Menschenrechte – zivil oder staatlich
7. Dezember 2006Europa spricht über Menschenrechte - und keiner kriegt es mit. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man Zeitungen oder Nachrichtenagentur-Meldungen nach Vorberichten zum 8. Europäischen Menschenrechtsforum in Helsinki (7./8.12.2006)durchsucht – denn es gibt sie nicht. "Transparenz ist eines unserer Hauptprobleme mit der EU", sagt Claire Ivers, die für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) am Forum teilnimmt. Die Union informiere die Zivilgesellschaft lückenhaft und zu spät. "Das Programm so eines Forums sollte jedem Bürger zugänglich sein. Es ist unglaublich, wie die EU damit durchkommt, die Agenda nicht rechtzeitig zu veröffentlichen."
Verschwiegener Konsens
Einen Grund, etwas zu verschweigen, gibt es nicht. Über die Beachtung der Menschenrechte herrscht in der Union programmatischer Konsens. Schon vor sechs Jahren erklärte die EU-Charta der Grundrechte die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität sowie bürgerliche und justizielle Rechte für unangreifbar. In Helsinki geht es Mittwoch und Donnerstag vor allem um die Umsetzung dieser Werte auf den Gebieten Krisenmanagement und Terrorbekämpfung. Für Kristin Heinrich von Amnesty International (AI) ist das Menschenrechtsforum vor allem eine Gelegenheit für informellen Austausch zwischen den 140 Vertretern ziviler, nationaler und transnationaler Organisationen: "Nach meiner Auffassung ist das Ziel nicht, konkrete Resultate zu erzielen, sondern sich auf gewisse Themenbereiche zu konzentrieren". Genau weiß sie es nicht.
Eine Arbeitsgruppe des Menschenrechtsforums beschäftigt sich mit der Rolle von Frauen als Beschützer der Menschenrechte. "Es kann konstruktiv sein, die EU-Institutionen besonders auf so ein spezielles Thema aufmerksam zu machen", sagt Heinrich. "Die offene Frage ist nur: Geht das dann auf Kosten anderer Menschenrechtsvorkämpfer?" "Gute Frage", findet auch HRW-Vertreterin Ivers. "Vielleicht geht es um Menschenrechtlerinnen, die bei ihrer Arbeit diskriminiert werden." Genau weiß sie es nicht.
Könnte kaum besser sein
"Ich würde fast meinen, die Zusammenarbeit könnte kaum besser sein", sagt Johanna Suurpää, Verantwortliche für Menschenrechtsangelegenheiten im Außenministerium von EU-Ratspräsident Finnland. Die Zusammenarbeit mit den Menschenrechtlern sei sehr eng, und diese würden nach jeder Sitzung über die Ergebnisse informiert. Claire Ivers sieht noch Verbesserungsbedarf, denn das Programm sei ohne die Menschenrechtsorganisationen gemacht worden. Und AI-Vertreterin Heinrich bestätigt: "Die Diplomatenwelt ist doch ein bisschen abgesondert von der Welt der Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen".
Auch politisch sind die Menschenrechtlerinnen sich einig. Es sei zwar positiv, wenn die Europäische Union die Lage in Russland offen kritisiere und Menschenrechte in ihre Abkommen mit Drittstaaten integriere. Die Kräfte sollten aber effizienter gebündelt werden: zwischen den Gremien der EU, zwischen den Mitgliedsstaaten und zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen. Human Rights Watch fordert eine unverhandelbare Pflicht für EU-Politiker, sich vor jeder Auslandsreise mit Vertretern der nichtstaatlichen Organisationen austauschen. Dabei hofft Ivers auf Helsinki: "Alle Entscheidungsträger sind hier. Das ist eine gute Gelegenheit, Ergebnisse zu erzielen".
Blick nach Innen
Auch, was die EU-interne Menschenrechtspolitik anbelangt. "Die EU ist gut darin, Drittstaaten für ihre Menschenrechtspolitik zu kritisieren", sagt Claire Ivers. "Aber wenn es um ein Problem innerhalb der Union geht, tut sie nur sehr wenig". Kristin Heinrich nennt als Beispiele staatenlose Roma in Slowenien und das britische Anti-Terror-Gesetz, gemäß dem Verdächtige bis zu 28 Tage in Untersuchungshaft gehalten werden dürfen. Da kommt die EU-Grundrechteagentur, die ab 1. Januar die Einhaltung der Grundrechte in den Mitgliedsstaaten überwachen soll, gerade gelegen. Als Ergänzung empfiehlt Human Rights Watch ein Europäisches Menschenrechtsforum – für interne Angelegenheiten.