Neue Kräfteverhältnisse dank neuer Regeln?
23. März 2017Lewis Hamilton will in der anstehenden Formel-1-Saison zum vierten Mal Weltmeister werden, doch die Ergebnisse der Testfahrten im März machen neutralen Zuschauern Hoffnung, dass der Brite es schwer haben könnte - obwohl er nach dem freiwilligen Abgang Nico Rosbergs als großer Favorit gilt. Ferrari und Red Bull machen Druck. Zudem ist Bernie Ecclestone nicht mehr der alleinige Herrscher der Formel 1. Die neuen Besitzer der Rennserie, Liberty Media, versuchen ihr Produkt zu modernisieren und zu öffnen, um so neue und gerne auch jüngere Fans für die Formel 1 zu begeistern. Was ändert sich in dieser Saison? Wer sind die heißesten Anwärter auf den WM-Titel? Und was gibt es 2017 nicht mehr? Die DW-Saisonvorschau gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Wird Mercedes erneut dominieren?
Möglicherweise nicht, aber sie gehören definitiv zu den Favoriten. Ohne jedes technische Problem haben die Silberpfeile in der Vorbereitung mehr Testkilometer abgespult als alle Konkurrenten. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass Mercedes die erste Startreihe so oft für sich alleine haben wird wie in den vergangenen Jahren. Zudem muss sich erst zeigen, ob Neuzugang Valtteri Bottas im Silberpfeil ähnlich schnell ist wie sein Vorgänger, der Weltmeister Nico Rosberg.
Fakt ist: Red Bull hat in der Testphase nicht alle Trümpfe offen auf den Tisch gelegt. Bei Max Verstappen und Daniel Ricciardo waren einige Spoiler und Flügel bei den Testfahrten noch abgedeckt. Zudem wirkt Ferrari im Vergleich zu 2016 stark verbessert. Es war beeindruckend, wie schnell Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen bei den Tests in Barcelona auch mit vollem Tank unterwegs waren, als rennähnliche Bedingungen simuliert wurden. Zudem fuhren die beiden Ferrari-Piloten mit leerem Tank die schnellsten Rundenzeiten der Testperiode. Nach einem trostlosen Jahr ohne einen einzigen Sieg für die Roten müssen Vettel und Räikkönen liefern. Es wirkt so, als seien sie bereit dazu.
Hinter den drei stärksten Teams könnte Williams, bei denen Paddy Lowe wieder für die Technik zuständig ist, sich den Titel "Best of the rest" schnappen. Auch Renault mit seinem Neuzugang Nico Hülkenberg hat Chancen auf einige WM-Punkte. Insgesamt wird es im Kampf um die Plätze sieben bis zehn wohl eng zugehen.
Warum wird so viel über die Änderungen im Regelwerk geredet?
Die Regeländerungen zur neuen Saison bei der Aerodynamik kann man als Trendwende bezeichnen. Statt wie bisher den durch Spoiler und Flügel erzeugten Abtrieb zu begrenzen, ist nun das genaue Gegenteil das Ziel: Die Regeln erlauben mehr Abtrieb. Die Folge: Front- und Heckflügel sind breiter geworden, genau wie die Reifen. Zudem ist es den Teams gestattet, einen an eine Haifisch-Flosse erinnernden Mittelspoiler auf die Boliden zu setzen und einige andere Veränderungen am Aussehen der Autos vorzunehmen, die in den vergangenen Jahren streng verboten waren. Auch die von Pirelli gestellten Reifen haben es in sich: Sie sind nicht nur um ein Viertel breiter, sondern auch weniger temperaturempfindlich, bauen nicht so schnell ab und haben weniger Gummiabrieb - alles zu Gunsten einer erhöhten Rennleistung.
Welche Auswirkungen hat das?
Die Autos werden schneller. Viel mehr Kurven können mit Vollgas durchfahren werden. Die Zeiten, in denen die Fahrer in bestimmten Phasen eines Rennens nicht mit 100 Prozent fahren durften, weil sie ihre Reifen schonen oder Sprit sparen mussten, sind vorbei. Die Rennen sollen künftig mehr einem Sprint ähneln als einem Marathon. So mancher Rundenrekord könnte in dieser Saison fallen.
"Der Speed ist unglaublich. Es ist das schnellste Auto, das ich je gefahren bin, und es ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange", schwärmte Lewis Hamilton schon nach den ersten Testfahrten. "Ich fahre schneller durch die Kurven, als ich es mir ausgemalt hatte. Du bremst viel später und tiefer in die Kurven rein, stehst früher auf dem Gas und nimmst viel mehr Speed durch die Kurve mit. Ich fühle mich wie ein Kind in der Achterbahn."
Eine Folge des höheren Tempos in den Kurven ist die stärkere Belastung der Nackenmuskulatur der Fahrer. Alle haben daher vor der Saison entsprechend trainiert. Zudem - weil die Boliden schwerer geworden sind - spielt das Gewicht der Fahrer nicht mehr eine so entscheidende Rolle wie noch 2016.
Gibt es Nachteile?
Ja, und sie könnten drastischer ausfallen als gewünscht. Die Hauptsorge ist, dass die veränderte Aerodynamik das Überholen schwieriger machen könnte. Formel-1-Autos sind so konstruiert, dass sie die glatte Luft vorne teilen, sie als Kraft nutzen, die das Auto beim Darüberströmen nach unten drückt, und sie anschließend hinten als Wirbel ausstoßen. Ein nachfolgendes Auto, das in diesen verwirbelten Luftstrom gerät, könnte große Leistungsnachteile haben - und zwar genau in dem Moment, in dem der Pilot eigentlich perfekte Bedingungen benötigt, um zu einem Überholmanöver anzusetzen.
Williams-Veteran Felipe Massa schilderte seine Erfahrungen bei den Testfahrten gegenüber dem Internetportal "Speedweek" so: "Ich fuhr hinter einem Sauber her, rundenlang, hinter mir lag Nico Hülkenberg. Obwohl mein Auto rund 1,5 Sekunden schneller war als der Sauber, kam ich nicht vorbei. Und Nico kam an mir nicht vorbei. Obwohl er zu dem Zeitpunkt schneller war als ich. Daher behaupte ich: Wir werden 2017 weniger Überholmanöver erleben als früher."
Was ist von den neuen Besitzern zu erwarten?
Da Liberty Media gerade erst angefangen hat, die Geschicke der Formel 1 zu lenken, darf man nicht unmittelbar mit einer Revolution rechnen. Die geänderten und ab dieser Saison geltenden Regeln beruhen noch auf Beschlüssen der alten Führung und der aktuellen Teams. Allerdings wird der Zugang zur Formel 1 über die Medien sich wahrscheinlich recht schnell ändern. Liberty Media setzt - ganz anders als Bernie Ecclestone - auf die Verbreitung von Formel-1-Inhalten über die sozialen Netzwerke.
Was wird 2017 fehlen?
Das Team Manor, das 2016 chronisch hinterherfuhr, gibt es nach seiner Insolvenz nicht mehr. Im Feld sind daher nur noch zehn Teams, insgesamt 20 Autos. Durch das Manor-Aus wurde auch das deutsche Talent Pascal Wehrlein heimatlos, fand aber Unterschlupf bei seinem neuen Rennstall Sauber.
Apropos Finanzprobleme: 2017 wird es, wie vor zwei Jahren, keinen Grand Prix in Deutschland geben. Der Nürburgring kann sich das Rennen schlicht nicht leisten. Daher werden in diesem Jahr wieder nur 20 Rennen gefahren, nach dem Rekordjahr 2016 mit 21 Grand Prix. Das Saisonfinale findet am 26. November in Abu Dhabi statt.