Eines vorweg: Weltweit sterben jedes Jahr Journalistinnen, Fotografen, Kameraleute, Producer während der Arbeit. Sie riskieren und verlieren ihr Leben, wenn sie für uns alle aus Krisen- und Kriegsgebieten berichten. Allein in der Ukraine sind seit Beginn der russischen Invasion nach Erkenntnissen von Reporter ohne Grenzen (ROG) mindestens sieben tote Presseleute zu beklagen.
Ihnen und den vielen Inhaftierten sind wir zu großem Dank verpflichtet. An sie zu erinnern, ihren selbstlosen Einsatz zu würdigen, ist der tiefere Sinn des am 3. Mai begangenen internationalen Tages der Pressefreiheit. Auch die Deutsche Welle fühlt sich dazu verpflichtet und ehrt mutige Kolleginnen und Kollegen mit dem DW Freedom of Speech Award.
Das Feindbild hat einen Namen: "Lügenpresse"
Vor diesem Hintergrund mutet es fast schon ein wenig obszön an, den Blick auf die Sorgen und Nöte hierzulande arbeitender Journalisten zu richten. Und doch ist es leider nötig, weil sich die Arbeits- und gesetzlichen Rahmenbedingungen weiter verschlechtert haben. Deshalb ist Deutschland in der ROG-Rangliste der Pressefreiheit seit 2020 von Platz elf zunächst auf 13 und jetzt auf Position 16 abgerutscht. Die Lage insgesamt wird zum zweiten Mal nacheinander nur noch als "zufriedenstellend" eingeschätzt, zuvor galt sie stets als "gut".
Verursacht haben diesen Abwärtstrend Menschen, denen man einerseits böse Absichten unterstellen muss und andererseits gute Absichten unterstellen darf. Gemeint sind gewissenlose Leute, die auf Demonstrationen ihr Feindbild von der angeblichen "Lügenpresse" pflegen. Gemeint sind aber auch politisch Verantwortliche, die mit maßlosen Sicherheitsgesetzen Medien ein Korsett anlegen, das ihnen bildlich gesprochen schlimmstenfalls die Luft zum Atmen nimmt.
Vorbildlich: Schutzkodex für gefährdete Journalisten
Zur ersten Gruppe zählen diejenigen, die bei aller berechtigten Kritik im Einzelfall ganz grundsätzlich glauben, deutsche Zeitungen, Radio- und TV-Sender steckten einschließlich ihrer Online-Angebote unter einer Decke mit der Politik. Seit Beginn der Corona-Pandemie entlädt sich deren verquerer Frust immer häufiger gegenüber Journalisten, die auf Demonstrationen beschimpft, bespuckt, getreten werden. Dagegen hilft vor allem eins: hart durchgreifen mit den Mitteln des Rechtsstaats, den die selbsternannten Wutbürger so sehr verachten.
Angriffe auf jene, die mit ihrer Arbeit den hohen Wert der Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Wort, Bild und Ton dokumentieren, sind Angriffe auf die Demokratie. Und die nimmt schon Schaden, wenn sich eingeschüchterte Reporterinnen und TV-Teams nicht mehr trauen, ihren Beruf auf Demonstrationen auszuüben. Gut, dass Mediengewerkschaften und Zivilorganisationen schon 2021 einen Schutzkodex vereinbart haben. Wie nötig der ist, zeigt die im Jahresvergleich von 65 auf 80 gestiegene Zahl registrierter Übergriffe auf Journalisten.
"Querdenker" und "Staatstrojaner" - beide sind gefährlich
Während Gewalt vor allem bei den Corona-Protesten selbsternannter "Querdenker" unübersehbar ist, lauern staatliche Gefahren für die Pressefreiheit im Verborgenen. Sie schlummern in nie dagewesenen Befugnissen für Geheimdienste, die in neuen Gesetzen für den Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verankert wurden.
So darf seit 2021 der sogenannte Staatstrojaner, auch Bundestrojaner genannt, sein Unwesen treiben. Dahinter verbirgt sich eine Software, die heimlich auf Computern und Smartphones installiert werden kann, um die Kommunikation live mitzuschneiden oder gespeicherte Informationen zu durchforsten. Zur Beruhigung verweisen die politisch Verantwortlichen gerne darauf, solche tief in die Privatsphäre eingreifenden Überwachungsmethoden seien nur mit Einverständnis eines Gerichts erlaubt.
In jeder Hinsicht riskant: investigative Recherchen
Doch davon sollte sich niemand blenden lassen. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen tun deshalb das einzig Richtige: Sie wehren sich juristisch dagegen. Das Argument der potenziell Betroffenen, vor allem investigativ arbeitenden Journalistinnen und Journalisten, ist unwiderlegbar: Ihre Kommunikation könnte ins Visier von Geheimdiensten geraten, wenn sie im Rahmen ihrer Recherchen mit Personen zu tun haben, die aktiv überwacht werden. Denkbare Fälle: Kontakte zu mutmaßlichen Terroristen, Drogendealern, Schleusern, Wirtschaftskriminellen.
Der Staatstrojaner ist aber nur ein Beispiel aus einer ganzen Reihe von staatlichen Befugnissen, die der Pressefreiheit im Wege stehen. Die Politik wäre gut beraten, ihre Gesetze freiwillig nachzubessern. Sonst sorgt spätestens das Bundesverfassungsgericht dafür, wie im Fall der anlasslosen Massenüberwachung durch den BND und im April 2022 beim bayrischen Verfassungsschutzgesetz. Zum Glück kann man sich in Deutschland auf die Gewaltenteilung verlassen.
Zielmarke 2023: ein Top Ten-Platz bei der Pressefreiheit
Besser noch wäre es, wenn Journalisten erst gar nicht gegen überzogene Sicherheitsgesetze klagen müssten. Wie das geht, lässt sich an den skandinavischen Ländern Norwegen, Dänemark und Schweden studieren. Dieses Trio belegt in der Rangliste der Pressefreiheit aufgrund seiner gegenüber Medien vertrauensvollen und transparenten Politik traditionell die ersten Plätze. Deutschland hingegen dürfte sich schon freuen, wenn es nach Jahren des Abstiegs 2023 wenigstens in die Top Ten zurückkehren und die Lage insgesamt wieder als "gut" bezeichnet werden sollte.