Syrien ist nicht Libyen
9. Februar 2012An deutlichen Worten lässt es die US-Regierung in diesen Tagen nicht fehlen: "[Baschar al-] Assad muss zurücktreten, damit sofort ein demokratischer Übergangsprozess beginnen kann", erklärte US-Präsident Barack Obama am Wochenende. "Ihre Tage sind gezählt!" lautete die Botschaft von Susan Rice, der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, an den syrischen Präsidenten in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN. Doch obwohl das Militär nach Berichten von CNN bereits die Optionen prüft, sieht es derzeit nicht danach aus, als würde ein Eingreifen bevorstehen.
Dabei hatte Präsident Obama in seiner Rede vor der internationalen Intervention in Libyen erklärt, die USA hätten eine Verantwortung für andere Menschen und könnten Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern nicht tatenlos zusehen. Im März 2011 sagte er in seiner Ansprache: "Als Präsident habe ich mich geweigert, erst dann zu handeln, wenn es Bilder von Metzeleien und Massengräbern gibt." Doch im Fall Syrien betont die US-Regierung, dass man eine politische Lösung anstrebt. Ein Treffen mit befreundeten Staaten soll der nächste Schritt sein.
"Es gibt keine guten Alternativen"
Denn Syrien sei nicht mit Libyen vergleichbar, erklärt Aaron David Miller, der sechs Außenminister von beiden Seiten des politischen Spektrums in der Nahost-Politik beraten hat: "Syrien ist eine beachtliche Militärmacht, die Massenvernichtungswaffen und ein dichtes und hochentwickeltes Luftverteidigungssystem besitzt", sagte er der DW. Weitere Unterschiede: Die Opposition in Syrien kann sich nicht, anders als in Libyen, in sichere Gebiete zurückziehen und von dort aus agieren. Sie ist nicht ausreichend bewaffnet und organisiert. In den großen Städten ist die Situation bisher relativ ruhig geblieben. Eine militärische Intervention müsse also zwangsläufig den Einsatz von Bodentruppen umfassen, wenn sie erfolgreich sein soll. Und noch weiteren anderen gravierenden Unterschied gibt es zwischen Syrien und Libyen: Während Diktator Muammar al Gaddafi international isoliert war, wird Syrien von Russland, China und dem Iran unterstützt.
Derzeit begrenzten sich die Möglichkeiten der USA also, so Aaron David Miller, auf "heimliche Unterstützung der Opposition, militärische und nicht-militärische Hilfe sowie die Weitergabe von Geheimdienstinformationen". Dabei bestehe immer die Gefahr, dass die Situation noch schlimmer werde. Seine Analyse ist nüchtern: "In dieser Situation gibt es keine guten Alternativen und ich sehe im Moment kein positives Ergebnis." Auch die Wirksamkeit von Sanktionen sei im Falle von Syrien fraglich.
Druck auf andere Länder ausüben
James Carafano, Verteidigungsexperte der konservativen Heritage Stiftung meint, das Beste, was die USA tun könnten, sei Druck auf die Nachbarländer Syriens auszuüben: auf den Iran, die Unterstützung Syriens aufzugeben, sowie auf Israel, Irak und die Türkei, mit einer gemeinsamen Strategie vorzugehen. "Denn alle drei haben ein Interesse daran, dass es in der Übergangszeit nicht zu einem Bürgerkrieg oder großen Flüchtlingsströmen kommt und die Region destabilisiert wird", sagte Carafano der DW. Außerdem spricht er sich dafür aus, "die Russen für schlechtes Verhalten zu bestrafen." Russland hatte, zusammen mit China, am vergangenen Wochenende sein Veto im Sicherheitsrat bei der Syrien-Resolution eingelegt.
Carafano vergleicht die Gemengelage in Syrien mit der in Bosnien in den 90er Jahren: "Die Alliierten damals konnten den Konflikt beenden, weil das Töten schon vorbei war, als sie intervenierten." Jeder sei erschöpft gewesen und habe sich "in seine Ecke zurückgezogen". "Wenn die NATO in Bosnien am ersten Tag interveniert hätte, und nicht am letzten", so Carafano, "wäre diese Intervention schwierig geworden".
Abwägen von Eigeninteresse und Prinzipien
Dass eine Militärintervention nicht im Interesse der USA oder der NATO ist, meint auch Stewart M. Patrick, außenpolitischer Experte des Council on Foreign Relations, der von 2002 bis 2005 im Außenministerium tätig war. Dabei sei "offensichtlich, dass das Leiden und die Unterdrückung und die Grausamkeiten in Syrien noch größer und schlimmer sind ist als in Libyen". Patrick weist wie die anderen Experten darauf hin, dass diese Tatsache allein nicht ausreicht für ein militärisches Eingreifen. "Eine humanitäre Intervention wird immer durch die Situation vor Ort und die Interessen der USA und anderer einflussreicher Nationen bestimmt." Aaron David Miller formuliert es so: "Große Mächte benehmen sich scheinheilig und widersprüchlich, das gehört zu ihrer Natur." Sie würden intervenieren, "wenn es ihren Interessen dient und wenn die Intervention Erfolg versprechend ist, und sie tun es nicht, wenn die Kosten zu hoch sind."
Im Fall der USA kommt hinzu, dass die Amerikaner gerade einen großen Krieg beendet haben und dies für einen zweiten planen. Präsident Obama hatte versprochen, die heimische Infrastruktur zu verbessern und die Wirtschaft anzukurbeln statt Staatenaufbau in Irak und Afghanistan zu betreiben. Schon im Fall des Eingreifens in Libyen musste sich der Präsident den Vorwurf gefallen lassen, den War Powers Act zu verletzen, weil er die Zustimmung des Kongresses nicht einholte.
Angst vor einem zweiten Irak
Dass 2012 ein Präsidentschaftswahljahr ist, macht die Sache nicht leichter, und die Öffentlichkeit ist schon seit Jahren kriegsmüde. Zumal man in Syrien, befürchtet James Carafano von der Heritage Foundation, nach einer militärischen Intervention massiv eingreifen müsse, um eine Lage wie im Irak 2005 zu verhindern. Denn die Situation gleiche sich: "Es gibt eine Regierung, die zu nichts anderem in der Lage ist, als sich an der Macht zu halten, es gibt unglaubliche Korruption, terroristische Verbindungen quer über das ganze Land, ethnische Spannungen".
Selbst die Republikaner fordern derzeit keine militärische Intervention. Senator John McCain, Obamas Konkurrent im Rennen um die Präsidentschaft 2008 und Mitglied des Streitkräfteausschusses des Senats, meinte zwar, die diplomatischen Optionen seien erschöpft, forderte aber als nächsten Schritt, die syrische Opposition zu bewaffnen. Offiziell erteilte die US-Regierung diesem Ansinnen eine Absage. Obamas Sprecher Jay Carney erklärte in Washington, man würde derzeit über humanitäre Hilfe nachdenken. Letztlich ist diese Zurückhaltung im Fall Syrien die Fortsetzung der nüchtern kalkulierenden Obama-Politik, die sich schon in Libyen gezeigt hat, wo die Amerikaner zwar Unterstützung leisteten, aber die Führung anderen überließen: Die Amerikaner spielen nur dann den Weltpolizisten, wenn die Kosten den Nutzen nicht übersteigen.
Autor: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Rob Mudge