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Widerstand in 140 Zeichen

Cenk Baslamis / dk5. Juni 2013

Die Proteste gegen die Politik Recep Tayyip Erdogans gehen weiter. Die traditionellen Medien geraten in die Kritik, weil sie den Protest zu lange totgeschwiegen haben. Das ist die Stunde der Sozialen Medien.

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Ein Demonstrant in Ankara (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

In der Türkei haben die Pläne, den Gezi-Park in der Nähe von Istanbuls großem Taksim-Platz umzubauen, zu heftigen Protesten gegen die Regierung geführt. Den jugendlichen Aktivisten unter den Demonstranten wurde lange vorgeworfen, unpolitisch zu sein - jetzt nutzen sie eine auf der ganzen Welt berühmte Waffe: Twitter.

Die Demonstranten nutzten die Plattform, um sich gegenseitig über die Polizeieinsätze zu informieren und vor dem Einsatz von Pfefferspray zu warnen. Die türkische Polizei hat eine Schnelle Einsatzgruppe, doch auch die kann nicht so schnell sein wie die Twitterer, die einander vor möglichen Angriffen warnen. Die 140 Zeichen, auf die eine Twitter-Mitteilung begrenzt ist, reicht den Verteidigern des Gezi-Parks, um Demonstrationen zu organisieren oder um benötigtes Material, Medikamente oder Essen heranzuschaffen.

Demonstration gegen Erdogan auf dem Istanbuler Taksim Platz (Foto: dpa)
Demonstranten auf dem Istanbuler Taksim-PlatzBild: picture-alliance/dpa

Einige der Demonstranten haben bis zu 50.000 Follower, da werden ihre Botschaften schnell verbreitet. Wohl deshalb bezeichnete Premierminister Recep Tayyip Erdogan Twitter als "hauptsächlichen Unruhestifter" und ein "Ärgernis für die Gesellschaft". Gerade einmal zehn Tage zuvor hatte Erdogan das Silicon Valley im US-Bundesstaat Kalifornien besucht und gesagt: "Wissen ist ein universeller Stoff der Menschheit. Davon werden wir alle profitieren."

Aktivisten machen im umkämpften Gezi-Park Yogaübungen (Foto: Getty Images)
Aktivisten machen im umkämpften Gezi-Park YogaübungenBild: Getty Images

Auch Falschinformationen verbreiten sich schnell

Aber die Kurzmitteilungen können auch für Desinformation und Provokationen genutzt werden: Das Bild eines schwerverletzten jungen Mannes hatte einen massenhaften Aufschrei unter den Twitterern hervorgerufen - es stellte sich heraus, dass es nicht echt war. Die Nachricht, der Polizeichef sei entlassen worden, stellte sich als Falschmeldung heraus. Ein Video, das über Twitter verbreitet worden war und das angeblich den Tod eines Demonstranten zeigte, war ebenfalls eine Fälschung. Genauso wie das Bild eines Polizisten, der einen Hund mit Pfeffergas besprüht - es stammte in Wirklichkeit aus Italien.

Twitter ist trotzdem für Zehntausende Demonstranten der Kommunikationsweg Nummer Eins. M. Serdar Kuzuloglu, Kolumnist des täglich erscheinenden "Radikal", nannte Twitter das "Nervenzentrum einer Widerstandsbewegung, die keine Kommandozentrale hat".

Ein Desaster für die traditionellen Medien

Ein Verlierer der Proteste in der Türkei steht schon fest: die Medien des Landes. Sie verschwiegen lange Zeit die Proteste und das harte Vorgehen der Polizei. Ganz im Gegensatz zu den sozialen Medien: Twitter und Facebook quollen geradezu über von Fotos und Videos, die die Zusammenstöße von Demonstranten und Sicherheitskräften sowie den exzessiven Einsatz von Tränengas durch die Polizei zeigten. Trotzdem brachten die türkischen Nachrichtensender zunächst nur Talkshows und Tierfilme.

Jetzt sind viele Menschen verärgert. Der Unmut wurde so groß, dass sich eine Gruppe von Verteidigern des Gezi-Parks zu einem Protest vor dem Gebäude von NTV versammelte, dem wichtigsten türkischen Nachrichtensender. Auf dem Taksim-Platz wurde der Ü-Wagen der Rundfunkanstalt von Demonstranten angegriffen.

Zusammenstöße am Besiktas-Stadion nahe dem Taksim-Platz (Foto: dpa)
Zusammenstöße am Besiktas-Stadion nahe dem Taksim-PlatzBild: picture-alliance/dpa

NTV hat sich für seine Berichterstattung - oder besser für seine Nicht-Berichterstattung - entschuldigen müssen. Doch das war zu wenig, und es war zu spät. "Bei den Nachrichten-Redakteuren hat die Selbstzensur die journalistischen Instinkte geschlagen", kommentierte das die populäre Tageszeitung "Hürriyet".