Erinnerung an ein Schachgenie: Emanuel Lasker
24. Dezember 2018"Schach ist vor allem ein Kampf!", lautete die Devise von Emanuel Lasker, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Schachwelt dominierte. Nachdem er 1894 seinen Vorgänger, den Österreicher Wilhelm Steinitz, besiegt hatte, behielt Lasker 27 Jahre lang den Weltmeister-Titel - das ist bis heute Rekord. Für Lasker, der oft mit einer Zigarre am Brett saß, war das Spiel auf den 64 Feldern ein sportlicher Wettkampf: "Ich kämpfe, solange mein Gegner einen Fehler machen kann", sagte er einmal. Mit dieser pragmatischen Grundhaltung machte sich Lasker in der damaligen Schachszene nicht nur Freunde - sah man das traditionsreiche Brettspiel doch als intellektuelle Passion an und weniger als Sport.
Lasker war seiner Zeit einfach voraus: Er wollte punkten, egal wie. Der aktuelle Schach-Weltmeister, der Norweger Magnus Carlsen, geht seine Partien heutzutage ähnlich an. Zu Laskers professioneller Einstellung gehörte auch, dass er für eine angemessene Bezahlung seiner Arbeit am Schachbrett kämpfte. Er dachte dabei nicht nur an höhere Preisgelder, sondern versuchte sogar, ein Urheberrecht an den Zügen einer Schachpartie durchzusetzen - was ihm aber nicht gelang.
Berufswunsch: Hochschulprofessor
Bei aller Professionalität in Sachen Schach: Eigentlich hatte Lasker Ende des 19. Jahrhunderts ganz andere Pläne für sein Leben. Am 24. Dezember 1868 als Sohn eines jüdischen Kantors im westpommerschen Örtchen Berlinchen (heute Polen) geboren, war er keineswegs nur aufs Schachspielen fixiert. Sein Bruder Bertold hatte es ihm als Zeitvertreib beigebracht, als er zwölf Jahre alt war. Allerdings hielt ihn das nach Auffassung seiner Eltern zu sehr von seinen Schulpflichten ab.
Nach dem Gymnasium studierte Emanuel Lasker Mathematik in Berlin, Göttingen und Heidelberg, promovierte und hielt Vorträge an Universitäten in England und den USA. Noch heute befassen sich Mathematik-Studenten mit seinem Beweis zur Primärzerlegung. Eine Wissenschaftskarriere als Professor schien möglich und wurde von Lasker auch angestrebt. Doch dazu kam es zu seinem Bedauern nie. "Nur Leute, die sich einer Sache ganz und gar widmen, bringen darin Großes zuwege", schrieb er einmal - hielt sich aber selbst nicht an diese Devise.
Schach-Profi als Plan B
1891 unterbrach Lasker sein Studium, um als Berufsschachspieler nach London zu gehen. Doch auch als er durch seine Erfolge auf dem Schachbrett weltbekannt wurde, verfolgte Lasker parallel weiter seine akademischen und künstlerischen Interessen. Von der Mathematik wechselte er zur Philosophie, verfasste mehrere Bücher, erreichte aber auch in dieser Disziplin nicht die gewünschte Hochschul-Professur. Lasker, dem sein Freund Albert Einstein eine "einzigartige Unabhängigkeit der Persönlichkeit" attestierte, passte mit seinen vielen Begabungen nicht in die deutsche Hochschul-Welt Anfang des 20. Jahrhunderts. Zumal der polyglotte Lasker noch auf weiteren Feldern aktiv war: Zusammen mit seinem Bruder, der zeitweise mit der Dichterin Else Lasker-Schüler verheiratet war, schrieb er ein expressionistisches Theaterstück - das aber schnell in Vergessenheit geriet.
Nachdem Lasker 1921 den WM-Titel an den Kubaner Raúl Capablanca verlor, zog er sich mehr und mehr vom Schachsport zurück. Er blieb aber in der Öffentlichkeit präsent, veröffentlichte Artikel und hielt Vorträge, in denen er sich kritisch zu den politischen Entwicklungen seiner Zeit äußerte und beispielsweise forderte, stärker gegen den um sich greifenden Antisemitismus vorzugehen.
Flucht aus Deutschland
Das Jahr 1933 war auch für Lasker eine Zäsur. Er erkannte schnell, dass ihn der Ruhm als Deutschlands größter Schachspieler nicht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewahren würde. Er verließ Deutschland mit seiner Frau zunächst in Richtung Niederlande, dann in die Sowjetunion. Dort setzte sich Lasker auch noch einmal ans Schachbrett - nicht zuletzt, um als Emigrant im Rentenalter Geld zu verdienen. Sein dritter Platz - ohne eine einzige Niederlage - bei einem hochklassigen Schach-Turnier 1935 in Moskau im Alter von 67 Jahren gilt in Schachkreisen bis heute als höchst bemerkenswerte Leistung.
Doch auch in Moskau waren die Laskers nicht sicher. Als sein Gönner, der sowjetische Justizminister, den stalinistischen Säuberungen zum Opfer fiel, kehrte das Ehepaar nicht von einer USA-Reise zurück und blieb in New York. Dort starb Lasker 1941.
Denker und Denksportler
Kurz vor seinem Tod hatte sich Lasker noch einmal zu Wort gemeldet: 1940 veröffentlichte er in New York eine Schrift mit dem Titel "Community of the Future", in dem er für Toleranz warb, Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit machte und die Gründung eines jüdischen Staats vorschlug - und zwar in Alaska. Emanuel Lasker hat sich immer als Denksportler und Denker verstanden - und als liberaler Weltbürger. Im Nachkriegsdeutschland geriet Emanuel Lasker außerhalb der Schach-Szene schnell in Vergessenheit. Das bescheidene Grab auf dem jüdischen Friedhof Beth Olom im New Yorker Stadtteil Queens ist heute nur noch mit einiger Mühe aufzufinden.