Netzpolitik-Blogger ohne Akteneinsicht
10. August 2015Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!
Das Ermittlungen gegen sie sind eingestellt, doch die Affäre um den angeblichen Landesverrat ist für die Blogger von Netzpolitik.org noch nicht beendet: "Wir wollen konkret wissen, ob wir im Rahmen der fast dreimonatigen Ermittlungen Opfer von Überwachungsmaßnahmen geworden sind", forderte Chefredakteur Markus Beckedahl am Morgen in einem Blogeintrag. Sollten die Journalisten Zweifel haben, ob es möglicherweise Überwachungsmaßnahmen bei Netzpolitik.org gegeben haben könnte, könnten sie ja Akteneinsicht nehmen, hieß es dazu aus dem Justizministerium.
Doch so einfach ist es offenbar nicht. Ist ein Verfahren eingestellt, erlaubt Paragraph 147 der Strafprozessordnung den Verteidigern der zuvor Beschuldigten die Einsicht in die Ermittlungsakte. Den Bloggern werde dies jedoch verweigert schreibt Chef-Redakteur Markus Beckedahl in einem Update seines Blog-Eintrags vom Montagmorgen.
Ob der Generalbundesanwalt die Akteneinsicht tatsächlich verweigert oder die Entscheidung darüber nur aufgeschoben hat, ist derzeit unklar. Eine Stellungnahme der Behörde auf Nachfrage der DW steht bisher aus.
"Sollte eine Entscheidung vorliegen, die Akteneinsicht zu verweigern wäre das evident rechtswidrig", sagt der Kölner Strafrechtsexperte Nikolaos Gazeas. "Das Recht auf Akteneinsicht ist eines der zentralsten und wichtigsten Rechte eines Beschuldigten."
Laut Beckedahl habe man seine Anwälte die Akten nicht einsehen lassen, weil sie "eingestufte Dokumente" enthielte. Dokumente also, die einer bestimmten Geheimhaltungsstufe unterliegen. "Wahrscheinlich handelt es sich um die Gutachten des Verfassungsschutzes, die erst den Generalbundesanwalt motiviert haben sollen, die Ermittlungen aufzunehmen", vermutet Beckedahl auf Netzpolitik.org.
Einwände juristisch zweifelhaft
Das jedoch sei kein hinreichender Grund, die Akteneinsicht zu verweigern: "Die Beschuldigtenrechte gehen der Geheimhaltung vor", stellt Strafrechtler Gazeas klar. Es sei "einhellige Rechtsprechung", dass Geheimhaltungsinteressen des Verfassungsschutzes und Vertraulichkeitsbitten unerheblich sind.
Zwar besteht die Möglichkeit Teile einer Ermittlungsakte von der Akteneinsicht auszunehmen, wenn sein Inhalt "dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde", wie es im betreffenden Paragraphen heißt. Dafür, so Gazeas, müsse der Verfasser eine Sperrerklärung bei der vorgesetzten Dienstbehörde erwirken. Im Falle des fraglichen Gutachtens müsste sich der Bundesverfassungsschutz also an das Bundesinnenministerium wenden.
Mögliche Konsequenzen für Bundesanwaltschaft
Gegen solch eine Sperrerklärung könnten die Blogger wiederum gerichtlich vorgehen. Da sie aber nach Kenntnis der Redaktion bisher nicht vorliege, sei es rechtlich unzulässig, zum jetzigen Zeitpunkt die Akteneinsicht unter bloßen Hinweis auf die Vertraulichkeit des Gutachtens insgesamt zu verweigern.
"Sollte eine solche Entscheidung beim Generalbundesanwalt getroffen worden sein, ist diese nicht nachvollziehbar", so Gazeas in einer ersten Einschätzung der Situation. Mehr noch: Die beiden Blogger könnten sogar eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen den Generalbundesanwalt einreichen. Der würde Strafrechtler Gazeas "sehr gute Erfolgsaussichten" einräumen.
Die Ermittlungen des Vorwurfs wegen Landesverrats, eines der schwersten Vergehen im deutschen Strafrecht, gegen die beiden Journalisten von Netzpolitik.org hatte massive Kritik an Verfassungsschutz, Justizministerium und dem inzwischen entlassenen Generalbundesanwalt Harald Range ausgelöst. Die Ermittlungen werden von vielen als Angriff auf die Pressefreiheit interpretiert.
Weitere Aufklärung steht aus
Wer dabei allerdings welche Rolle spielte, ist bisher vollkommen unklar. Genau das wollen die beiden Journalisten aber herausfinden: "Wir fordern lückenlose Akteneinsicht", sagt Beckedahl, "Ohne diese ist für uns das Verfahren noch nicht wirklich beendet."
Beendet ist aus Sicht des Generalbundesanwalts bisher ohnehin nur das Verfahren wegen Landesverrats. Die Ermittlungen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen laufen ohnehin weiter. Auch hierbei gelten Beckedahl und Meister zumindest als Zeugen.
Die Journalisten hatten in ihrem Blog Netzpolitik.org interne Informationen des Verfassungsschutzes veröffentlich, demzufolge die Behörde die Überwachung des Internets deutlich ausweiten will.