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Politik

Mexiko: Gefährlichstes Land für Journalisten

Enrique Anarte
30. Dezember 2020

Mindestens acht Journalisten wurden laut einem Bericht von Reporter ohne Grenzen (ROG) 2020 in Mexiko ermordet. Experten kritisieren die Verantwortung der Behörden im Zusammenhang mit der Gewalt gegen Journalisten.

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Symbolbild I Mexiko I Mord an Journalisten
Bestickte Schals als Zeichen der Trauer um in Mexiko ermordete Journalisten (Archiv)Bild: Raúl Méndez/Demotix/picture alliance

Pablo Morrugares hat es nicht geholfen, in einem staatlichen Schutzprogramm für bedrohte Journalisten zu sein. Der Journalist wurde zusammen mit seinem Leibwächter am 2. August dieses Jahres in einer Bar in Iguala, im mexikanischen Bundesstaat Guerrero, erschossen. Morrugares, der 2016 das Nachrichtenportal "PM Noticias" gegründet hatte, war für seine lokale Berichterstattung über das organisierte Verbrechen bekannt.

Der Mord an diesem Journalisten ist keine Ausnahme. Mexiko ist laut einem am Dienstag (29.12.2020) veröffentlichten Bericht der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) das Land mit den meisten ermordeten Journalisten weltweit. Mit acht Todesopfern behauptet sich Mexiko als gefährlichstes Land der Welt für diese Berufsgruppe, gefolgt von Indien, Pakistan, den Philippinen und Honduras.

Journalismus unter Lebensgefahr

Die gesamte Welt ging aufgrund der Coronavirus-Pandemie in einen Lockdown, aber in Mexiko gingen die Angriffe gegen die Presse weiter. "Diese Verbrecher ruhen nicht", sagt Balbina Flores, Repräsentantin von ROG in Mexiko, gegenüber der DW. Zählt man die fast 40 Berichterstatter hinzu, die in Mexiko an COVID-19 gestorben sind, so Flores weiter, hat der Berufsstand in einem Jahr wie diesem wenig zu feiern.

Morde an Journalisten bleiben oft straflos

Diese düstere Realität ist jedoch bei weitem nicht neu. In den letzten fünf Jahren wurden in Mexiko nach Angaben von ROG durchschnittlich acht bis zehn Journalisten pro Jahr getötet.

"Die Straflosigkeit für Morde an Journalisten in Mexiko ist der Hauptfaktor", erklärt Flores. Sie unterstreicht, dass "die Täter weitermachen werden, solange diese Straflosigkeit fortbesteht". Die überwiegende Mehrheit der Angriffe gegen die Presse wird nie aufgeklärt. Die NGO "Artículo 19" widmet sich der detaillierten Erfassung dieses Problems und bekräftigt, dass 99,13 Prozent der Fälle straffrei ausgehen. Gerechtigkeit ist hier eine sehr seltene Ausnahme.

Symbolbild I Mexiko I Mord an Journalisten I Gregorio Jimenez
Trauer um den mexikanischen Journalisten Gregorio Jimenez (Archivbild)Bild: Raúl Méndez/Demotix/picture alliance

Paula Saucedo, Beauftragte für Gefahrenabwehr von "Artículo 19", einer NGO die weltweit die Pressefreiheit verteidigt, erläutert in einem Interview mit DW die Gründe für diese Straflosigkeit: "Die meisten (nicht-tödlichen) Angriffe gegen die Presse kommen von Staatsbediensteten." Sie führt weiter aus: "Wenn man das auswertet und den Bezug zur Straflosigkeit herstellt, ist es verständlich, warum die Fälle nicht untersucht oder aufgeklärt werden."

Die Existenz anderer faktischer Mächte im Land, wie das organisierte Verbrechen oder privatwirtschaftliche Interessen, erklärt, laut Saucedo, das Ausmaß der Gewalt gegen die Presse in Mexiko. "Der Journalismus stellt ein Gegengewicht zur Regierung dar, weshalb er viel mehr Attacken ausgesetzt ist – abhängig von den Bereichen über die berichtet wird."

Was Mexikos Journalisten riskieren

Die beiden befragten Expertinnen sind sich darin einig, dass Journalisten, die sich mit Gewaltverbrechen, organisierter Kriminalität, Landrecht, politischer Korruption oder Menschenrechten beschäftigen, am meisten gefährdet sind, vor allem auf lokaler Ebene, wo sie ein leichtes Ziel für kriminelle Banden oder Staatsbeamte sind. In den sogenannten "Zonen des Schweigens", wie zum Beispiel im mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas, gibt es sogar eine Selbstzensur der Presse.

Jan-Albert Hootsen, Repräsentant des "Komitees zum Schutz von Journalisten" (englische Abkürzung: CPJ) in Mexiko, erklärt gegenüber der DW, dass die prekäre wirtschaftliche Situation, in der Reporter arbeiten, dazu beiträgt, dass sie dieser Gewalt ausgesetzt sind.

Die Rolle der Regierung

"Der Präsident hat offene Feindseligkeit gegenüber unabhängigen Medien bekundet, die ihm kritisch gegenüberstehen, wie "Proceso" oder "Reforma", und neigt dazu, mit dem Finger auf Journalisten oder Medien zu zeigen", unterstreicht Hootsen. Sogar die New York Times hat sich den Unmut des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador zugezogen, der so weit ging, der Zeitung "Mangel an Professionalität und fehlende Ethik" vorzuwerfen.

Obwohl Hootsen nicht glaubt, dass dies in direktem Zusammenhang mit den Journalistenmorden in Mexiko steht, weist er darauf hin, dass der Präsident seine anfänglichen Versprechen, die Pressefreiheit zu verteidigen, nicht eingehalten hat, indem er die Ausgaben für den Schutz bedrohter Journalisten nicht erhöhte und kritische Medien attackierte.

"Wir vermissen ein größeres Engagement der Regierung zum Schutz von Journalisten", beklagt Balbina Flores. Nur zwei der acht in diesem Jahr ermordeten Journalisten standen laut Angaben von ROG unter dem Schutz des Innenministeriums. Für Flores "ist das inakzeptabel”.

Auftraggeber werden nicht belangt

Trotz der geringen Anzahl von Schuldsprüchen für die Ermordung von Reportern in Mexiko, endeten in diesem Jahr zwei hochkarätige Fälle mit Verurteilungen, darunter die 50-jährige Haftstrafe für den Mord an der Investigativ-Journalistin Miroslava Breach Velducea im Jahr 2017. Doch das "Komitee zum Schutz von Journalisten" warnt, dass es sich bei den Verurteilten in beiden Fällen um Auftragsmörder handelte. Diejenigen, die befohlen haben, diese Journalisten zum Schweigen zu bringen, werden immer noch durch Straffreiheit geschützt.

Hootsen, ebenfalls Reporter, kritisiert daher, dass "mexikanische Staatsanwälte und der Polizeiapparat Verbrechen gegen Journalisten nicht so untersuchen, wie sie sollten und dass sie Reportern und deren Familien nicht die Unterstützung und Hilfe zuteilwerden lassen, die wir in einer Demokratie idealerweise sehen sollten." Für Saucedo hat das Land "Mexiko das perfekte System für Gewalt gegen Journalisten". Mexikos neue Normalität ist genauso wie die alte mit dem Blut von Journalisten befleckt.

Adaption: Angela Hampl-Hernández

Journalisten leben gefährlich: Gespräch mit Christian Mihr (ROG)