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Was nicht sein darf, kann nicht sein

Christina Ruta10. Januar 2013

Kindesmissbrauch ist auch in vermeintlich offenen Gesellschaften wie in Deutschland ein Tabuthema. Jährlich gibt es zehntausende Fälle. Kampagnen dagegen sind wichtig, vor allem sollte man Kindern zuhören.

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Junge hält sich die Ohren zu (Foto: Fotolia/pegbes
Symbolbild KindesmissbrauchBild: Fotolia/pegbes

Beim Thema Kindesmissbrauch halten sich viele Eltern eigentlich für aufgeklärt: Sie diskutieren offen über große Missbrauchsfälle wie die an der Odenwaldschule im Bundesland Hessen oder innerhalb der katholischen Kirche. Aber was, wenn plötzlich die eigene Tochter behauptet, der Klassenlehrer hätte sie sexuell belästigt?

Gegen das Leiden im Verborgenen

Bis zu sechs Mal müssen Kinder Erwachsene ansprechen, bis ihnen geglaubt wird. So schildert Ulrike Mund, Geschäftführerin des Vereins Eigensinn, ihre Erfahrung. Ihre Vereinskollegen und weitere Beratungsstellen, die Präventivarbeit gegen Kindesmissbrauch leisten, hätten die gleichen Beobachtungen gemacht. "Das ist die Crux der Tabuisierung: Das was nicht sein darf, kann nicht sein. Wenn Kinder dann Situationen schildern, die auch für Erwachsene schwer nachvollziehbar sind, glauben sie den Kindern nicht", sagt die Pädagogin.

Meist manipulierten die Täter ihre Opfer auch und übten massiven Druck auf sie aus, um die Tat geheim zu halten. "Deshalb ist das A und O Aufklärungsarbeit", meint Ulrike Mund - bei Kindern wie Erwachsenen. Sie fordert Eltern deshalb auf, ihre Kinder persönlichkeitsstärkend zu erziehen.

Neue Kampagnen der Regierung

Das sieht das Bundesfamilienministerium ähnlich und startet gerade eine Präventions- und Aufklärungsinitiative, die sich vor allem an die Kinder selbst richtet. Kernstück ist nach Aussagen von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) das interaktive Theaterstück "Sag mal …", das ab März durch die Bundesländer tourt. Das Stück bezieht die Kinder aktiv mit ein. Es soll ihnen klar machen, welche Rechte sie haben, wie sexueller Missbrauch beginnt und dass sie über ihren Körper selbst bestimmen können.

Ein Plakat aus der neuen Kampagne unter "Kein Raum für Missbrauch" (Foto: dpa)
Das Plakat der neuen KampagneBild: picture-alliance/dpa

Dazu läuft die Kampagne "Kein Raum für Missbrauch", die das Familienministerium am Donnerstag (10.01.2013) vorstellte. "Die Kampagne möchte Eltern, Fachleute und die Öffentlichkeit sensibilisieren und aufklären, etwa über die neuen gesetzlichen Bestimmungen. Die Eltern sollen ermutigt werden, bei den Einrichtungen nachzufragen, ob sie schon Schutzkonzepte haben," erläutert Paula Honkanen-Schoberth vom Kinderschutzbund die Zielsetzung. Bei der Aufklärung setzt die Kampagne unter anderem auf Flyer, TV-Spots sowie Materialen und Kontaktadressen im Internet.

"Sexuellen Missbrauch gibt es überall"

Es gebe dringenden Handlungsbedarf, meint Honkanen-Schoberth: "Groben Schätzungen zufolge gibt es über 100.000 Opfer von sexuellem Missbrauch - kriminalstatisch gemeldete Fälle gibt es in Deutschland jährlich zwischen 12.000 und 14.000, aber die Dunkelziffer ist wesentlich höher". Alle Altersgruppen seien betroffen, meist richtete sich die sexuelle Gewalt gegen Mädchen. Die Täter stammten größtenteils aus der Familie oder dem weiteren sozialen Umfeld - und gehörten ganz unterschiedlichen sozialen Schichten an.

Obwohl das Problem nicht neu ist, hat es erst seit den 1980er Jahren in Deutschland größere Beachtung gefunden. Ende der 1990er Jahre wurden erste Vorfälle an der Odenwaldschule in Hessen bekannt, ab 2010 wurde verstärkt über die Skandale in der katholischen Kirche berichtet, seitdem steht das Thema Kindesmissbrauch fast täglich auf der Tagesordung.

Die Odenwaldschule in Hessen (Foto: apn)
Tatort Odenwaldschule in HessenBild: AP

Die bekannt gewordenen Fälle haben die Frage aufgeworfen, ob es bestimmte Strukturen gibt, die sexuellen Missbrauch fördern können - etwa den Zölibat. "Interessanterweise gibt es das Phänomen, dass der Missbrauch durch sehr autoritäre Strukturen begünstigt wird oder durch Strukturen, wo es keine klaren Grenzen gibt", erläutert Ulrike Mund von Eigensinn. Viel Forschung zum Thema gebe es aber bislang nicht.

Kindesmissbrauch: ein Mann spricht ein Mädchen auf einem Spielplatz an (Foto: dpa)
Auch Fremde können Täter sein, oft kommen sie aber auf dem direkten Umfeld der Kinder.Bild: picture-alliance/dpa

Was bringen Aufklärungskampagnen?

Die jetzt gestartete Aufklärungskampagne der Bundesregierung ist nicht die erste ihrer Art. Als Reaktion auf das Bekanntwerden sexueller Missbrauchsfälle Anfang 2010 hatte bereits die damalige Bundesbeauftragte zur Aufarbeitung der Fälle, Christine Bergmann, eine ähnliche Initiative ins Leben gerufen - inklusive einer telefonischen Anlaufstelle. Solche Initiativen seien wichtig, meint die Bundesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes, Paula Honkanen-Schoberth: "Wenn man den Erfolg daran misst, wie viele Meldungen und Hilferufe auf die Kampagnen folgen, zeigt die Kampagne von Frau Bergmann ganz eindeutig, dass die Nachfragen danach enorm gestiegen sind."

Honkanen-Schoberth sieht allerdings einen eklatanten Widerspruch zwischen den Aufklärungsinitiativen und der schlechten Finanzierung von dann nachgefragten Beratungsstellen. "Es gibt bisher keine Förderprogramme von Seiten der Regierung für Kinderschutz- oder Beratungsstellen - die wissen oft nicht, ob sie mit demselben Team im nächsten Jahr überhaupt noch arbeiten können oder die Mittel gekürzt werden". Und auch Angebote für Hilfe suchende pädophile Erwachsene kämen zu kurz.

Ulrike Mund von Eigensinn hält die großangelegten Kampagnen für wichtig, verweist aber ebenfalls darauf, dass ihr Verein - wie viele andere Einrichtungen im ganzen Land - seit vielen Jahren erfolgreich in dem Bereich arbeite und über die nötige Expertise verfüge. Anstatt aber, so ihre Kritik, in bestehende Projekte zu investieren, würden neue initiiert.