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Digitale Revolution auf dem Buchmarkt

Jefferson Chase18. Dezember 2014

Der Buchmarkt in Deutschland würde sehr vom anglo-amerikanischen Pioniergeist bezüglich E-Books profitieren, findet DW-Autor Jefferson Chase.

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Ein Kindle in Nahaufnahme (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia

Zu den offensichtlichsten Unterschieden zwischen den englischsprachigen und deutschen Buchmärkten gehört die Tatsache, dass englischsprachige Leser sich viel schneller für elektronische Literatur haben begeistern lassen, als das skeptischere deutsche Lese-Volk. Wenn das Medium die Botschaft ist, bedeutet das, dass die beiden Lesekulturen automatisch auseinanderdriften? Werden andere Arten von Büchern auf Englisch und auf Deutsch veröffentlicht, weil das eine Publikum gerne auf dem Kindle liest?

Ich glaube nicht. Mit Hilfe von "big data" wissen Verleger mehr denn je über die Vorlieben und Gewohnheiten von Lesern, und theoretisch ließen sich "maßgeschneiderte" Bücher bestellen. Aber solche Daten sind keineswegs zuverlässig. Ich benutze zum Beispiel Amazon hauptsächlich dafür, Weihnachtsgeschenke für meine amerikanische Verwandtschaft zu kaufen und erhalte als Vorschläge für weitere Einkäufe Bücher über Modelleisenbahnen und Heavy-Metal-CDs. Die teuren Algorithmen haben mich erfasst, und es stellt sich heraus: Ich bin Headbanger mit einer Schwäche für Märklin.

Lange vor den Computern versuchten andere schattenhafte, kalkulierende Wesen, den Geschmack von Lesern zu antizipieren und zu steuern. Die hießen Lektoren oder Verleger. Zutiefst menschlich handeln sie oft nach dem Prinzip: Wie kann ich mich am besten rechtfertigen, wenn alles schief geht? Deswegen veröffentlichen sie Bücher, die anderen schon veröffentlichten Büchern ähnlich sind. Frei nach dem Motto: "Das Ding war 'Houellebecq-trifft-Franzen', es hätte eigentlich ein Riesen-Hit werden müssen." Diejenigen, die sich sorgen, Datenkraken würden die kulturelle Vielfalt bedrohen, können beruhigt sein, so viel anders ist der Buchmarkt meines Erachtens nicht geworden. Und Überraschungs-Erfolge gibt es immer wieder.

Ich habe viele Jahre sowohl für englischsprachige als auch für deutsche Verlage gearbeitet und meine, dass beide fast identischen Spielregeln unterliegen. Was nicht heißt, dass die englischen und deutschen Buchmärkte sich nicht unterschieden. Das tun sie, und zwar deutlich. Aber die Gründe sind weniger technologisch als historisch.

"Wenn sie nur nicht so langweilig wären"

Der Schriftsteller Daniel Kehlmann (Foto: dpa)
Daniel Kehlmann ist auch im anglo-amerikanischen Sprachraum populärBild: picture-alliance/dpa

Vergleicht man die deutschen Belletristik-Bestsellerlisten mit denen aus den USA oder England, fällt sofort auf, wie viele meist aus dem Englischen übersetzte Bücher die Deutschen lesen. Auf dem englischsprachigen Markt hingegen spielt die zeitgenössische deutsche Literatur abgesehen von Daniel Kehlmann, Bernhard Schlink oder (für Intellektuelle) W.G. Sebald so gut wie gar keine Rolle.

Ist also der deutsche Buchmarkt kosmopolitischer? Nein. Zeitgenössische englischsprachige Literatur hat den enormen Vorteil, sich aus etwa einer Milliarde Mutter- oder Fast-Muttersprachler speisen zu können. Die Situation spiegelt die jetzige Vormachtstellung der USA und die Vergangenheit Großbritanniens als Kolonialmacht wider. Kiran Desai, Jhumpa Lahiri, Hari Kunzru, Aravind Adiga - allein die Liste hervorragender indischer oder indisch-stämmiger Autoren, die mir sofort einfallen, ist sehr beeindruckend.

Die deutsche Literatur verfügt natürlich über keinen so großen oder vielfältigen Talentpool - wie man so schön auf Neudeutsch sagt - aber auch das geschichtliche Erbe beeinflusst die heutigen deutschen Schriftsteller. Im Laufe des 19.Jahrhunderts wurde für viele Menschen im deutschsprachigen Europa Literatur eine Art Ersatz für die fehlende politische Einheit. Die Literatur war und bleibt kulturell wichtiger in Deutschland, als sie in England oder den USA ist. Das setzt wiederum die Schriftsteller unter einen nicht immer produktiven Druck.

Die gute Nachricht für deutsche Schriftsteller: Angesichts der umfangreichen Fördermittel in Deutschland kann man sich, wenn man ein Erstlingswerk erfolgreich platziert hat, wie ein Orang-Utan von einem Preis oder Stipendium zum nächsten hangeln. Ich gebe es gerne zu - hier spricht der blanke Neid. Die schlechte Nachricht für deutsche Leser: Es gibt genug zweite Romane über Schriftsteller mit Schreibblockade, die ihre Stipendien auf irgendeinem Schloss in der Pampa absitzen, um ein ganzes Affenhaus zu füllen.

"Ich würde gerne mehr deutsche Romane veröffentlichen", sagte mir einmal ein US-Verleger. "Wenn sie nur nicht so langweilig wären."

Erfolgsgarantie Hakenkreuz

Der britische Autor Ian Kershaw (Foto: AP)
Weder populistisch noch verkopft: Sachbücher wie die Hitler-Biografie des britischen Historikers Ian Kershaw sind auf dem deutschen Markt selten zu findenBild: AP

Was Sachbücher anbelangt, sind die englisch- und deutschsprachigen Bestsellerlisten ähnlich voll mit Selbsthilfe, Promibeichten, "witzigen" Alltagsbeobachtungen und oft als Präsent verschenkten, aber selten gelesenen Politiker-Memoiren. Der englische Markt zeigt immerhin im Sachbuchbereich etwas Interesse an Deutschland. Vorausgesetzt, es geht um den Zweiten Weltkrieg. Wenn man ein Hakenkreuz aufs Cover drucken kann, so die Faustregel der Verlage, kann man ein Buch gut verkaufen.

Ich beschwere mich nicht darüber. Über die Jahre habe ich das Glück, viele Bücher von begabten, innovativen und interessanten deutschen Historikern übersetzen zu dürfen. Heutzutage weiß ich mehr über Hitler, den Holocaust und das Dritte Reich, als wahrscheinlich gut für meine Geistesverfassung ist. Dabei habe ich festgestellt, dass es eine Art englischsprachiges Sachbuch gibt, das auf dem deutschen Markt zu selten zu finden ist. Nennen wir sie die ernstzunehmende, aber nichtakademische Abhandlung.

Die meisten deutschen Sachbücher sind entweder populärwissenschaftlich oder verkopft-akademisch, es existiert wenig zwischen diesen beiden Polen. Auf dem englischen Buchmarkt gibt es jedoch eine nicht unerhebliche Sparte von Büchern, die einen lesbaren Stil und eine direkte Darstellungsweise mit wissenschaftlicher Fundiertheit vereinen und ohne Tausende von Fußnoten auskommen. Selbst Universitätsverlage wie Harvard oder Oxford University Press tauchen gelegentlich auf Bestseller-Listen auf.

Ich glaube nicht, dass Deutsche an und für sich einen ungesunden Hang zu Fußnoten haben. Eher scheint mir das Vorurteil "je undurchsichtiger, um so bedeutsamer" in den Köpfen mancher Verleger zu herrschen. Ernstzunehmende englischsprachige Verleger legen dagegen meiner Meinung nach mehr Wert auf die möglichst große Verbreitung von Ideen. Was uns zurück zu den elektronischen Büchern führt.

Eine kleine Hoffnung auf Emanzipation

DW-Reporter Jefferson Chase (Foto: DW/Pock)
Ein Amerikaner in Berlin: DW-Autor Jefferson Chase macht sich keine Sorgen über die Zukunft des BuchesBild: DW/O. Pock

Meine 73-jährige Mutter liest jetzt fast exklusiv auf dem Kindle, während ich mich nie für Tablets und dergleichen habe erwärmen können. Obwohl ich mehrfach ohne Erfolg versucht habe, bei deutschen und amerikanischen Verlagen Buchideen zu verkaufen, käme mir elektronisches Selbstverlegen wie Mogeln vor. In dieser Hinsicht bin ich eben altmodisch-deutsch.

Dennoch hat der Erfolg des elektronischen Buchmarktes im englischsprachigen Raum, soweit ich sehen kann, zu keiner intensiveren kommerziellen Gedankensteuerung geführt. Wenn überhaupt, scheinen die neuen Medien eher den Autoren eine kleine Hoffnung zu bieten, sich von den konservativen Gesetzen der Kulturindustrie befreien zu können.

Also glaube ich, dass ausgerechnet der deutsche Buchmarkt sehr vom Pioniergeist anglo-amerikanischer Länder bezüglich E-Books profitieren würde. Alles, was die Schranke zwischen U- und E-Literatur im deutschen Verlagswesen durchbrechen würde, wäre meines Erachtens einen Versuch wert. Es gibt sicherlich mehr gute Bücher im deutschsprachigen Raum als nur diejenigen, die gegenwärtig gedruckt werden.

Jefferson Chase hat mehr als ein Dutzend Bücher aus dem Deutschen ins Englische übersetzt.