Politisch motivierter Überfall in Äthiopien?
18. Januar 2012
Das Auswärtig Amt rät von Reisen in die Afar-Region im Nordosten Äthiopiens ab. "Überfälle durch Banditen und örtliche Untergrundorganisationen sowie Entführungen können nicht ausgeschlossen werden. Bei unbedingt erforderlichen Fahrten sollte dies den örtlichen Behörden mitgeteilt und um entsprechende Schutzmaßnahmen gebeten werden", warnt das Auswärtige Amt Touristen vor einem Ausflug in die Region. Die geologisch einzigartige Danakil-Senke, die von dem Nomadenvolk der Afar bewohnt wird, und weltberühmt ist für ihre Fossilienfunde, ist eine der ärmsten Gegenden der Welt. Immer wieder ist es dort in den vergangenen Jahren zu Überfällen gekommen.
Viele Überfälle - gefährliche Rettung
2007 waren fünf Mitarbeiter der britischen Botschaft sowie 13 äthiopische Begleiter gewaltsam entführt, später aber unverletzt wieder freigesetzt worden. Obwohl die Details des Überfalls und auch die spätere Freilassung der Geiseln in Eritrea nie öffentlich gemacht wurden, gilt es als wahrscheinlich, dass die Rebellengruppe der "Revolutionären Demokratischen Einheitsfront Afar" (ARDUF), die für eine Loslösung der Region von Äthiopien kämpft, für die Entführung verantwortlich war. Die Freilassung der Briten in Eritrea wurde letztlich durch die Vermittlung von Ältesten des Afar-Volkes gesichert.
2008 konnten Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben eine geplante Attacke auf Touristen vereiteln. Das Gebiet ist zudem von Landminen übersät, was bei Rettungsaktionen von Verschleppten eine ständige Gefahr birgt. 2009 kamen dabei zwei Äthiopier ums Leben, ein Ausländer wurde verletzt.
Die jetzt angegriffene Gruppe von acht Touristen war offenbar zu dem spektakulären Vulkan Erta Ale unterwegs. Laut Informationen des äthiopischen Staatssenders ETV und des Informationsministeriums wurden die Urlauber bereits am frühen Dienstagmorgen nahe der Grenze zu Eritrea von Bewaffneten angegriffen. Ein Tourist habe entkommen können, zwei Verletzte seien vom äthiopischen Militär in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden. Nach jüngsten Meldungen sollen fünf der Touristen getötet worden sein, zwei Deutsche, ein Österreicher und zwei Ungarn. Außenminister Westerwelle bestätigte am Nachmittag (18.01.2012) den Tod zweier Deutscher und das so wörtlich "ungeklärte Schicksal" weiterer Deutscher. Zur Unterstützung sollen Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) nach Äthiopien fliegen, auch wird die Botschaft in Addis Abeba personell durch die Vertretung in Nairobi verstärkt.
Derweil ist die Täterschaft weiter unklar. Äthiopiens Regierung beschuldigt weiter den Erzrivalen Eritrea des Überfalls. "Von der eritreischen Regierung ausgebildete und bewaffnete Terrorgruppen haben die Grenze nach Äthiopien überschritten und die Touristen angegriffen", so der Informationsminister. Danach seien die Täter "über die Grenze zurückgegangen". Der Botschafter Eritreas bei der Afrikanischen Union, Girma Asmerom, wies die Anschuldigungen umgehend zurück, es sei "der Modus Operandi der äthiopischen Regierung, mit dem Finger auf Eritrea zu zeigen“.
Propaganda von beiden Seiten
Die Propagandaschlacht zwischen Addis Abeba und Asmara folgt einem hinlänglich bekannten Muster. Die verfeindeten Nachbarn beschuldigen sich routinemäßig gegenseitig der Destabilisierungsversuche, seit sie von 1998 bis 2000 einen verlustreichen Grenzkrieg ausgetragen haben. Beide Länder beherbergen Oppositionsgruppen der jeweiligen Seite. Äthiopiens Ministerpräsident Meles Zenawi kündigte im vergangenen Jahr an, eritreische Exilgruppen beim Versuch zu unterstützen, die Regierung des autoritären Präsidenten Isaias Afewerki zu stürzen. Eritrea beherbergt im Gegenzug die äthiopische Befreiungsorganisation Oromo Liberation Front (OLF), die für die Unabhängigkeit der Volksgruppe der Oromo kämpft und von Äthiopien als Terrororganisation geführt wird. Im vergangenen Jahr wurden Dutzende Angehörige der Oromo unter Äthiopiens drakonischem Anti-Terror-Gesetz wegen angeblicher Verbindungen zur OLF verhaftet.
Hintergründe weiter unklar
Auch völlig offen ist, ob dre Vorfall auf Banditen zurückgeht. Die Afar-Region rund um den Vulkan Erta Ale mit seinem spektakulären Lava-See ist ein raues Terrain, in dem Banden ihr Unwesen treiben. AK-47-Gewehre gehören zur Grundausstattung jedes Afar. Infrastrukturell ist die Region kaum entwickelt, die Nomaden leben von ihren Herden und Wegegeldern und handeln mit Salz, das in der Senke gewonnen wird.
Fest steht, dass der Zwischenfall den äthiopischen Behörden Anlass geben wird, die ohnehin verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Land weiter anzuziehen. Ende des Monats steht in Addis Abeba das jährliche Gipfeltreffen der afrikanischen Staats- und Regierungschefs auf dem Programm. Laut Recherchen der Vereinten Nationen ist Äthiopiens Nachbar Eritrea für einen vereitelten Anschlag auf die Versammlung im vergangenen Jahr verantwortlich.
Der jüngste Überfall wird den Bemühungen der äthiopischen Regierung, das kulturgeschichtlich faszinierende Land für Studienreisen und Abenteuertourismus zu vermarkten, möglicherweise einen Rückschlag versetzen. Vor allem deutsche Reiseveranstalter haben das Land am Horn von Afrika mit seinen Jahrtausende alten Schätzen in den vergangenen Jahren entdeckt.
Die Agentur Nomad-Reisen, die seit Jahren Touristen in die Denakil-Senke führt, setzt dabei eher auf lokale Kontakte zu den Ältesten als auf bewaffnete Eskorten, wie es das Auswärtige Amt für die Region empfiehlt. "Damit macht man sich in bestimmten Regionen eher zur Zielscheibe", so Nomad-Sprecher Lorenz Töpperwien. Diese Sichtweise betrachtet der Äthiopien-Referent der Deutschen Welthungerhilfe, Hans Bailer, der seit vielen Jahren über eine äthiopische Partnerorganisation Projekte in der betroffenen Region unterstützt, als leichtsinnig. "Wenn Touristen da wirklich hinwollen, dann nur mit offizieller Anmeldung bei der Regierung und mit militärischem Schutz", fordert Bailer. Nach seinen Angaben bestätigte ihm die Partnerorganisation, dass die Angreifer keine Afaris gewesen, und über die eritreische Grenze nach Äthiopien eingedrungen seien.
Der Dresdner Reiseveranstalter Diamir hat nach dem Überfall alle Reisen in die Region abgesagt. Betroffene und deren Angehörige würden betreut, teilte das Unternehmen auf seiner Internetseite weiter mit.
Autor: Ludger Schadomsky
Redaktion: Stefanie Duckstein