Experiment saubere Kohle
10. März 2009Förderband, Kesselhaus, umrahmt von jeder Menge Rohrleitungen und Arbeitsbühnen, Kühltürme, schlanke Schlote: Das Besondere am kleinen 30-Megawatt-Kraftwerk im Industriepark Spremberg ist nur für Fachleute wie Projektleiter Uwe Burchhardt auf Anhieb zu erkennen: die Hallen für die Abtrennung von Kohlendioxid (CO2) und Luftzerlegung.
Die beiden aus dem Chemieanlagenbau übernommenen Anlagen okkupieren fast die Hälfte der Betriebsfläche der CCS-Anlage. CCS heißt Carbon Capture an Storage und bedeutet, dass Kohlendioxid wird nicht mehr in die Luft geblasen, sondern abgeschieden und gelagert wird. Manche sprechen vom Kraftwerk mit angeschlossener Chemiefabrik.
CO2 in die Erde, nicht in die Luft
Mehrere Energiekonzerne arbeiten weltweit am CO2-emissionsarmen Kohle-Kraftwerk - mit unterschiedlichen Technologien. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hält das sogenannte Oxyfuel-Verfahren für das zukunftsträchtigste, erklärt Experte Burchhardt. "Dabei wird die Verbrennung mit reinem Sauerstoff durchgeführt, so dass dort gleich ein hochkonzentrierter CO2-Strom erzeugt wird, den man dann weiter reinigen, verflüssigen, transportieren und speichern kann."
Burchardts 35-köpfiges Team versucht derzeit, die richtige Mischung aus Sauerstoff und Rauchgas bei der Verbrennung zu finden, um möglichst viel Kohlendioxid abzuscheiden.
Feigenblatt oder Alternative?
Deutsche Umweltverbände kritisieren die Spremberger Pilotanlage jedoch als bloßes "Feigenblatt" für den weiteren Ausbau der umweltschädlichen Kohleverstromung. Vattenfalls Projekt-Sprecher Damian Müller sieht das anders: 140 Millionen Euro, die sein Unternehmen in den Versuch steckt, seien schließlich kein Pappenstiel. "Wir sind guter Dinge, dass diese Technologie Erfolg hat, dass sie auch weltweit zum Einsatz kommen kann. Wenn es niemand ausprobiert, dann wird nichts passieren."
Auch der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung in Umweltfragen berät, hält die Erforschung der Technologie für sinnvoll. Denn Strom und Wärme aus Kohle herzustellen, ist möglicherweise auf absehbare Zeit unverzichtbar - besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern.
90 Prozent weniger Ausstoß
Vattenfalls kaum zehn Jahre altes Großkraftwerk direkt neben der Pilotanlage pustet pro verbrannter Tonne Braunkohle immer noch eine Tonne Kohlendioxid in die Luft. Die künftigen CCS-Kraftwerke sollen diesen Ausstoß um 90 Prozent senken.
Der Aufwand könnte sich lohnen: 2015, wenn das erste ausgewachsene emissionsarme Kraftwerk von Vattenfall funktionieren soll, werde der Ausstoß einer Tonne CO2 in Europa vielleicht 30 bis 40 Euro Gebühr kosten, vermutet Burchhardt. Vattenfall würde beim Kauf von sogenannten Zertifikaten eine Menge Geld einsparen.
Laut Chefingenieur harmonieren die einzelnen Komponenten der Pilotanlage nach halbjährigem Probelauf überraschend gut. "Wir sind ganz optimistisch, dass das der Weg in die Zukunft sein kann." Das größte Problem sei der große Eigenverbrauch an Energie, sagt Burchhardt. Weil die zusätzliche Luftzerlegungsanlage jede Menge Energie schluckt, droht der Wirkungsgrad gegenüber heutigen modernen Kohlekraftwerken um zehn Prozent zu sinken. Die Folge wäre, dass mehr Kohle, mehr Tagebaue und mehr zerstörte Landschaft notwendig würden.
Um den Heizwert der Braunkohle zu steigern, hat man die Pilotanlage jüngst für fast sieben Millionen Euro mit einer Kohlevortrocknung ausgestattet. Dampferzeuger und Turbinen, die Temperaturen über 700 Grad aushalten, könnten den Wirkungsgrad zusätzlich erhöhen.
Ungeklärte Speicherung
Weniger gut als die Kohlendioxid-Abtrennung läuft der zweite Teil des Vattenfall-Projekts, nämlich die Entsorgung des flüssigen Klimakillers. Vorgesehen ist, das abgeschiedene CO2 in Tanklastwagen über 350 km in die Altmark zu transportieren, wo es in ein ausgefördertes Erdgaslager gepresst werden soll. Doch bisher tun sich die Behörden in Sachsen-Anhalt mit der Genehmigung schwer und warten auf ein Gesetz der Bundesregierung.
Denn die Frage, ob und wie große Mengen flüssigen Kohlendioxids gefahrlos und dauerhaft unter der Erde gelagert werden könnten, ist noch weitgehend ungeklärt. Im brandenburgischen Ketzin läuft deshalb das europaweite Forschungsprojekt "CO2sink", in dem untersucht wird, wie flüssiges CO2 in 800 Metern Tiefe in salzwassergefülltes Gestein eingepresst werden kann. Doch die Injektionsanlage ist zu klein für die komplette Entsorgung von Vattenfalls Pilotprojekt. So geschieht - sehr zum Ärger von Chefingenieur Uwe Burchhardt - derzeit etwas Absurdes: Ein Teil des flüssigen CO2 wird wieder in Gas umgewandelt und in die Luft geblasen.