Menschenrechte zum Nulltarif?
9. Dezember 2016Als Zeid Ra'ad al Hussein im September 2014 in Genf sein Amt als Hochkommissar für Menschenrechte antrat, rief er seinen Kollegen Antonio Guterres an, den damaligen Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, und stellte sich als "der kleine Hochkommissar" vor. Eine freundliche Untertreibung, immerhin verfügt das UN Menschenrechtskommissariat bei einem Jahresbudget von 300 Millionen US Dollar (282 Millionen Euro) über 1000 Mitarbeiter und Außenstellen in 62 Ländern.
Doch im Vergleich zum 7-Milliarden-Dollar Haushalt des UN Flüchtlingshilfswerk ist das tatsächlich nicht viel. Und viele Experten sind sich einig: das Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf ist viel zu klein, gemessen an seinen Aufgaben. Hochkommissar Zeid möchte das ändern und der neue Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, soll ihm dabei helfen.
Vom Diplomaten zum Menschenrechts-Champion
Mit seinem Hintergrund als Diplomat und langjähriger Botschafter Jordaniens bei den Vereinten Nationen in New York schien Prinz Zeid Ra'ad al Hussein aus dem haschemitischen Königshaus anfangs nicht prädestiniert für einen Posten, der die lautstarke Einmischung in die inneren Angelegenheiten von souveränen Staaten verlangt.
Doch in seinen zwei Jahren als Hochkommissar hat er unter Beweis gestellt, dass er im Namen der Menschenrechte sehr deutliche Worte finden und klar Stellung beziehen kann.
"Es war kein natürlicher Wandel", räumt der freundliche 52jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle ein. Seine Amtsvorgängerin, die südafrikanische Richterin Navi Pillay, habe ihn beim Übergang vom Diplomaten zum Menschenrechts-Champion gut beraten: "Sie hat mir einen Ratschlag mit auf den Weg gegeben: Ich solle kein einziges Land benachteiligen oder bevorzugen. Der schlimmste Fehler, den ich machen könne, sei Angst zu haben, besonders die großen Länder zu kritisieren".
Klartext in Den Haag
Bei der Einweihung der "Stiftung für Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit" in Den Haag im September erklärte Zeid sein professionelles Selbstverständnis: "Ich bin die globale Stimme der Menschenrechte, der universalen Rechte; gewählt von allen Regierungen und heute der Kritiker fast aller Regierungen. Ich verteidige und fördere die Menschenrechte jedes Individuums überall auf der Welt".
In seiner Rede warnte er vor fremdenfeindlichen Demagogen und Populisten und ihrer Propaganda. Und - für die UNO ungewöhnlich – er nannte Namen und kritisierte nicht nur den holländischen Islam-Hasser Geert Wilders, sondern auch Donald Trump, Victor Orban, Marine Le Pen, Nigel Farage und andere scharf.
Auch in der UN-Generalversammlung hat Zeid Populisten ins Visier genommen.
"Die Verteidiger dessen, was gut und richtig ist, werden derzeit in allzu vielen Ländern von rassenhetzerischen Eiferern überflügelt, die an die Macht kommen oder sie behalten wollen, indem sie Vorurteile und Täuschungen auf Kosten der Schwächsten ins Spiel bringen."
Solche deutlichen Worte kommen nicht überall gut an. Der russische UN Botschafter Vitaly Churkin etwa beschwerte sich bei UN Generalsekretär Ban Ki Moon, dass der Hochkommissar mit seiner Kritik an Staatsoberhäuptern zu weit gehe.
Menschenrechtsorganisationen hingegen loben Zeids furchtloses Auftreten. "Natürlich gibt es Staaten, die nicht von der Internationalen Gemeinschaft und einem unabhängigen Repräsentanten der UN wie dem Hochkommissars für Menschenrechte unter die Lupe genommen werden wollen", so John Fisher, Direktor des Genfer Büros der Organisation Human Rights Watch. Aber genau das sei eine Kernaufgabe des Amts, und Zeid erfülle sie außergewöhnlich gut.
"Setz dich für die Rechte eines anderen ein!"
Zum diesjährigen Tag der Menschenrechte ruft das Hochkommissariat in einer Kampagne jeden dazu auf, sich für die Rechte einer anderen Person einzusetzen. "Wenn du dich für die Rechte der anderen einsetzt", so Zeid, "setzt du dich letztendlich auch für deine eigenen Rechte ein, für die universellen Rechte."
Die Vorstellung, dass die Menschenrechte für alle gültig sind, wird nicht nur durch diktatorische Regime, fremdenfeindliche Nationalisten und religiöse Eiferer in Frage gestellt. Auch der Mangel an finanzieller Unterstützung im Rahmen der Vereinten Nationen erschwert die Arbeit für Menschenrechte.
Laut UN-Charta stellen die Menschenrechte neben Frieden und Entwicklung einen der drei Grundpfeiler der Vereinten Nationen dar. Doch lediglich 3,5% des aktuellen UN-Budgets gehen an das Hochkommissariat in Genf.
Das entspricht etwa 40% des Finanzbedarfs. Der Rest wird durch freiwillige Beiträge der Staaten gedeckt. In der Praxis sind es etwa ein Dutzend Länder, darunter Deutschland, die die Arbeit des Hochkommissariats finanzieren. 134 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten zahlen nicht einmal einen symbolischen Beitrag.
"Wir möchten, dass alle Regierungen einen Beitrag zum UN-Menschenrechtsbüro leisten", erklärt Laurent Sauveur, der als Chef der Außenbeziehungen im Hochkommissariat für Menschenrechte auch für das Fundraising zuständig ist. "Wir sind überzeugt, dass die Menschenrechte als universelles Prinzip auch universelle Unterstützung von Seiten der Mitgliedsstaaten in Form von freiwilligen Beiträgen brauchen."
Verbesserungspotential bei den Vereinten Nationen
Das Hochkommissariat dient als Sekretariat für den Menschenrechtsrat, es unterstützt Sonderberichterstatter, unabhängige Experten und Untersuchungsausschüsse, beherbergt Kommissionen, die die Einhaltung der Menschenrechtskonventionen überwachen und betreibt darüber hinaus in zahlreichen Ländern Außenstellen.
"Was das Büro und der Hochkommissar mit den wenigen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, auf die Beine stellen, grenzt an einer Wunder", erklärt John Fisher von Human Rights Watch. Und ständig kämen neue Aufgaben hinzu. "Bei jeder seiner Sitzungen beschließt der Menschenrechtsrat neue Mechanismen ins Leben zu rufen, etwa um Menschenrechtsverletzungen in Burundi zu untersuchen, die Rechenschaftspflicht in Nordkorea voranzubringen, eine Untersuchung der Lage in Aleppo zu fordern oder Probleme von LGBT-Gemeinden zu überprüfen."
Hochkommissar Zeid würde die Arbeit des UN-Menschenrechtkommissariats gerne noch effektiver machen.
"Idealerweise hätten wir gern ein Büro in jedem Land der Welt. Damit wären wir in der Lage, schnell Leute zu entsenden und hätten bei Bedarf auch das Geld dafür, um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in allen Teilen der Welt zu untersuchen."
Im Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen, das macht Zeid klar, steckt noch ein beträchtliches Verbesserungspotential.
Das Schwierigste an seiner Aufgabe sei, trotz aller Anstrengungen nicht genug erreichen zu können, sagt Zeid, der sich regelmäßig Zeit nimmt, mit Flüchtlingen - zum Beispiel aus Syrien - zu sprechen.
"Manchmal ist es schwer, wenn so viele Menschen in vielen Ländern hoffen, dass wir ihnen helfen. Und obwohl man alles tut, was einem möglich ist kann, ist das manchmal einfach nicht genug."