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Politik

"Ernst machen" mit europäischer Küstenwache

24. Juli 2017

Die Flüchtlingskrise entzweit Europa, und im Mittelmeer gibt es keine gesamteuropäische Strategie, kritisiert Sebastian Bruns. Der Sicherheitsexperte sieht in einer europäischen Hilfsmarine eine Chance für die EU.

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Italien Rettungseinsätze im Mittelmeer
Nach Rettungseinsatz im Mittelmeer: Flüchtlinge kommen im italienischen Palermo anBild: picture-alliance/ROPI/I. Petyx

DW: Libyen als gescheiterter Staat auf der einen Seite, das überforderte Italien auf der anderen: Welches Gefahrenpotenzial zeichnet diesen Teil des Mittelmeers aus?   

Sebastian Bruns: Das Areal zwischen Libyen und Italien gehört zu den engsten Stellen des Mittelmeeres und ist die Hauptroute für illegale Migration, für die Schlepper- und Schleusernetzwerke und auch für die verzweifelten Menschen aus Afrika und zum Teil auch aus Asien. Seitdem die Balkanroute dicht ist, suchen sich diese Ströme einen anderen Weg und den finden sie eben in diesem Gebiet. Mit der Eunavfor-Operation "Sophia" im Mittelmeer gibt es auch eine Marine-Operation von EU-Staaten, die dort in der Seenot-Rettung unterwegs ist. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man es tatsächlich schafft und nicht ertrinkt.  

Warum lässt sich dieses Gebiet nicht kontrollieren?   

Ein Faktor ist die Größe: Das gesamte Gebiet von "Sophia" ist ungefähr so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Es sind bei dieser EU-Mission immer zwischen sechs bis acht Marineschiffe unterwegs, dazu kommen noch private maritime Hilfsorganisationen, die sich aufmachen, um Seenotrettung zu betreiben - aber das reicht eben nicht. Denn so ein großes Gebiet muss man abdecken, indem man sehr viel mehr Flugzeuge hat, als das zurzeit der Fall ist, indem man sich Lagebilder relativ lückenlos beschafft, und das alles koordiniert. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Dazu gehört am Ende des Tages eben auch der politische Wille zu einer dauerhaften Präsenz. Aber die Flüchtlingsfrage entzweit Europa. Außerdem gibt es keine integrierte europäische Küstenwache, sondern die Küstenwachen und die Marinen sind immer noch nationale Einrichtungen. Frontex hat zwar mittlerweile ein maritimes Mandat, wird aber von den EU-Mitgliedsstaaten stiefmütterlich behandelt und hat keine eigenen großen Schiffe oder Flugzeuge.   

Italien hat angekündigt, die Verlängerung von "Sophia" zu blockieren. Damit wird die EU-Mission in Frage gestellt. Was muss passieren, damit sich die Lage verbessert?   

Sicherlich führt kein Weg daran vorbei, dass man die Fluchtursachen an Land bekämpft. Was die Marine, die Hilfsorganisationen oder Frontex machen, ist im Prinzip nur eine Symptombekämpfung. In Libyen selbst müssen Strukturen geschaffen werden, damit es gar nicht mehr zu diesem Menschenschmuggel kommt, und weiter südlich in Afrika müssen die Fluchtursachen bekämpft werden. Das ist eine Generationenaufgabe. Und wir haben nun auch das Problem, dass die Ressourcen, die die Europäer dafür aufbringen wollen, begrenzt sind. Einerseits gibt es diese Formulierung, man wolle einen "Marshallplan" für Afrika aufsetzen - da bin ich aber sehr skeptisch. Andererseits sind europäische Seestreitkräfte nicht nur in diesem Gebiet gefordert. Es gibt viele andere Hotspots, wo sie unterwegs sein müssen, nicht zuletzt, weil Russland zunehmend aggressiv wird seit 2014: zum Beispiel Syrien, das östliche Mittelmeer, der Nordatlantik, die Ostsee, die Arktis. Ich sehe den Versuch Italiens, die Verlängerung der EU-Mission "Sophia" zu blockieren, ein Stück weit sogar als Verzweiflungstat.  

Welche Konzepte gibt es denn, alternative Maßnahmen einzusetzen im Zusammenhang mit der maritimen Sicherheit, um im Mittelmeer wirkungsvoller vorzugehen?        

Erstens gibt es seit 2016 die European Union Border Assistance Mission (EUBAM) in Libyen, bei der daran gearbeitet wird, libysche Küsteneinheiten auszubilden. Das fängt bei der seemännischen Ausbildung an, dann braucht man natürlich Ausrüstung, Schiffe und Training. Doch in Libyen gibt es verschiedene Warlords, verschiedene Akteure konkurrierender Regierungen, die einander misstrauen und bekämpfen. Dadurch ist es extrem schwierig, eine nationale Küstenwache zu schaffen. Und es geht nicht nur um eine Küstenwache, sondern auch um die entsprechende Hafenpolizei, eine Staatsanwaltschaft, Gerichte - all die Aspekte, die mit "good governance" - einer guten Regierungsführung - zusammenhängen: Auch das ist eine Herkulesaufgabe.                            

Dr. Sebastian Bruns - Leiter, Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit Kiel
Sebastian Bruns ist Experte für maritime Sicherheit Bild: Institut für Sicherheitspolitik Universität Kiel

Zweitens sollte es für diesen Mittelmeerbereich eine europäische Hilfsmarine geben - das habe ich einmal in einem Artikel ins Spiel gebracht. Das heißt, dass eben nicht mehr die Seestreitkräfte selbst ihre Zerstörer und Fregatten in diese Region schicken sollten, sondern dass sich alle EU-Länder beteiligen sollen, aber eben mit Küstenwachschiffen, mit Wasserschutzpolizei, mit all diesen kleineren Einheiten, die nicht unbedingt dafür ausgerüstet sind, U-Boote im Atlantik zu jagen. So könnte man die Seestreitkräfte der Europäer ein wenig entlasten. Und in dieser Hilfsmarine könnten dann natürlich auch die privaten Seenotretter ein Stück weit aufgefangen werden, so dass man da auch die Integration vorantreiben würde von zivilen, militärischen und eben auch von polizeilichen Mitteln. Für Libyen und dieses Seegebiet gibt es viele verschiedene konkurrierende Ansätze, die aber noch nicht zusammengeführt werden: Möglicherweise wäre so eine Hilfsmarine ein Weg vorwärts.    

Sie fordern eine Hilfsmarine: Wie kann man das umsetzen?      

Mein Vorschlag wäre, es endlich ernst zu meinen mit einer europäischen Küstenwache: Also eine integrierte Struktur zu schaffen, in der Polizei, Militärs und zivile Hilfskräfte auf See arbeiten können und sich koordinieren. Dahinter muss auch der entsprechende politische Wille stehen. Für die EU wäre das eine Chance, ein integrativer Aspekt. Das erfordert auch eine gewisse Ehrlichkeit: Wofür soll diese europäische Küstenwache eingesetzt werden, was soll sie machen? Man muss verhindern, dass das nur ein Feigenblatt ist. Wir kommen um eine Diskussion nicht herum, wie wir in diesem Gebiet im Bereich der maritimen Sicherheit vorangehen wollen. Aber so eine europäische Küstenwache ist auf jeden Fall der erste Schritt in diese Richtung.     

Dr. Sebastian Bruns leitet die Abteilung Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.