Mit der Entscheidung für den diesjährigen Friedensnobelpreis wird der Öffentlichkeit in Russland, in Belarus und der Ukraine, ja in der ganzen Welt gesagt: Wir zeichnen jene aus, die in Osteuropa den Mut haben, die monströsen Verbrechen des Putin-Regimes beim Namen zu nennen. Wir würdigen jene, die bereit sind für die Wahrheit zu leiden, ihr Leben zu riskieren, ins Gefängnis geworfen zu werden.
Diese prestigeträchtige Auszeichnung wird Putin schmerzen, denn sie geht in die Geschichtsbücher ein. Russlands Gewaltherrscher und seine staatlich gelenkte Propaganda können sie verschweigen, dagegen polemisieren, sie mögen sie kritisieren so viel sie wollen. Doch sie können diese gute, kluge Entscheidung des Nobelpreiskomitees nicht ungeschehen machen.
Systematisch vorbereitete Verbrechen
Putins Verbrechen sind nicht vom Himmel gefallen: nicht der Angriffskrieg in der Ukraine, nicht die Verfolgung der Opposition in Russland und Belarus. Putin hat sie über die Jahre systematisch vorbereitet.
In Belarus hat sie Ales Bjaljatzki, einer der drei Friedensnobelpreisträger, frühzeitig beim Namen genannt. Etwa Moskaus Versuch, die belorussische Eigenstaatlichkeit zu zerstören. Seit Jahrzehnten setzt er sich für die belorussische Sprache und Kultur ein. Allein schon dadurch weckte er den Unwillen Moskaus. Mehrfach ließ ihn der selbsternannte Präsident Lukaschenko einsperren, angeblich wegen Steuervergehen. Die Anschuldigungen waren stets frei erfunden. Bestraft wurde Bjaljatzki dafür, dass er dokumentierte, wie die Sicherheitskräfte seines Landes Oppositionelle foltern und wegsperren. Er hat sich für Demonstranten eingesetzt, die gegen gefälschte Wahlen demonstrierten. 2021 ist er erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Der Nobelpreis wird dafür sorgen, dass endlich wieder auf sein Schicksal und das seines Heimatlandes aufmerksam gemacht wird.
Verbrechen zu dokumentieren - das gehört auch zu der Arbeit des ukrainischen "Center for Civil Liberties". In jüngster Zeit ist die Organisation dadurch bekannt geworden, dass sie die Verbrechen der russischen Invasionstruppen dokumentiert. Die Hoffnung ist, dass die Untaten nicht ungesühnt bleiben. Dafür müssen Beweise gesichert, Opfer beim Namen genannt werden. Bereits in der Vergangenheit hat sich das Zentrum für eine europäische Ausrichtung von Kiew, für eine Stärkung der ukrainischen Zivilgesellschaft eingesetzt.
"Memorial" und der Stolz auf Geschichte
Von allen Preisträgern ist die Menschenrechtsorganisation "Memorial" die bekannteste. Bereits in den 1980er-Jahren begann sie damit, die dunkelsten Kapitel der sowjetischen Geschichte aufzuarbeiten. Einer ihrer bekanntesten Mitarbeiter war Andrej Sacharow. Präsident Putin hat diese Organisation - die zum Vorbild vieler NGOs weltweit wurde - lange verfolgt. Bereits 2003, in seiner ersten Amtszeit als Präsident, forderte er, Geschichtsbücher müssten bei den Schülern Stolz wecken. "Memorial", das die millionenfachen Verbrechen der kommunistischen Herrschaft detailgenau aufarbeitete, konterkarierte dieses Ziel. Außerdem setzte sich die NGO erneut - wie schon zu sowjetischen Zeiten - für freie Wahlen und verfolgte Oppositionelle ein. Ende vergangenen Jahres ließ Putin "Memorial" verbieten.
"Memorial" hatte zu Beginn der 1990er-Jahre durchaus Einfluss auf die Gesetzgebung der damaligen Duma. Die NGO wollte nach dem Untergang der UdSSR verhindern, dass jemals wieder ein autoritärer Herrscher die Geschicke des Landes lenkt. Deshalb schlug sie vor, nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse die Täter aus der Kommunistischen Partei sowie den Sicherheitskräften vor Gericht zu stellen. Das scheiterte leider, weil sich die Kommunisten inzwischen selbst von ihren Verbrechen zu Sowjetzeiten distanzierten. Hätte sich "Memorial" damals durchgesetzt, wäre Putin vielleicht nie an die Macht gekommen.