Clint Eastwood wird 90
31. Mai 2020Vielleicht repräsentiert kein anderer US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur die Vereinigten Staaten so sehr wie er: Clint Eastwood, der am 31. Mai 1930 in San Francisco geboren wurde, steht für Revolverkino und Selbstjustiz, aber auch für feine Kunst und Selbstreflexion. Diesen Giganten Hollywoods kann man wohl am am besten verstehen, wenn man seine beiden Seiten in den Fokus nimmt.
Erfolg auf dem Pferdesattel und mit dem Revolver auf der Straße
Seinen Durchbruch feierte der ehemalige amerikanische TV-Western-Star mit Rollen in der europäischen Version des Genres, dem Italo-Western des Italieners Sergio Leone: "Für eine Handvoll Dollar" war der erste große Erfolg des lang aufgeschossenen Schauspielers mit dem markanten Gesicht. Der Film entstand 1964 in Europa und war die Neuverfilmung eines japanischen Filmklassikers von Akira Kurosawa. Ein Amerikaner dreht auf dem alten Kontinent bei einem Regisseur, der sich wiederum vom japanischen Kino inspirieren lässt - auch das kann man als Zeichen deuten. Die Rolle, die Eastwood übernahm, folgte dann allerdings wieder klassischen Hollywood-Helden.
Es steckte also schon viel drin in dieser damals noch jungen Karriere, die mühsam und von einigen Tiefschlägen gekennzeichnet begann und alles andere als typisch war für einen späteren Hollywood-Superstar. Zunächst war er nur ein mäßig erfolgreicher Fernsehstar, er blieb aber beharrlich. Das klingt heute seltsam, kennt man diesen Schauspieler, Regisseur und mehrfachen Oscar-Preisträger doch schon lange als Ikone des US-Kinos.
Eastwood baute seine Karriere konsequent aus
Sein Image des coolen, aber auch brutalen Helden baute er in den 1970-Jahren mit den "Dirty-Harry"-Filmen aus. Und als einen Verfechter der Selbstjustiz, als Waffennarren und Patrioten kennt man in bis heute. Ein Film wie "American Sniper", von Eastwood im Jahr 2014 inszeniert, steht für eine Seite des US-Amerikaners, die aus europäischer Sicht oft verstörend und fremd wirkt. Doch Eastwood kann auch anders. Und da fängt das "Mysterium Clint Eastwood" an. Irgendwann in seiner Karriere muss sich dieser Actionstar gedacht haben, das kann doch nicht alles ein, Western und Polizeifilm, Kugelhagel und Indianerjagd.
Der "andere" Eastwood erfand sich auf zwei Ebenen. Das ist heute im Rückblick immer noch erstaunlich und zählt zu den bemerkenswertesten Karriereverläufen Hollywoods. Clint Eastwood setzte sich selbst auf den Regiestuhl, erstmals 1971 für "Sadistico". Und anders als für so manchen amerikanischen Schauspielstar, der nicht immer nur nach der Pfeife der Regisseure tanzen wollte, war dieser Ausflug hinter die Kamera kein Zwischenspiel. Eastwood blieb der Profession treu. Bis heute hat der Amerikaner fast 40 Spielfilme inszeniert.
Es sind einige cineastische Perlen dabei, Werke, auf die das Prädikat "Autorenfilm" unbedingt zutrifft, "Kunstfilme" könnte man auch sagen, wenn dieses Wort in Zusammenhang mit Clint Eastwood nicht so unpassend klingen würde: der Jazzfilm "Bird" zum Beispiel oder das herzzerreißende Melodrama "Die Brücken am Fluss". Oder auch Filme wie "Mystic River", "Million Dollar Baby" und "Gran Torino", alle entstanden im neuen Jahrtausend, als Eastwood bereits die 70 überschritten hatte.
Eastwoods Rollen bekamen im Laufe der Jahre etwas Selbstreflektierendes
Die andere, zweite Ebene, die Eastwood für sich erfand, war der Rollenwechsel als Schauspieler. Immer öfter setzte er sich in seinen Filmen als reflektierenden Charakter ein, zeigte überraschende Facetten, legte seine Rollen differenziert und vielschichtig an. Am auffallendsten war das in den Spätwestern "Pale Rider - der namenlose Reiter" und "Erbarmungslos". Da spielte er mit Heldenklischees im uramerikanischen Filmgenre schlechthin, dem Western. Irgendwann war er dann meilenweit entfernt von einem John Wayne, dem amerikanischen Helden früherer Zeiten, der nur in Ausnahmefällen zu diesem Facettenreichtum gefunden hatte.
Klar, könnte man nun sagen, Clint Eastwood ist altersweise geworden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, siehe "American Sniper". Eher nähert man sich dem Phänomen Clint Eastwood wohl, wenn man sein Engagement in der Politik in den Blick nimmt. Eastwood stand stets den Republikanern nah, doch ein Parteipolitiker vor der Kamera war er nie.
Unabhängigkeit bis in die letzte Konsequenz ist wohl eher sein Markenzeichen: "Ich glaube, ich war schon gesellschaftspolitisch links und wirtschaftspolitisch rechts, bevor das in Mode kam", sagte er einmal und: "Ich sehe mich nicht als konservativ, aber ich bin auch nicht ultra-links. Ich mag die libertäre Sichtweise, jeden in Ruhe zu lassen. Schon als Kind habe ich mich über Leute geärgert, die allen vorschreiben wollten, wie sie zu leben hätten." Dazu passt auch seine anfängliche Unterstützung für Donald Trump, aber eben auch seine harsche Abkehr vom tumben Präsidenten, die er jüngst in einem Interview zum Ausdruck brachte.
Clint Eastwood steht auch für die heutige Zerrissenheit des Landes
So ist Clint Eastwood, der es in Hollywood längst zum Legendenstatus gebracht hat und der jetzt seinen 90. Geburtstag feiert, ein Spiegelbild des modernen Amerika. Er steht heute auch für die Zerrissenheit des Landes im Jahre 2020 unter der Ägide Trump. In seinen Filmen bieten sich einige Erklärungsmuster an für diese heterogene Gesellschaft.
Soeben erschienen zum Weiterlesen: Kai Bliesener: Clint Eastwood - Mann mit Eigenschaften, 232 Seiten, Schüren Verlag, Mai 2020, zahlr. Abb., ISBN 978-3-7410-0355-4.