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Russlands Maulkorb für unabhängige Medien

Elizabeth Grenier
22. Oktober 2024

Der Dokumentarfilm "Of Caravans And The Dogs" von Askold Kurow zeigt, wie schnell Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine die unabhängigen Medien zum Schweigen gebracht hat.

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Eine Gruppe Menschen sitzt mit ernsten Gesichtern zusammen in einem Redaktionsraum.
Krisensitzung bei der Zeitung "Nowaja Gazeta"Bild: Anonymous production/Novaya Gazeta Europe

Im Gegensatz zu anderen Kriegsfilmen, die Tod und Zerstörung an der Front zeigen, wurde "Of Caravans And The Dogs" (Von Karawanen und Hunden) von Askold Kurow hauptsächlich in den Redaktionen verschiedener russischer Medien gedreht. Trotz der eher unspektakulären Schauplätze lässt der erschütternde Dokumentarfilm den Zuschauer hautnah miterleben, wie die letzten Nägel in den Sarg der russischen Pressefreiheit geschlagen werden. Viele Mitwirkende an dem Film, darunter auch der Co-Regisseur, sind anonym aufgeführt, um Drohungen aus Russland zu vermeiden.

Kurow hat Russland inzwischen verlassen - nicht nur wegen seiner Arbeit als Filmemacher, sondern auch, weil er und sein Partner sich als schwules Paar in ihrem Heimatland nicht mehr sicher fühlten: Die LGBTQ-Bewegung ist von den russischen Behörden auf die Liste der extremistischen und terroristischen Organisationen gesetzt worden.

Wenn "Wachhunde" zum Schweigen gebracht werden

Der Titel des Films "Of Caravans And The Dogs" stammt aus einer Rede, die der Chefredakteur der Nowaja Gazeta, Dmitri Muratow, 2021 anlässlich seines Friedensnobelpreises gehalten hatte. Darin bezieht er sich auf ein Sprichwort, das die Macht des Journalismus herunterspielt und mit Hunden vergleicht, die eine Karawane anbellen: "Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter". Muratov interpretiert es anders: Die bellenden Hunde stehen für den unabhängigen Journalismus, der sich gegen die Tyrannei der Regierungskarawane stellt. Was ist jedoch, wenn diese Hunde zum Schweigen gebracht werden?

Während sich die Entwicklung Russlands in den Totalitarismus über Jahre hinweg noch schrittweise vollzog, beschleunigte der Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 den Prozess; in rasantem Tempo wurden die bürgerlichen Freiheiten vom russischen Regime immer weiter eingeschränkt.

Ein Mann sitzt auf einem Sessel und gestikuliert.
Der Filmemacher Askold KurovBild: Dovile Sermokas

Kurows Dokumentarfilm zeigt, wie innerhalb eines Monats die Hauptaktivitäten von drei Medien - Echo Moskwy, TV Rain und Nowaja Gazeta - gestoppt wurden. Außerdem schildert er die abrupte Schließung von "Memorial", der ältesten russischen Menschenrechtsorganisation, die die stalinistischen Verbrechen dokumentiert und aufarbeitet.

Als "ausländische Agenten" diffamiert

Als Askold Kurow mit den Dreharbeiten zu diesem Dokumentarfilm begann, konnte er nicht ahnen, dass sich alles so schnell auflösen würde, erzählt er im DW-Gespräch.

Die ursprüngliche Absicht des Films war es, verschiedene Organisationen zu begleiten, so Kurow. Er wollte Parallelen zwischen den sowjetischen "Philosophenschiffen" - Dampfern, auf denen vor einem Jahrhundert mehr als 200 Dissidenten deportiert wurden - und den heutigen staatlichen Restriktionen unter Putin ziehen.

Eine der modernen Methoden Russlands, unabhängige Medien und Menschenrechtsorganisationen zu stigmatisieren, besteht darin, sie als "ausländische Agenten" zu bezeichnen.

Bildkombi: Dmitri Muratow diskutiert mit Wladimir Putin per Videoschalte.
Muratov diskutierte mit dem russischen Präsidenten per Videoschalte

In einer Szene des Films sehen wir den Nobelpreisträger Dmitri Muratow, wie er Präsident Wladimir Putin2021 damit konfrontiert, dass Regimekritiker offenbar willkürlich als "ausländische Agenten" diffamiert werden. "Es gibt keine Vorwarnung, dass man morgen ein 'ausländischer Agent' ist, und für viele bedeutet das 'Staatsfeind'", sagte Muratow damals zu Putin. Der Präsident wies dessen Bedenken zurück: "Die Gefahr, die von diesem Gesetz ausgeht, wird stark übertrieben."

Willkürliche Gesetze gegen kritische Stimmen

Doch genau auf der Grundlage dieses "Gesetzes über ausländische Agenten" haben die russischen Behörden "Memorial" aufgelöst. Nachdem die NGO bereits 2016 zum "ausländischen Agenten" erklärt worden war, musste sie jede Veröffentlichung mit ihrem offiziellen Status als "ausländischer Agent" kennzeichnen. Das habe "Memorial" jedoch nicht getan, hieß es in der Begründung für die endgültige Schließung der NGO im Dezember 2021.

Soldaten in Uniform in einer Straße in Moskau.
Filmszene: Militärische Präsenz untermauerte die "Liquidierung" der NGO "Memorial"Bild: Anonymous production/Novaya Gazeta Europe

Die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen ist ein wunder Punkt für den russischen Staat. "Warum sollten wir uns für unsere angeblich dunkle Vergangenheit schämen und sie bereuen, anstatt stolz auf das Land zu sein, das einen schrecklichen Krieg gewonnen und die Welt vom Faschismus befreit hat?", rechtfertigen die Behörden im Film die Liquidierung von "Memorial". Auch die NGO hatte 2022 den Friedensnobelpreis erhalten.

Einfach abgeschaltet

Der Dokumentarfilm zeigt, wie die Sender TV Rain und Echo Moskwy innerhalb einer Woche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine abgeschaltet wurden. Man beschuldigte sie der "Aufstachelung zu Extremismus und Gewalt, und der Falschinformation über die Operation in der Ukraine". Kurz danach verabschiedete das russische Parlament das "Kriegszensurgesetz". Dieses stellt die Verbreitung "unzuverlässiger Informationen" über die russischen Streitkräfte unter Strafe. Das machte jegliche unabhängige Berichterstattung über den Krieg unmöglich - selbst wenn es ein Krieg war, der in Russland gar nicht so genannt wurde. Schließlich hatte der Kreml den Einmarsch als "Spezialoperation auf dem Gebiet der Ukraine" bezeichnet.

Die Zeitung Nowaja Gazeta, bei der in der Vergangenheit mehrere Mitarbeiter ermordet wurden, konnte ihren Betrieb noch einige Wochen aufrechterhalten, bis die Behörden drohten, die Zeitung als extremistische Gruppe einzustufen. Unter den Ermordeten war auch Anna Politkowskaja, deren Mörder 2023 begnadigt wurde. Die Medienlizenz der Zeitung wurde von den russischen Behörden entzogen und gesperrt.

Porträt der Journalistin Anna Politkowskaja.
Kritische Berichte über den Tschetschenien-Krieg: Anna Politkowskaja wurde 2006 ermordetBild: Simon Hollington/dpa/picture-alliance

Auch der Deutschen Welle haben diese Behörden am 3. Februar 2022 den Sendebetrieb in Russland untersagt und sie im März desselben Jahres als "ausländischen Agenten" eingestuft.

Echo Moskwy, TV Rain und Nowaja Gazeta haben seitdem Redaktionen in anderen europäischen Ländern eingerichtet und setzen ihre Berichterstattung fort, wobei sie hauptsächlich über YouTube und Telegram senden.

"Weißt du nichts, schläfst du besser"

Obwohl hunderte Medienkanäle und zehntausende Webseiten - darunter Facebook, X und Instagram - in Russland gesperrt wurden, läuft YouTube weiter. "Das russische Regime braucht es auch als Kanal für seine eigene Propaganda", erklärt Kurow.

Dennoch meidet ein Großteil der russischen Bevölkerung vor allem die in Europa ansässigen Kanäle: "Mittlerweile gibt es in Russland neben dem Label 'ausländischer Agent' auch 'unerwünschte' Organisationen", betont Kurow und verweist auf ein Gesetz von 2015, das im August 2024 verschärft wurde. "Die Zusammenarbeit mit einer 'unerwünschten' Organisation ist eine Straftat, für die man inhaftiert werden kann, aber niemand weiß genau, was Zusammenarbeit bedeutet", fügt er hinzu.

"Wenn man will, kann man jede Information finden", erklärt der Exil-Filmemacher, "aber für viele Menschen in Russland ist es vielleicht bequemer, die Informationen zu akzeptieren, die sie von den staatlichen Medien erhalten. Es gibt sogar ein russisches Sprichwort: Weißt du nichts, schläfst du besser."

Russland flutet das Ausland mit Propaganda

Inzwischen nutzt Russland die Macht der Propaganda vor allem in den Staaten, in denen Informationsfreiheit herrscht. Gerade Deutschland wird seit Beginn des Ukraine-Krieges mit noch mehr Falschinformationen geflutet als vorher. Diese Fake-News könnten dazu führen, dass die Solidarität der Deutschen mit der ukrainischen Bevölkerung schwindet, warnten Experten kürzlich.

FakeNews aus Russland: Screenshot von einem Telegram-Post, der zwei Porträts zeigt, einen SS-Offizier und den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz.
Plumpe Falschmeldung über einen angeblichen Nazi-Vorfahren des deutschen BundeskanzlersBild: Azmilitary1/Telegram

"Ich weiß, dass die russische Propaganda sehr mächtig ist", sagt Askold Kurow und fügt hinzu, dass er nicht erwartet habe, dass pro-russische Narrative in Deutschland so schnell angenommen würden. In den ehemaligen Sowjetrepubliken könne er das eher nachvollziehen, "weil die Menschen dort noch ein paar Knöpfe im Kopf haben, die man leicht drücken kann. Aber ich bin überrascht, dass das auch bei den Menschen im Westen funktioniert. Das ist traurig."

Er warnt vor dieser Propaganda und hofft, dass Dokumentarfilme wie "Of Caravans And The Dogs" als "Gegenmittel" dienen können. Er hofft auch, dass der Westen die Ukraine weiterhin unterstützen wird - und dass die Ukrainer den Krieg gewinnen werden. Auch wenn es schwierig ist, nach zweieinhalb Jahren Krieg noch optimistisch zu sein, bleibt er dabei: "Wir müssen die Hoffnung bewahren und dürfen nicht jeden Kompromiss akzeptieren, den das Böse uns anbietet."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.