Wie funktioniert das deutsche Pfandsystem?
17. November 2021Ein Samstagmorgen vor einem Supermarkt in der Stadt Köln: Mit Tüten voller Flaschen und Dosen stehen die Menschen hier Schlange. Die Verpackungen sind leer - und dennoch etwas wert: das Pfand, das die Kundinnen und Kunden zusätzlich zum Getränkepreis beim Kauf bezahlt haben. Das gibt es bei der Abgabe wieder zurück.
Das deutsche Pfandsystem unterscheidet zwei Arten von Getränkeverpackungen: Mehrweg- und Einwegverpackungen. Auf Mehrwegflaschen muss in Deutschland immer Pfand gezahlt werden, egal ob sie aus Glas oder aus PET-Kunststoff bestehen und egal welches Getränk sich darin befindet. Dieses Pfandsystem gibt es schon sehr lange.
Pfand gegen Verpackungsmüll am Straßenrand
Im Jahr 2003 wurde zusätzlich das Pfand auf bestimmte Einweg-Getränkeverpackungen eingeführt. Die Höhe ist gesetzlich festgeschrieben: 0,25 Euro pro Flasche. "Vor 2003 wurden jedes Jahr etwa drei Milliarden solcher Verpackungen in die Umwelt geworfen", erzählt Thomas Fischer, Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Organisation Deutsche Umwelthilfe (DUH). Heute liegt die Rücklaufquote in Deutschland bei über 98 Prozent. "Es ist unmöglich, eine höhere Quote zu erreichen", so Fischer zur DW.
Pfandautomaten in den Supermärkten erkennen, welche Art von Pfandflasche zurückgegeben wird und errechnen automatisch, wie viel zurückgezahlt werden muss. Wo es keine Automaten gibt, nimmt das Personal die Flaschen an. So weit, so einfach.
Komplizierter war bislang die Frage, auf welche Art von Getränk ein Einwegpfand erhoben wird: Fruchtsäfte wurden pfandfrei verkauft, für Fruchtsäfte mit Sprudel aber galt die Pfandpflicht. Ab dem 3. Juli 2021 muss nun für deutlich mehr Getränke Pfand gezahlt werden. Milch beispielsweise ist aber weiter davon ausgenommen. Erst ab Anfang 2024 spielt der Inhalt keine Rolle mehr.
Flaschen auf Recycling-Reise
Wenn eine Mehrwegflasche, beispielsweise eine Glasflasche der deutschen Cola-Marke Fritz-Kola, im Supermarkt zurückgegeben wird, beginnt eine lange Reise. Ein Getränkegroßhändler transportiert sie zu einer Sortieranlage, wo sie mit anderen Flaschen der gleichen Form zusammengebracht wird. Von dort reist sie zu einem Getränkehersteller - nicht unbedingt Fritz-Kola - der diese spezielle Art von Flasche verwendet. Dort wird sie gereinigt, neu befüllt und zum Wiederverkauf in ein Verkaufsregal zurückgebracht.
Laut Umweltbundesamt (UBA) kann eine Glasflasche bis zu 50-mal befüllt werden, ohne an Qualität zu verlieren. Für Mehrwegflaschen aus Kunststoff beziffert das UBA die Wiederverwendungsrate auf 25-mal.
Einwegflaschen gehen einen anderen Weg. Sie werden meist schon in den Sammelanlagen der Geschäfte zusammenpresst - so wird beim Transport Platz gespart. Dann werden sie zu einer Recyclinganlage gebracht, wo sie geschreddert und zu Granulat verarbeitet werden. Granulat aus PET-Flaschen ist sehr beliebt, weil es als "lebensmittelsicher" gilt - aus ihm können also wieder Verpackungen für Getränke oder andere Lebensmittel entstehen. Das ist bei anderen Plastiksorten nicht der Fall.
Ab dem Jahr 2025 müssen PET-Einweggetränkeflaschen in Deutschland zu mindestens einem Viertel aus recyceltem Kunststoff bestehen. Fünf Jahre später steigt die Quote auf 30 Prozent für alle Einweggetränkeflaschen aus Kunststoff.
Einweg oder Mehrweg: Was ist besser für die Umwelt?
Generell gilt: Bei beiden Pfandsystemen, also Mehrweg und Einweg, werden Rohstoffe, Energie und CO2-Emissionen eingespart, sagt Gerhard Kotschik, Verpackungsexperte beim UBA im DW-Gespräch.
Mit Hinweisen auf die gute Recyclingfähigkeit verkaufen die deutschen Discounter wie Aldi oder Lidl Getränke mittlerweile nur noch in Einwegverpackungen. Da Aldi und Co. eine enorme Marktmacht haben, wirkt sich ihre Entscheidung für das Einmalplastik auch auf die Hersteller von Getränken aus. "Wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen, müssen wir unsere Getränke auch in den Discountern anbieten", sagt Uwe Kleinert, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit bei Coca-Cola Deutschland, der DW. Und das heißt im Klartext: in Einwegverpackungen.
Nach Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe aus dem Jahr 2015 sank dadurch die Mehrwegquote bei Coca-Cola von 56 auf nur noch 42 Prozent. Gemeinsam mit dem Konzern PepsiCo zählt die Coca-Cola Company laut der UmweltschutzorganisationBreak Free From Plastic zu den größten Plastikverschmutzern der Welt. Allerdings gibt es in Deutschland Getränke von Coca-Cola auch in Mehrwegverpackungen, etwa das Mineralwasser Vio. Neu ist eine 0,4-Liter Cola-Mehrwegflasche aus Glas.
Die Schwarz-Gruppe, zu der der Discounter Lidl gehört, stellt die Einwegflaschen für ihre Eigenprodukte mittlerweile selbst her. Sie verwendet dafürlaut eigener Darstellung ausschließlich recyceltes PET. Nur die Etiketten und der Deckel bestünden nicht zu 100 Prozent aus Recycling-Plastik, heißt es.
Mehrweg-Vorteil bei kurzen Wegen
Umweltschützer sagen dennoch: Grundsätzlich sind Mehrwegflaschen umweltfreundlicher als Einwegverpackungen. Laut der Deutschen Umwelthilfe haben Einweg-Plastikflaschen aus 100 Prozent Rezyklat nach wie vor nur einen geringen Marktanteil. Zudem gehe bei jedem Recyclingvorgang Material verloren, so die DUH. Einen geschlossenen Materialkreislauf beim Recycling gebe es nicht.
Und für die meisten PET-Flaschen würde bei der Herstellung eben nach wie vor neues Plastik aus Rohöl benötigt. "Im Durchschnitt enthalten Einweg-PET-Flaschen in Deutschland rund 26 Prozent Recyclingmaterial", so Fischer von der DUH. 70 Prozent der Einweg-Plastikflaschen in Deutschland werden laut DUH sogar komplett aus Neumaterial hergestellt.
Außerdem würden auch Mehrweg-Plastikflaschen geschreddert und als PET-Granulat wiederverwendet, sagt Gerhard Kotschik vom Umweltbundesamt. Und zwar dann, wenn eine Flasche ihre Wiederbefüllungsquote erreicht habe, sich also in ihrer Ursprungsform nicht mehr wiederverwenden lasse.
Doch der Mehrweg-Vorteil gilt nur, wenn die Transportwege zum Reinigen und Wiederbefüllen der Flaschen kurz sind. Andernfalls drohen die Energie- und CO2-Emissionen beim Transport die Einsparungen bei einer Wiederverwendung gegenüber einer Neuherstellung zunichte zu machen. "Wir empfehlen deswegen, wiederverwendbare Getränkeverpackungen aus der Region zu kaufen", erläutert Kotschik.
Verwirrung bei den Pfandsiegeln
Anders als für Einwegflaschen gibt es für Mehrwegflaschen keine vorgeschriebene eindeutige Kennzeichnung. Zwar riefen die Mehrweg-Hersteller 2005 ein Symbol für die Kennzeichnung ins Leben. Doch es ist nicht auf allen Flaschen zu finden. Manchmal steht der Hinweis nur in Textform auf dem Etikett oder ist in die Flasche selbst eingestanzt. Und selbst hier sind Aufschriften unterschiedlich: Leihflasche, Pfandflasche, Mehrweg oder Mehrweg-Flasche.
Laut Gesetz muss der Handel im Geschäft mit deutlich sicht- und lesbaren Informationsschildern in den Regalen darauf hinweisen, ob es sich um Einweg- oder Mehrwegverpackungen handelt. Doch wenn nur Einweg im Sortiment geführt wird, reicht ein einziges Hinweisschild im ganzen Markt. Umweltverbände wie der NABU kritisieren das als unzureichend.
Zwar erkennen mittlerweile mehr Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland, ob es sich um eine Einweg- und Mehrwegflasche handelt. Doch noch immer meinen 42 Prozent, dass alle Pfandflaschen - also auch Einmal-Flaschen - wiederbefüllt werden, wie eine Umfrage des Arbeitskreises Mehrweg von Anfang dieses Jahres zeigt.
Zur Verwirrung trägt auch bei, dass Einwegflaschen in Mehrweg-Kästen oft das Symbol PET-Cycle tragen. Das Zeichen steht aber für Einweg und Recycling durch Schreddern der Flaschen, nicht für Mehrweg und Wiederbefüllung.
Wer profitiert vom deutschen Pfandsystem?
Geschäfte, die nur Einwegflaschen verkaufen, vermeiden die mit dem Mehrwegsystem verbundenen Logistikkosten, profitieren aber vom Recycling und dem Weiterverkauf von hochwertigem PET. "Für recyceltes PET muss man zwar mehr bezahlen als für neues, aus Erdöl hergestelltes PET", berichtet Uwe Kleinert von Coca-Cola. Aber nur so ließen sich die Umweltziele (des Konzerns - Anm.d.Red.) erreichen.
Das Geschäft mit PET-Granulat ist so inzwischen extrem lukrativ geworden. Für den Discounter Lidl, der eine eigene Recyclinggruppe hat, "ist jede Flasche ein Geschenk", sagt DUH-Mann Fischer.
Den meisten Gewinn aber bringt das nicht zurückgegebene Leergut ein. Von den rund 16,4 Milliarden Einwegflaschen, die jedes Jahr über die deutschen Ladentheken wandern, werden etwa 1,5 Prozent nicht zurückgegeben - umgerechnet ist das eine Summe von bis zu 180 Millionen nicht zurückgezahltes Pfandgeld.
Von nicht zurückgegebenen Einwegpfand profitierten vor allem die Filialisten, die ihre Einwegflaschen selbst herstellen und befüllen lassen, sagt Jürgen Ziegner, Geschäftsführer des Zentralverbands des Tankstellengewerbes e.V. (ZTG). Selbständige Einzelhändler, Tankstellen und Kioske, die ihre Ware von einem Großhändler bezögen, hätten dagegen das Nachsehen. Denn sie müssten dem Großhandel ebenfalls ein Einwegpfand von 25 Cent pro Flasche bezahlen, zuzüglich 19 Prozent Mehrwertsteuer. Vom Verbraucher bekämen sie aber lediglich 25 Cent inklusive Mehrwertsteuer.
Umweltorganisationen wie der NABU fordern grundsätzlich, dass Einnahmen aus nicht zurückgegebenem Pfand für die Förderung von Umwelt- und Mehrwegprojekten eingesetzt werden sollten.
Umweltgruppen drängen außerdem darauf, das Pfandsystem auf alle Arten von Glas- und Kartonverpackungen auszuweiten - also etwa auch auf Tetra Paks. "Es wäre auch möglich, Mehrwegbehälter für Marmelade oder Honig zu entwickeln", so DUH-Kreislaufwirtschafts-Experte Fischer. "Alle Produkte wiederzuverwenden - das ist es, was wir wollen."