weltkarte der Pressefreiheit erstmals gelb eingefärbt ist. Diese Farbe steht für "zufriedenstellend". Vorher hatte es in dem seit 2013 erstellten Ranking immer ein weiß dargestelltes "gut" gegeben.
Damit die Lage der Pressfreiheit wieder besser und die Arbeit vor Ort sicherer wird, haben Mediengewerkschaften wie der Deutsche Journalistenverband (DJV) und Zivilorganisationen jetzt einen Schutzkodex präsentiert. Damit appellieren sie an die Verantwortung aller Beteiligten: Medien, Politik, Polizei. Eine wichtige Rolle soll die Vorsorge in Rundfunkhäusern und Verlagen einerseits sowie eine engere Absprache mit staatlichen Behörden anderseits spielen.
Nicht immer fühlen sich Journalisten von der Polizei geschützt
Konkret vorgeschlagen wird eine feste Ansprechperson in jedem Medienunternehmen, an die sich jene wenden können, die Opfer von Übergriffen oder Bedrohungen werden. Redaktionen sollen Reportern die Begleitung durch Sicherheitspersonal anbieten, wenn sie etwa zu Dreharbeiten auf Demonstrationen fahren. Aus Sicht des DJV-Vorsitzenden Frank Überall müssten bei der Gewaltbekämpfung alle Beteiligten an einem Strang ziehen: "Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Übergriffen helfen nicht weiter. Es geht um den Blick nach vorn im Interesse der Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen."
Nicht immer fühlen sich Demo-Reporter und Kamerateams von der Polizei ausreichend geschützt, wie zum Beispiel auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Kassel im März 2021, auf der unter anderem ein Fotograf attackiert wurde.
In der Politik scheint der "Weckruf", von dem Frank Überall spricht, gehört worden zu sein. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk seien von konstituierender Bedeutung für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft und die Grundwerte des Gemeinwesens, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. "Und wer die angreift, greift die Demokratie an." Solche Taten müssten deshalb auch "mit aller Härte und Konsequenz des Rechtsstaats" verfolgt werden.
Kritik an staatlichen Überwachungsplänen
Der Sprecher des Innenministeriums, Steve Alter, räumt Nachholbedarf ein: Das hohe Gut der freien Berichterstattung, auch und gerade im Rahmen von Demonstrationen, müsse noch stärker als bisher in den Blick genommen werden. "Deswegen werden in den Einsatzkonzepten entsprechende Vorkehrungen getroffen."Es sei aber auch klar, "dass es eine Form von gegenseitiger Abstimmung, eine Form von Kooperation mit der Polizei geben muss". Darunter versteht er, dass sich Journalisten "gegenseitig beraten und auf Hinweise der Polizei dann eventuell auch Rücksicht nehmen". Dann, so hofft der Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer, könnten Journalisten und Journalistinnen ihr eigenes Risiko minimieren, "ohne dass ihre Berichterstattung dadurch eingeschränkt wird".
Mehr Schutz für Medien erwarten Verbände und Organisationen aber auch außerhalb von mehr oder weniger gefährlichen Einsätzen wie auf Demonstrationen. So kritisiert der DJV-Vorsitzende Frank Überall die beabsichtigte Reform des Bundespolizeigesetzes, mit dem das Knacken verschlüsselter Kommunikation legalisiert werden soll. Die Kontrollmechanismen dieses gravierenden staatlichen Eingriffs seien nur unzureichend geregelt und wichtige Berufsgruppen wie Journalisten explizit nicht ausgeklammert. "Würde das Gesetz so verabschiedet, wäre das ein weiterer Hieb gegen die Pressefreiheit in Deutschland", warnt Überall.