Pufferzonen als Schutz vor Abtreibungsgegnern
24. Oktober 2022Am 20. Januar ist wieder soweit: Dann werden sich Hunderttausende Abtreibungsgegnerinnen und -gegner in Washington D.C. versammeln, um gegen die, wie sie es nennen, "bedeutendste Menschenrechtsverletzung unserer Zeit" zu protestieren. Dabei hatten sie zuletzt wenig zu beklagen: Das seit 1973 in den USA landesweit verbriefte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche wurde in diesem Jahr vom Supreme Court kassiert, einige konservativ regierte US-Bundesstaaten haben danach Abtreibungen massiv eingeschränkt.
Pro-Life-Bewegung: Aus den USA in die Welt
Der alljährliche "March for Life" ("Marsch für das Leben") in der US-Hauptstadt ist dabei nur die größte und bekannteste von vielen Protestveranstaltungen der selbsternannten Lebensschützer - in den USA und mittlerweile in vielen anderen Ländern. Zahlreiche Gruppen, die in den Vereinigten Staaten gegründet wurden, haben inzwischen Ableger in Europa, Afrika und Asien.
Eine der größten Organisationen ist die christliche "40 Days For Life", lokale Gruppen gibt es mittlerweile auf allen Kontinenten. Abgesehen von Demonstrationen liegt der Fokus der Lebensrechtsbewegung vor allem darauf, sich vor Beratungszentren, Arztpraxen und Abtreibungskliniken zu positionieren, Frauen anzusprechen und im besten Fall umzustimmen.
Rachael Clarke arbeitet für den "British Pregnancy Advisory Service" (BPAS), Großbritanniens größten Anbieter staatlich finanzierter Abtreibungsbetreuung. Sie kennt die Methoden der Abtreibungsgegner: "Meist sind es nur relativ wenige Leute, zwischen drei und acht, die sich vor eine Klinik stellen. Sie haben oft Schilder dabei, mit Bildern von Föten darauf, mal drastisch, mal eher religiös. Sie geben den Frauen Flugblätter mit falschen medizinischen Informationen, haben Rosenkranzperlen dabei, manchmal in rosa und blau. Sie nennen die Frauen vielleicht 'Mama' und folgen ihnen auf der Straße."
Von Abtreibungsgegnern verunsichert und eingeschüchtert
Laut Clarke gab es, seit sie 2017 anfing, für die Wohltätigkeitsorganisation zu arbeiten, keine einzige Woche, in der sie nicht von Managern von BPAS-Kliniken gefragt wurde: "Hier stehen Leute und belästigen Frauen, können Sie mir sagen, was ich tun soll?" Das sei wirklich ein großes Problem.
Und das nicht nur in Großbritannien. Auch etwa in Deutschland beklagt die Bundesärztekammer zunehmenden Druck militanter Abtreibungsgegner - und sieht darin auch einen Grund, warum immer weniger Mediziner hierzulande bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Die Auswirkungen, die es auf Frauen haben kann, die abtreiben wollen, wenn sie von den sogenannten Lebensschützern behelligt werden, können extrem sein. Denn das Stigma ist ohnehin schon groß, sie befinden sich bereits in einer belastenden Situation. Clarke berichtet, viele Schwangere fühlten sich verurteilt, verunsichert, gar eingeschüchtert.
BPAS setzt sich deshalb seit Jahren für Schutzzonen vor Abtreibungskliniken ein, in denen sich Abtreibungsgegner dann nicht mehr positionieren dürfen. Für England und Wales wurde dies nun am 18. Oktober vom britischen Unterhaus mit großer Mehrheit beschlossen. Der von einer parteiübergreifenden Gruppe eingebrachte Antrag muss zwar noch durchs Oberhaus, aber auch dort wird mit einer klaren Zustimmung gerechnet. Die Pufferzonen sollen einen Radius von 150 Metern haben, bei Verstößen drohen Strafen. In mehreren Städten gab es schon entsprechende Pilotprojekte, auch in Schottland sind derartige Zonen in Planung.
Spanien: Gefängnisstrafe bis zu zwölf Monaten
In einigen US-Bundesstaaten und -Städten, in Kanada und in Australien existieren solche Regelungen schon länger. In Europa dagegen steht Großbritannien mit dem Pufferzonen-Konzept eher alleine da. Mit Ausnahme Spaniens, wo es zwar keine festgelegten Zonen gibt, jedoch seit April 2022 ein Gesetz, das die Versammlungen vor Abtreibungskliniken de facto kriminalisiert. Darin heißt es: Jeder, der versuche, eine Frau durch "belästigende, beleidigende, einschüchternde oder bedrohende Handlungen" daran zu hindern, ihr Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch wahrzunehmen, werde mit einer Gefängnisstrafe von drei bis zwölf Monaten oder gemeinnütziger Arbeit bestraft.
Denn auch in Spanien ist der zunehmende Pro-Life-Aktivismus zu einer Belastung geworden für diejenigen, die sich über eine Abtreibung beraten lassen oder eine durchführen wollen, sowie auch für Ärzte und Klinikpersonal. Laut einer Befragung des spanischen Verbands von Abtreibungskliniken (ACAI) von 2018 wurden 89 Prozent der Frauen, die ihre Schwangerschaft beenden wollten, von Abtreibungsgegnern unter Druck gesetzt.
Auch in Südafrika - das insgesamt ein sehr liberales Abtreibungsgesetz hat, gerade im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten - ist es strafbar, eine legale Abtreibung zu verhindern oder den Zugang zu einer Abtreibungseinrichtung zu behindern.
Telemedizin als Perspektive für die Zukunft?
Viele Aktivistinnen und Aktivisten der Pro-Life-Bewegung sehen sich durch Pufferzonen und die Kriminalisierung ihrer Aktionen in ihrem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Doch es gehe nicht darum, sie grundsätzlich daran zu hindern, sich zu äußern, so Rachael Clarke vom BPAS: "Aber die unmittelbare Umgebung einer Klinik ist eben nicht der richtige Ort dafür." Denn das störe auf der anderen Seite den Anspruch von Frauen auf Privatsphäre und Vertraulichkeit, wenn sie Hilfe rund um einen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch nehmen.
Weitere Möglichkeiten, bei einem Schwangerschaftsabbruch mehr Privatsphäre und Schutz zu gewährleisten, kann die Telemedizin bieten. In Großbritannien etwa können Schwangere seit Beginn der Corona-Pandemie eine Telefon- oder Videokonsultation durchführen und bis zur zehnten Woche ihre Abtreibungsmedikamente zu Hause einnehmen. "Gerade für Frauen, für die die Privatsphäre sehr wichtig ist oder für die es schwierig ist, in die Klinik zu kommen, weil diese weit weg ist, sie nicht Auto fahren können oder es zeitlich nicht schaffen, ist das ein wirklich positiver Schritt", findet Clarke.
Großbritannien ist da aber eine große Ausnahme: In vielen anderen Ländern ist diese Art des heimischen Schwangerschaftsabbruchs mithilfe von Medikamenten komplett verboten oder nur in wenigen Ausnahmen erlaubt.