Strauss-Kahn auf Gefängnisinsel verlegt
16. Mai 2011Die zuständige Richterin in New York begründete ihre Entscheidung am Montag (16.05.2011) damit, dass Fluchtgefahr bestehe. Die Richterin folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Diese hatte erklärt, es bestehe die Gefahr, dass der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, versuchen könnte, in sein Heimatland Frankreich zu fliehen. Die Verteidigung hatte beantragt, Strauss-Kahn gegen die Zahlung einer Kaution von einer Million Dollar auf freien Fuß zu setzen und versichert, der 62-Jährige werde New York nicht verlassen.
Damit muss der Franzose mindestens bis zur nächsten Anhörung am Freitag hinter Gittern bleiben. Am Montagabend wurde Strauss-Kahn in den Gefängniskomplex Rikers Island im East River gebracht, der Platz für rund 17.000 Gefangene bietet. Der IWF-Chef werde keinen Kontakt zu anderen Insassen haben, sagte der Sprecher der New Yorker Justizverwaltung. Dies bedeute aber nicht, dass er immer in seiner Zelle bleiben müsse. Vielmehr werde er bei jedem Freigang von einem Gefängniswärter begleitet.
Strauss-Kahn werden versuchte Vergewaltigung, sexueller Missbrauch und Nötigung vorgeworfen. Er hat nach Darstellung der Staatsanwaltschaft am Samstag in einem New Yorker Luxushotel versucht, ein Zimmermädchen zu vergewaltigen. Nach ihrer Schilderung wollte er sie zum Oralsex zwingen, sie habe aber leicht verletzt fliehen können. Die Anklagevertreter verwiesen bei der Anhörung auf Berichte, wonach der IWF-Chef in der Vergangenheit "mindestens einmal" in einen ähnlichen Fall verwickelt gewesen sein soll. Strauss-Kahns Anwälte plädierten für ihren Mandanten auf nicht schuldig. Sie erklärten, dass der IWF-Chef das Hotel in Eile verlassen habe, weil er für ein Mittagessen verabredet gewesen sei. Dafür gebe es einen Zeugen.
Französische Medien: Strauss-Kahn hat ein Alibi
Auch mehrere französische Medien berichteten, der französische Sozialist Strauss-Kahn habe zur angeblichen Tatzeit ein Alibi gehabt. Demnach soll Strauss-Kahn am Samstagmittag mit seiner Tochter Camille, die in New York studiert, in einem Restaurant zu Mittag gegessen haben.
Die Zeitung "Le Monde" berichtete, Strauss-Kahn habe seine Hotelrechnung um 12.28 Uhr bezahlt und sich dann auf den Weg zum Essen mit seiner Tochter gemacht. Nach dem Essen sei er zum Flughafen gefahren. Diese Zeitangaben stehen in Widerspruch zu ersten Angaben der New Yorker Polizei, wonach Strauss-Kahn das Zimmermädchen gegen 13.00 Uhr in seiner Hotel-Suite sexuell belästigt haben soll.
Den Zeitungsberichten zufolge widersprachen Zeugen auch der Schilderung der Polizei, wonach der IWF-Chef das Hotel fluchtartig verließ. "Le Monde" verwies zudem darauf, dass der Franzose selbst im Hotel anrief, weil er dort sein Handy vergessen hatte. Dieser Anruf habe die Polizei erst auf die Fährte zum Flughafen gebracht. Strauss-Kahn wurde kurz vor dem Abflug der Air-France-Maschine festgenommen.
Frankreichs Sozialisten vor Zerreißprobe
Vor der Affäre galt Strauss-Kahn als aussichtsreichster Kandidat der französischen sozialistischen Partei PS für die Präsidentenwahl im kommenden Jahr. Die Festnahme bedeutet höchstwahrscheinlich das Aus für seine Kandidatur. PS-Parteichefin Martine Aubry sprach nach der Festnahme von Strauss-Kahn von einem "Donnerschlag". Sie mahnte die Parteigenossen zur Einheit und will die Führung in den kommenden Tagen zu einem Krisentreffen zusammenrufen. Aubry und ihr Vorgänger François Hollande kommen derzeit beide als Kandidaten für die Nachfolge von Präsident Nicolas Sarkozy infrage. Die Partei will an den für Oktober geplanten Vorwahlen festhalten. "Die PS ist weder kopflos noch geschwächt", sagte Parteisprecher Harlem Désir in Paris. Die Affäre Strauss-Kahn sei eine "Privatangelegenheit".
Doch der Skandal weitet sich auch in seiner Heimat aus: Die Autorin Tristane Banon erwägt nach Aussage ihres Anwalts David Koubbi eine Anzeige wegen sexueller Belästigung. Der Zwischenfall habe sich 2002 ereignet. Nach französischem Recht verjähren versuchte Vergewaltigungen erst nach zehn Jahren. Banon habe bislang auf eine Anzeige verzichtet, weil Druck auf sie ausgeübt worden sei. Auch ihre Mutter, eine Regionalpolitikerin der Sozialistischen Partei, habe ihr davon abgeraten.
Debatte um Nachfolge an IWF-Spitze
Noch während des juristischen Tauziehens um Strauss-Kahn entbrannte eine Diskussion über seine Nachfolge an der Spitze des Internationalen Währungsfonds. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich wegen der Schuldenkrise für einen Europäer als Chef der mächtigen Finanzinstitution aus, sollte ein Führungswechsel notwendig werden. "Wir wissen, dass auf mittlere Zeiträume sicherlich die Schwellenländer auch Anspruch haben – sowohl auf den Posten des IWF-Chefs als auch auf den Posten des Weltbank-Chefs", sagte Merkel. Es gebe in der jetzigen Phase aber gute Gründe, dass Europa auch gute Kandidaten zur Verfügung habe. Als mögliche Kandidatin gilt die französische Finanzministerin Christine Lagarde.
Das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank Ewald Nowotny verlangte eine baldige Entscheidung in der IWF-Führungsfrage. "Es ist im Interesse aller zu hoffen, dass es rasch eine klare Lösung gibt", sagte der Österreicher. Der IWF müsse handlungsfähig bleiben. Der Eurokurs war zu Wochenbeginn auf den tiefsten Stand seit sieben Wochen gefallen, weil Investoren durch die Festnahme des IWF-Chefs Verzögerungen bei Hilfen für Griechenland und andere hoch verschuldete Eurostaaten befürchten. Die EU-Kommission versuchte, die Sorge vor einer Zuspitzung der Schuldenkrise durch die Festnahme Strauss-Kahns zu dämpfen. "Ich möchte der Öffentlichkeit, den Märkten und den Medien versichern: Bereits getroffene Entscheidungen werden nicht beeinträchtigt", sagte Kommissionssprecher Amadeu Altafaj in Brüssel.
Autorin: Naima El Moussaoui (rtr, dpa, afp)
Redaktion: Martin Schrader, Annamaria Sigrist