Vincent Keymer: Schüler gegen Schach-Weltmeister
19. April 2019Unterschätzt wird Vincent Keymer schon lange nicht mehr. Spätestens seit seinem sensationellen Sieg im "Grenke Open" 2018 hat der inzwischen 14-jährige Schüler auch international in der Schach-Szene einen Namen. Dass er jetzt, ein Jahr später, beim Top-Turnier "Grenke Chess Classic" gegen Magnus Carlsen, Fabiano Caruana und die anderen Spitzenleute antritt, ist aber alles andere als selbstverständlich. "Die Entscheidung war nicht leicht", verrät Keymer. Denn er und sein Team wissen, wie schwer es für den Jugendlichen aus Saulheim bei Mainz gegen die besten der Welt wird. Erst nach vielen Gesprächen habe er sich entschlossen, bei dem Grenke-Turnier in Baden-Baden und Karlsruhe mitzuspielen. Denn noch immer gilt, was Keymer vor einem Jahr spontan äußerte: "Die sind ja so viel besser als ich."
"Dafür bist du noch zu jung"
Wie es ist, als Jüngster gegen wesentlich erfahrenere Spieler anzutreten, das kennt Vincent Keymer jedoch schon lange. "Dafür bist du noch zu jung", erklärte ihm schon seine Mutter als der kleine Vincent mit fünf Jahren eines Tages ein Schachbrett zu Hause entdeckte. Eine Fehleinschätzung. Denn kurze Zeit später spielte der Junge so gut, dass die Eltern nicht mehr mithalten konnten und er sich stärkere Gegner in den Schachvereinen seiner rheinland-pfälzischen Heimat suchte. Fünf Jahre später schaffte er den ersten Sieg gegen einen gestandenen Großmeister, inzwischen spielt er in der Schach-Bundesliga und gilt als das größte deutsche Talent seit mindestens 50 Jahren. Zuletzt gelang ihm ein viel beachteter Sieg gegen Boris Gelfand, dem Vize-Weltmeister von 2012.
Dass sich in Keymers Leben viel um das Brett mit den 64 Feldern dreht, ist klar. Doch der 14-jährige geht weiter ganz normal zur Schule (Lieblingsfächer: Mathematik und Englisch) und spielt nebenbei auch noch Klavier - seine Eltern sind Musiker. Ein Leben als Schach-Profi ist für Keymer (noch) kein Thema. Dennoch: "Geschätzt trainiere ich vielleicht an Schultagen zwei bis drei Stunden, an ganz freien Tagen fünf bis sechs", berichtet er, "man hat die Zeit nur einmal und muss gut planen". Seit über einem Jahr arbeitet Keymer mit Peter Leko zusammen, einem ehemaligen WM-Finalisten. Leko kann sich gut die Lage seines Schützlings hineinversetzen: Der Ungar galt selbst auch als Wunderkind und schaffte als Teenager den Sprung in die Weltspitze.
Schach und Schule
Ob auch Vincent Keymer sich in an die Spitze des Schachsports kämpfen kann, ist weder für ihn selbst noch für seinen Trainer ausgemacht. "Die Reise hat gerade erst begonnen", sagte Leko vor einem Jahr. Weltweit gibt es in Keymers Altersklasse noch einige andere Talente, die auf dem gleichen Niveau wie Keymer spielen. Sie kommen zum Beispiel aus Indien oder Usbekistan. Doch anders als der Deutsche konzentrieren sich die meisten dieser jungen Spieler bereits voll auf das Schachspiel. Eine Entscheidung, die vielleicht auch auf Vincent Keymer und seine Familie zukommt.
Der deutsche Schach-Bundestrainer Dorian Rogozenco hat in einem Interview mit der Deutschen Welle beschrieben, worauf es im Spitzenschach ankommt: "In der absoluten Weltspitze ist vor allem die Einstellung und die Willenskraft entscheidend. Da ist man nur erfolgreich, wenn alles auf den Schachsport ausgerichtet ist." Weltmeister Magnus Carlsen und Fabiano Caruana, gegen die Keymer jetzt beim "Grenke Chess Classic" vom 20. bis 29. April zum ersten Mal antritt, haben das so gemacht und als Teenager die Schule verlassen.
Was für ein Auftakt
Die Schach-Szene in Deutschland verfolgt auf jeden Fall gespannt die Entwicklung ihres großen Talents. Das liegt auch daran, dass international schon lange kein Deutscher mehr ganz oben mithalten konnte. Der letzte Deutsche in der Weltspitze war der Kölner Robert Hübner in den siebziger und achtziger Jahren. Der immer gelassen auftretende Keymer scheint sich aber von den großen Erwartungen in Schach-Deutschland an ihn bisher nicht unter Druck setzen zu lassen. Für ihn steht der Spaß am Schach im Mittelpunkt: "Was mich beim Schachspielen besonders fasziniert, ist der Zweikampf der beiden Spieler. Jeder versucht, seine Ideen durchzusetzen und diejenigen des Gegners zu blockieren."
Die große Frage vor seinem ersten Auftritt beim Grenke-Turnier lautet: Sind Keymers Ideen schon gut genug für die Duelle mit den besten Schachspielern der Welt? Die erste Antwort gab er schon beim Auftakt in seiner Partie gegen Weltmeister Magnus Carlsen. Erst nach langem Kampf auf Augenhöhe konnte sich der Norweger gegen den jungen Deutschen durchsetzen.