Die Anti-Amazon-Strategien
13. Juli 2016Es gibt nicht wenige Wege, auf denen ein Buch zum Käufer finden kann. In diesem Sommer zum Beispiel läuft in Deutschland eine Kampagne unter dem Titel "Buch an Bord", und an der ist eine ganze Fluglinie beteiligt. Hat man den Aufkleber "Buch an Bord" auf seinem Koffer kleben, schenkt einem die Airline Condor beim Einchecken ein Kilo Freigepäck. Das reicht für ein dickes Buch, gekauft im Buchladen, der dem Kunden auch die Aufkleber mitgibt.
Der Herder-Verlag machte in dieser Woche mit einer Buch-Strategie auf ganz anderem Niveau Furore: Das deutsche Traditionshaus kaufte sich gleich eine ganze Buchhandelskette. Thalia ist einer der Großen im deutschen Buchhandel - Markanteil rund 15 Prozent, 4000 Mitarbeiter. Der Herder Verlag ist zwar sehr alt - er wurde 1801 gegründet -, aber recht klein: Thalia ist 40mal so groß wie der Verlag, der ihn nun übernimmt.
Zerlegen, sanieren, verkaufen
Dahinter steckt eine Strategie, die einiges über die Lage in der Buchbranche verrät: Bücher verkauft man nicht mehr allein über nur einen Weg, den Buchladen etwa, sondern auf allen anderen möglichen Kanälen (und sei es mit Hilfe von Fluglinien). Darin war Thalia in den letzten Jahren so erfolgreich, dass die Kette vom Sanierungsfall zum Vorbild in der Branche wurde.
Die Zusammenarbeit zwischen Verlag und Buchkette, also zwischen Herder und Thalia, hat eine lange Geschichte. Thalia war bislang Teil der Douglas-Holding, zu der auch eine Parfümerie-Kette, Süßwarenläden und manches andere gehörte. Die Besitzer-Familie Kreke übernahm vor 20 Jahren einige Buchläden von Herder und brachte sie in die Thalia-Kette ein.
Nun also der Weg zurück. Dazwischen lag allerdings das Engagement eines Finanzinvestors, der jetzt Kasse machen konnte. Im Oktober 2012 übernahm die Beteiligungsgesellschaft Advent 80 Prozent der Douglas-Holding für rund 1,5 Milliarden Euro mit dem erklärten Ziel, die Gruppe zu zerlegen, zu sanieren und zu verkaufen. Nach nicht einmal vier Jahren sagte Advent-Chef Ranjan Sen nun dem deutschen "Handelsblatt": "Wir haben alles erreicht, was wir uns vorgenommen haben."
Bunte Läden mit Büchern
Thalia hat in den letzten Jahren einen scharfen Sanierungskurs erlebt. Filialen wurden dicht gemacht, die Verkaufsfläche reduziert, das Sortiment erweitert. In manchen der bunten Thalia-Läden musste man schließlich genauer hinsehen, um zwischen Spielen und allerlei Mitnahmeartikeln die Bücher zu finden. Der Gewinn aber habe sich in der Zeit von 20 Millionen auf 40 Millionen Euro verdoppelt, heißt es in Finanzkreisen. Jetzt betreibt Thalia 281 Filialen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.
Thalia steht aber auch für den erfolgreichen Versuch, eine digitale Strategie jenseits des gedruckten Buches im deutschsprachigen Raum durchzusetzen. Und jenseits vom großen Konkurrenten Amazon. Damit hat sich Thalia das eigene Überleben gesichert, und davon will nun Herder profitieren.
Der Erfolg dieser Digitalisierungsstrategie hängt mit einem kleinen Lesegerät namens Tolino zusammen. Dahinter steckt eine ziemlich große Koalition: Mehrere große Buchketten taten sich 2013 mit der Deutschen Telekom zusammen, um Amazon mit seinen Kindle-Geräten Paroli bieten zu können. Von der Telekom kommt die Technologie, die Buchketten bieten die Vertriebswege. Die Anti-Amazon-Strategie zieht: In Deutschland hat der Amazons Kindle einen Marktanteil von weniger als 40 Prozent, berechnete das Markforschungsinstitut GfK; in Großbritannien oder den USA kommt Kindle auf 70 bis 80 Prozent.
Erfolgsmodell Tolino
Das Tolino-Lesegerät wird heute in fast zwei Drittel der rund 6000 deutschen Buchhandlungen verkauft. "Wir wollen den digitalen Wandel aktiv gestalten", sagte der neue Thalia-Aufsichtsratschef Leif Erik Göritz dem "Handelsblatt". Thalia ist beim Verkauf von E-Books in Deutschland mittlerweile die Nummer zwei hinter Amazon.
Auf den sogenannten stationären Buchhandel, also die Läden, in denen man ein Buch, das man kaufen will, in die Hand nehmen kann, wollen Thalia und Herder aber nicht verzichten. Kein Wunder: Am Gesamtumsatz des Buchmarktes hatte 2015 der Handel in den Buchläden mit 48 Prozent den größten Anteil. Auch wenn der Gesamtumsatz im vergangenen Jahr noch um 1,4 Prozent auf 9,2 Milliarden Euro zurückging. In diesem Jahr allerdings machen die Buchläden wieder Boden gut, berichtet der Branchenverband: In den ersten vier Monaten sei der Umsatz um 1,9 Prozent gewachsen, sagte der Geschäftsführer des Börsenvereins Alexander Skipis. Das habe die Branche trotz eines "beispiellosen Medienwandels" im Zuge der Digitalisierung geschafft.
Aber auch beim klassischen Buchladen muss sich die Branche auf neue Bedingungen einzustellen. Auch Thalia will wieder neue Filialen eröffnen, aber die werden nicht mehr so groß sein wie früher, so der Thalia-Chef. 400 bis 500 Quadratmeter Verkaufsfläche müssen jetzt reichen - bis vor wenigen Jahren gab es Riesenläden im Buchhandel, die alle wieder schließen mussten. Allein im letzten Jahr machten 150 Geschäfte zu, es gingen 40.000 Quadratmeter Verkaufsfläche verloren.
Papst und Dalai Lama
Klein ist fein und rechnet sich (vielleicht), das weiß nun wieder mancher der Buchhändler, die sich mit 90 oder auch nur 60 Quadratmetern Fläche durchsetzen. Wenn sie eigene Ideen haben, um sich gegen die Marktmarkt und Schnelligkeit von Amazon zu behaupten. So leistet sich die Buchhandlung "Patz" im niedersächsischen Örtchen Bienenbüttel jedes Jahr ein eigenes Buchfestival - eine Woche mit kleinen Verlagen. In Berlin hat die Buchhandlung „Buch|Bund“ nur zwei kleine Räume in einer Seitenstraße, macht aber Veranstaltungen fast im Wochenrhythmus zu osteuropäischer Literatur. Mit solcher Spezialisierung haben kleine Buchläden wieder Chancen, weil die großen Buchtempel gescheitert sind - und etliche neue Kleine gehen an den Start.
Der Herder-Verlag hat für seine Bücher nun mit Thalia eine eigene Vertriebskette zur Verfügung; dort gibt's dann künftig auch die Bücher des Dalai Lama oder von Papst Franziskus. Auch die sind nämlich Autoren des Traditionsverlag, ihre Bücher gibt's auf Papier oder digital. Beides kann man auch mit ins Flugzeug nehmen - als "Buch an Bord".