Krisenhelfer in der Krise
16. Mai 2011Für die Anhänger des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy kommen die jüngsten Anschuldigungen gegen den Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, gerade recht. Sie verweisen genüsslich auf den exzentrischen Lebensstil des Franzosen, seine Vorliebe für Frauen, Luxusautos und Maßanzüge. Für das sozialistische Lager in Frankreich sind die jüngsten Vorwürfe dagegen Teil einer Schmutzkampagne. Denn Strauss-Kahn galt als aussichtsreichster möglicher Herausforderer von Nicolas Sarkozy bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2012.
In der Nacht zum Sonntag (15.05.2011) war Strauss-Kahn von der Polizei in New York festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn der versuchten Vergewaltigung an.
Eigentor
Als Sarkozy die Präsidentschaftswahlen gewann, setzte er sich umgehend für eine Kandidatur Strauss-Kahns für den Chefposten des IWF ein. Politische Beobachter sahen darin einen klugen Schachzug des französischen Präsidenten, den möglicherweise gefährlichsten Konkurrenten bei den Präsidentschaftswahlen 2012 nach Washington zu entsorgen, wo er keine Schlagzeilen mehr in der französischen Presse produzieren würde.
Doch der vermeintlich kluge Schachzug geriet zum Eigentor, denn das Gegenteil trat ein. Strauss-Kahn und der IWF produzierten eine Schlagzeile nach der anderen - nicht nur in der französischen Presse, sondern weltweit. Denn die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 machte den IWF, die Finanzfeuerwehr der Vereinten Nationen, plötzlich wieder zum gefragten Helfer, zum Dreh- und Angelpunkt für alles, was mit Krisenlösung und -prävention zu tun hatte.
Noch in den Jahren zuvor drohte die Finanzinstitution der Vereinten Nationen mit ihren 187 Mitgliedsländern fast in die Bedeutungslosigkeit zu versinken. Kein Staat, der in Not geraten war, mochte sich auf die Hilfen des IWF mit seinen harten Sparauflagen einlassen und die ewig gleichen neoliberalen Rezept wie Deregulierung und Privatisierung erdulden - lieber gründeten sie eigene regionale Entwicklungsbanken in Asien und Lateinamerika.
Vakuum
Doch mit dem Sozialisten Strauss-Kahn lockerte sich die Politik des IWF, in der Finanzkrise wurden die Hilfsmittel des Fonds um 500 Milliarden Dollar aufgestockt, und der Rat des Krisenhelfers in Washington war wieder gefragt. Auch in Europa, wo der IWF in die Hilfen für die klammen Länder Griechenland, Portugal und Irland eingebunden ist. So wollte sich Strauss-Kahn am Sonntag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin treffen, um das weitere Vorgehen in Sachen Griechenland zu besprechen. Ende Juni entscheiden EU-Kommission, Europäische Zentralbank und der IWF, ob Griechenland eine weitere Hilfe über zwölf Milliarden Euro bekommt. Ein Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte am Montag (16.05.2001), dass es "keinen Zweifel der Kontinuität des IWF" gebe. Bei den Beratungen der EU-Finanzminister zur Schuldenkrise am Dienstag wird Strauss-Kahn von der Vize-Generaldirektorin des IWF, Nemat Shafik, vertreten.
Sollte Dominique Strauss-Kahn die jüngsten Anschuldigungen gegen Ihn politisch nicht überstehen, entstünde kurzfristig ein Vakuum in der Führungsriege des IWF. Denn auch sein Stellvertreter, der Amerikaner John Lipsky, hatte vor einigen Tagen seinen Rückzug vom Amt des IWF-Vize angekündigt. Lipsky übernimmt dennoch zunächst geschäftsführend die Nachfolge von Strauss-Kahn.
Bisher galt ein ungeschriebenes Gesetz, dass die IWF-Spitze von einem Europäer gestellt und die Schwesterorganisation Weltbank von einem Amerikaner geleitet wird. Das könnte diesmal anders werden. Denn die großen Schwellenländer wie China oder Brasilien haben in den letzten Jahren deutlich mehr Einfluss auf die Institutionen in Washington bekommen. Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte am Rande der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington, das Top-Management der führenden Finanzinstitutionen sollte in einem offenen, transparenten und auf Leistung basierenden Prozess bestimmt werden, "unabhängig von Nationalität oder Geschlecht."
Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Martin Schrader