"Zivilgesellschaft stärken"
9. August 2012Deutsche Welle: Unter dem Motto "Deutschland und Russland - gemeinsam die Zukunft gestalten" präsentiert sich Deutschland bis zum nächsten Sommer in ganz Russland mit vielen Projekten. In welchen Bereichen sehen Sie Deutschland und Russland besonders gefordert, wenn es um die gemeinsame Zukunft geht?
Cornelia Pieper: In allen Bereichen. Es gibt ja mehrere Dialogebenen, die wir entwickelt haben - aber ich glaube, dass es auch ganz wichtig ist, dass wir die Zivilgesellschaften unserer Länder einbinden. Das ist die Grundlage für freiheitliche, für demokratische Entwicklungen. Kulturpolitik bedeutet ja für uns Wertevermittlung. Deswegen bin ich auch sehr darauf bedacht, dass Kulturprojekte, Bildungsprojekte und Projekte der auswärtigen Wissenschaftspolitik während des Deutschlandjahres in Russland stattfinden.
Wir haben das Deutschlandjahr in Russland Mitte Juni dieses Jahres mit einer großen Ausstellung im Historischen Museum eröffnet, unweit vom Roten Platz: Sie heißt "Tausend Jahre gemeinsame Geschichte Deutschland - Russland". Es gab auch ein gemeinsames Konzert im Tschaikowsky-Konservatorium, wo wir europäische Musiker mit jungen russischen Musikern zusammengebracht haben. Ich finde, das ist die Aufgabe: Menschen zusammenzubringen, Brücken zu bauen, die Kommunikation zu verbessern, einander besser verstehen zu lernen, Zivilgesellschaften zu stärken. Und das treiben wir damit voran.
Inwieweit ist denn die gemeinsame Gestaltung von Politik und gesellschaftlichem Austausch möglich, wenn einer der Partner Demokratisierungsschritte zurücknimmt, politische und bürgerliche Freiheiten einschränkt, wie das im Russland unter Präsident Putin der Fall ist?
Wir erleben es gerade mit dieser jungen Frauenband in Russland, die ja wirklich kein Verbrechen begangen hat, sondern zu Recht offenkundig gemacht hat, was allen bekannt ist: dass es die Freiheit des Wortes, die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Kultur und Kunst in Russland nicht gibt. Das bereitet mir große Bauchschmerzen, wenn man die Entwicklung sieht, die sich heute in Russland auftut. Das kann man nicht tolerieren.
Aber ich glaube, wir kommen nicht weiter, indem wir uns dem Dialog widersetzen. Ich glaube fest daran, dass deutsche Außenpolitik in der Vergangenheit dadurch Erfolg hatte, dass wir sehr stark im Gespräch geblieben sind mit solchen Regierungen, mit solchen Diktaturen, um klar zu machen, dass wir hier mehr Freiheit brauchen in einer demokratischen Gesellschaft.
Wenn wir auf die Ukraine schauen: Dort ist die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko in Haft. Entsteht auch in der Ukraine eine Vertikale der Macht, ähnlich dem politischen Verständnis in Russland?
Es kann nicht angehen, dass Regierungsmitglieder - es geht ja hier nicht nur um ehemalige Regierungsmitglieder wie Julia Timoschenko, es sind auch andere Regierungsmitglieder in Haft - zu Unrecht ins Gefängnis kommen und dass Oppositionelle hinter Gitter gesperrt werden, weil sie ihre freie Meinung geäußert haben, die eben eine andere war als die des ukrainischen Präsidenten. Deswegen glaube ich, muss man hier auch als Europa aufpassen: Wir werden das Assoziierungsabkommen Ukraine-Europa nicht ratifizieren, wenn nicht auch die Menschenrechte und Bürgerrechte eingehalten werden.
Wir wollen natürlich, dass die Ukraine und die Menschen dort das Gefühl haben: Deutschland will und Europa will, dass die Ukraine zukünftig einmal Mitglied der Europäischen Union wird. Aber da muss man auch die Hausaufgaben machen seitens der Regierung - und die Verletzung von Menschenrechten ist kein Qualitätsmerkmal der Europäischen Union. Im Gegenteil.
Global verschieben sich seit ein paar Jahren die Gewichte - Deutschlands und Europas Stärke wackelt, es entstehen neue Kraftzentren. Wie muss sich auswärtige Kulturpolitik aufstellen, damit sie mit diesen neuen Herausforderungen zurechtkommt?
Ich glaube, dass wir uns bewusst machen müssen, dass wir nicht in Frieden leben können, solange es Konflikte auf dieser Welt gibt - egal, ob es jetzt Klimakonflikte sind oder Konflikte, die mit fehlender Ernährung oder mit der Vernichtung von Landwirtschaft zu tun haben, wie wir es gerade durch die Dürreperioden in Afrika erleben. Das heißt: Wir brauchen die Partnerschaften mit anderen Regionen in der Welt. Deswegen ist es uns auch ganz wichtig, dass wir neben dem Thema Kultur/Bildung, auch die Wissenschaftspolitik sehr stark herausstellen und Lösungsansätze aufzeigen, die in die Bereiche Klima- und Energiepolitik fallen oder auch in die Ernährungswirtschaft, um anderen Ländern zu helfen.
Das Auswärtige Amt gibt immerhin ein Viertel des Budgets nur für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aus - für Stipendien, für Projekte der Zusammenarbeit im Kulturbereich, Ausstellungen, aber auch für Wissenschaftskongresse, wo man sich mit den Wissenschaftlern anderer Länder austauscht, für Klimakongresse. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz: miteinander zu reden, im Dialog zu bleiben, sich auch neue Partner in der Welt zu suchen und Europa zu stärken. Auch, um mehr Frieden in der Welt herzustellen.
Kultur, Bildung und Wissenschaft als Humus für mehr politische Beteiligung, für Rechtstaatlichkeit, für demokratische Prinzipien. Welche Rolle kommt innerhalb des Werbens für Deutschland dem Auslandsmedium Deutsche Welle zu?
Die Deutsche Welle ist das wichtigste Medium für die deutsche Außenpolitik. Die Deutsche Welle ist das Medium, das im Ausland, das in Krisenregionen der Welt wahrgenommen wird, das wichtige Programme der Bildung liefert, aber auch Programme der Aufklärung und der Demokratisierung in Gesellschaften. Von daher kann ich mir ein Leben als Außenpolitikerin und Kulturpolitikerin ohne Deutsche Welle gar nicht vorstellen, denn die Partnerschaft ist eigentlich auch Grundvoraussetzung für den Erfolg unserer Arbeit.
Cornelia Pieper ist seit 2009 Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
Das Interview führte Chefredakteurin Ute Schaeffer.