Abtreibungen: Wird Afrika wirklich liberaler?
16. Juli 2022Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, das landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu kippen, ist das Thema Abtreibungsrecht weltweit wieder auf der Agenda, auch auf dem afrikanischen Kontinent.
Fünf Tage nach der US-Entscheidung meldete sich der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Ghebreyesus, zu Wort: Das Urteil in den USA sei ein Rückschlag gewesen - doch zugleich sei das Recht auf Abtreibung in den vergangenen 40 Jahren in vielen Regionen der Welt gestärkt worden. Und es sei wichtiger denn je, dieses Recht zu schützen: "Alle Frauen sollten das Recht haben, selbst über ihren Körper zu bestimmen. Punkt." Der WHO-Chef bezeichnete sichere Abtreibung als Gesundheitsfürsorge: "Sie rettet Leben. Einschränkungen dieses Rechts treiben Frauen und Mädchen zu unsicheren Abtreibungen, was zu Komplikationen führt, oder sogar zum Tod", so Tedros.
Die von der WHO definierten rechtlichen und medizinischen Standards, die auf einen besseren Zugang zu sicherer Abtreibung zielen, werden von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, die in Afrika tätig sind, unterstützt. Eine der auf dem Gebiet des Abtreibungsrechts aktivsten Organisationen ist das in New York ansässige Center for Reproductive Rights (CRR), das sich zum Ziel gesetzt hat, reproduktive Rechte wie Abtreibung voranzutreiben. Das CRR wirkt beratend auf Gesetzgeber in Afrika ein und unterstützt Frauenorganisationen und Familien in Afrika mit Geld, Know-how, Rechtschutz und Rechtsberatung. Das erklärte Ziel dieser und ähnlicher Organisationen: Gerade in den ärmeren, bevölkerungsreichsten Ländern Afrikas sollen Frauen einen leichten und legalen Zugang zu sicheren Abtreibungen bekommen.
Liberalisierung in Benin
Eine Arbeit, die in vielen Ländern Afrikas zunehmend die gewünschten Effekte und Ergebnisse bringt: zum Beispiel in Benin. Dort hat das Parlament, nach langen und kontroversen Auseinandersetzungen, 2021 viele bis dahin geltende Einschränkungen des Rechts der Frauen auf Schwangerschaftsabbruch aufgehoben. Bis zum vergangenen Jahr waren in Benin Abtreibungen nur erlaubt, wenn das Leben der werdenden Mutter in Gefahr war oder wenn die Schwangerschaft aus Vergewaltigung oder Inzest resultierte.
Benin reihte sich damit in die Liste der Länder Afrikas ein, die Frauen unter gewissen Bedingungen die Möglichkeit einräumen, Abtreibungen legal und sicher vorzunehmen. Eine ähnlich liberale Gesetzgebung wie Benin haben auf dem afrikanischen Kontinent Tunesien, Südafrika, Kap Verde und Mosambik.
Sierra Leone und Lagos diskutieren über Erleichterungen
Ein weiteres Land, das sich Richtung Liberalisierung vortastet, ist Sierra Leone. Eine entsprechende Gesetzesvorlage, die darauf abzielt, die Abtreibung teilweise zu legalisieren, wurde vor Kurzem von Präsident Julius Maada Bio eingebracht und wird aktuell im Parlament in Freetown diskutiert.
Neben landesweiten Gesetzesinitiativen gibt es in anderen Ländern Afrikas auch Projekte auf lokaler und regionaler Ebene, die Frauen einen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen versprechen: Die nigerianische Wirtschaftsmetropole Lagos plant beispielsweise, in öffentlichen Krankenhäusern Abtreibungen anzubieten. Die 15-Millionen-Metropole könnte damit Vorreiter für eine liberales Abtreibungsrecht werden in einem Land mit enormen wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Disparitäten, in dem es mächtige kulturell und religiös begründete Widerstände gegen die Abtreibung in einzelnen Regionen gibt.
Wie ticken junge Afrikaner beim Thema Abtreibung?
In afrikanischen Gesellschaften wird das Thema Abtreibung vielfach immer noch tabuisiert. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander - was jedoch, wie das Beispiel USA zeigt, auch in anderen Weltregionen der Fall ist. Sehr unterschiedliche Ansichten prallten auch aufeinander, als die DW in dieser Woche das Thema Abtreibungsrecht beim Jugendformat "The 77 Percent" zur Diskussion stellte.
Auffällig: An der Debatte anlässlich der bevorstehenden Liberalisierung der Abtreibungsgesetze in Sierra Leone beteiligten sich merklich viele junge Männer, die der Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Sierra Leone kritisch gegenüberstehen.
User Pender Aghogho äußerte sich im Debattenformat von DW 77 Percent: "Die Menschenrechte gelten bereits für ungeborene Kinder im Mutterleib. Diese unschuldigen Kinder schreien nach mutigen Männern und Frauen, die ihre Rechte mutig verteidigen." Und ein User namens Simony Kuban behauptet: "Unsere Mädchen treiben ab, auch wenn es nicht legal ist. Ich lehne diesen Vorschlag des Präsidenten Sierra Leones ab." Der Vorschlag von Julius Bio sei "böse und barbarisch".
Ähnlich kritisch äußerten sich einzelne DW-User zur Diskussion über die geplanten Erleichterungen für Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche in öffentlichen Krankenhäusern in Lagos vornehmen wollen. Ein User befürchtet allzu leichtfertige Entscheidungen: "Viele Frauen werden, wenn sie schwanger werden, mal eben in ein Krankenhaus gehen und abtreiben. Ich finde das nicht gut. Abtreibung ist etwas für entwickelte Gesellschaften, aber für uns Nigerianer ist es keine gute Sache." Laut WHO führt ein Verbot jedoch nicht dazu, dass weniger Abtreibungen durchgeführt werden - und auch der DW-Faktencheck kommt zu dem Schluss, dass unter unsicheren Bedingungen durchgeführte Abtreibungen das weitaus größere Problem sind.
Schwangere Frauen schützen, auch bei schwieriger Rechtslage
In vielen Ländern Afrikas bleibt der Zugang zum sicheren Schwangerschaftsabbruch nach wie vor sehr restriktiv. Nach Angaben des Center for Reproductive Rights ist Abtreibung in acht Ländern nach wie vor verboten. Auf Madagaskar zum Beispiel drohen medizinischen Mitarbeitern, die heimlich Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen vornehmen, bis zu zehn Jahre Gefängnis. Dennoch werden dort laut CRR jedes Jahr fast 75.000 Abtreibungen durchgeführt.
"Wir versuchen, das Leben von schwangeren Frauen zu retten, auch in Ländern, in denen Abtreibung illegal ist", sagt Dr. Jean Kalibushi Bizimana, Berater für Geburtshilfe und Gynäkologie bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, im Gespräch mit der DW. Seine Organisation tue dabei alles Notwendige, um Vertraulichkeit und die Sicherheit der Frauen zu gewährleisten, fügt Bizimana hinzu. "Wenn das Leben und die Gesundheit der Frauen gefährdet sind, zögern wir vor Ort nicht, Abtreibungen - trotz restriktiver Gesetze des jeweiligen Landes - durchzuführen." Das sei ein Prinzip, dem sich alle Ärzte weltweit verpflichtet fühlen sollten, so Bizimana.