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Streit über Missbrauchsstudie

Arne Lichtenberg9. Januar 2013

Es sollte der große Befreiungsschlag in der Aufklärung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche werden. Doch nun ist ein heftiger Streit über eine Studie entbrannt, die Licht ins Dunkel bringen sollte.

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Ministranten haben die Hände gefaltet (Foto: Oliver Lang/dapd)
Kirche Missbrauchsfälle betende MinistrantenBild: dapd

Das Ziel war eindeutig: Der Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche seit Anfang 2010 in ihrem Kern erschüttert hatte, sollte lückenlos aufgearbeitet werden. Detailliert wollte die Kirchenleitung die Missbrauchsfälle untersuchen lassen, in denen sich Priester und Ordensleute an Kindern und Jugendlichen vergangen hatten - sogar bis ins Jahr 1945 wollte man zurückgehen. Um die Studie seriös und objektiv durchzuführen, holte sich die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) mit ins Boot. Den Wissenschaftlern aus Hannover sollte in allen 27 Diözesen Zugriff auf sämtliche Personalakten der vergangenen zehn Jahre gewährt werden.

Doch zwischen dem Kriminologischen Forschungsinstitut und der DBK gibt es jetzt Streit. Die Verträge mit dem Institut wurden vonseiten der Deutschen Bischofskonferenz gekündigt. "Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet", heißt es in offiziellen Angaben. An eine Weiterführung der Arbeit sei nicht zu denken. Institutschef Christian Pfeiffer hält jedoch dagegen: Er spricht sogar von Zensur und der Behinderung seiner Arbeit: "Die Erzdiözese München und Freising verlangt eindeutig, dass ihr alle Texte zur Genehmigung vorzulegen sind, und sie macht uns klar, dass sie auch das Recht hat, die Veröffentlichung von Texten zu verbieten", sagte Pfeiffer dem Deutschlandfunk.

Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer (Foto: Tim Brakemeier dpa/lbn)
Christian Pfeiffer: "Ja, es gab Zensur"Bild: picture-alliance/dpa

"Haben die Forschungsfreiheit nicht eingeschränkt"

Ein Vorwurf, dem Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, im DW-Interview entschieden entgegentritt: "Ich wehre mich dagegen zu behaupten, dass wir die Forschungsfreiheit eingeschränkt hätten. Das Gegenteil ist der Fall, weil die katholische Kirche zu einem solchen Forschungsprojekt bereit ist, zeigt sie, wie sehr ihr die Forschungsfreiheit gelegen ist."

Doch Pfeiffer ging in seiner Kritik noch weiter. Er sprach von Aktenvernichtungen aufseiten der Kirche, von der er nichts gewusst habe. "Es gibt da eine Vorschrift, wonach man zehn Jahre nach der Verurteilung eines Priesters die Akten zu vernichten hat. Darüber hatte man uns im Unklaren gelassen, denn vereinbart ist im Vertrag eine Aktenanalyse bis zum Jahr 1945 rückgehend." Diese sei aber unter diesen Gegebenheiten gar nicht mehr machbar, wenn alle zehn Jahre die Akten vernichtet würden, so Pfeiffer.

Auch diesen Vorwurf wies der Pressesprecher der Bischofskonferenz von sich: "Es gibt nach unserer Kenntnis keine Aktenvernichtung. Ein großes Problem waren datenschutzrechtliche Bestimmungen. Für uns war wichtig zu klären, wie gelingt es uns, Daten zu anonymisieren und sicher aufzubewahren". Eine Erklärung, die aus Sicht von Kritikern wie ein Vorwand klingt.

Texte vor Veröffentlichung zur Genehmigung?

Anders als ursprünglich im Vertrag festgeschrieben, berichtet Kriminologe Pfeiffer weiter, habe die Kirche verlangt, die Texte vor der Veröffentlichung vorgelegt zu bekommen. "Es fehlte plötzlich das Vertrauen, dass die Dinge dann öffentlich auch präsentabel sind", so Pfeiffer. Einige hätten offenkundig nicht gewollt, dass die Missbrauchsfälle aufgeklärt werden, weil sie eine Beschädigung der Kirche fürchteten.

Pressesprecher Matthias Kopp (Foto: Oliver Berg dpa/lnw)
Pressesprecher Matthias Kopp: "Es gab keine Aktenvernichtung"Bild: picture-alliance/dpa

Nachdem die jahrzehntelange Serie von Missbrauchsfällen 2010 an die Öffentlichkeit kam, hatte die katholische Kirche eine umfassende Aufarbeitung der Vorgänge angekündigt. Erste Verdachtsfälle waren vor drei Jahren am Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten ans Licht gekommen. In den folgenden Wochen wurden weitere bekannt, unter anderem im oberbayerischen Kloster Ettal und bei den Regensburger Domspatzen. Die sexuellen Übergriffe lagen teils kurze Zeit, aber teils auch mehr als 60 Jahre zurück. Viele Fälle waren strafrechtlich verjährt. Ein wichtiger Baustein zur Aufklärung sollte das 2011 vorgestellte Forschungsprojekt mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) sein.

Ein weiterer Imageschaden

Experten sehen nach dem vorläufigen Aus der wissenschaftlichen Aufarbeitung einen neuen Imageschaden für die katholische Kirche und fürchten weitere Kirchenaustritte. Pressesprecher Matthias Kopp versucht aber klarzustellen, dass das Projekt nicht gescheitert sei: "Wir haben das Forschungsprojekt nicht aufgegeben, es wird selbstverständlich fortgesetzt. Wir werden dafür nun einen anderen Partner suchen."

Kriminologe Christian Pfeiffer will nun seine begonnene Arbeit fortsetzen - ohne Mithilfe der Kirche. "Wir versuchen jetzt zu retten, was zu retten ist, indem wir bundesweit alle Opfer bitten, freiwillig auf uns zuzukommen, damit wir ihnen den anonymen Fragebogen zuleiten können, den sie uns bitte zurückleiten." Eigentlich sollte 2014 mit ersten Ergebnissen der Studie gerechnet werden. Wann und ob es nun überhaupt noch Erkenntnisse gibt, scheint mehr als fraglich.