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"Neue Chance für Menschenrechte"

Sofia Diogo Mateus / AL8. Juli 2014

Der neue Präsident Indonesiens soll sich stärker für die Menschenrechte im Land einsetzen, fordert Josef Benedict von Amnesty International im DW-Interview. Dabei geht es auch um die Aufarbeitung der Vergangenheit.

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Bei den Parlamentswahlen in Indonesien zeigt eine Wählerin ihren eingefärbten Finger
Bild: Reuters

Am Mittwoch (09.07.2014) wählt die größte muslimische Nation der Welt einen neuen Präsidenten. Die Wähler müssen sich zwischen dem Gouverneur der Hauptstadt Jakarta, Joko Widodo - genannt Jokowi - und dem Ex-General Prabowo Subianto entscheiden. Umfragen zufolge lag Jokowi lange deutliche vorne, doch inzwischen liegen beide Kandidaten gleichauf.

DW: Warum ist diese Wahl so wichtig für die Menschenrechte in Indonesien?

Josef Benedict: Indonesien hat in Sachen Menschenrechte seit dem Ende der Suharto-Diktatur große Fortschritte gemacht. Die Regierung hat zahlreiche internationale Menschenrechtsabkommen unterzeichnet und einige Gesetzesreformen, zum Beispiel zum Thema Frauenrechte und Opferschutz, eingeleitet.

Doch in den vergangenen Jahren ist der Reformprozess ins Stocken geraten und die Zahl der Menschenrechtsverletzungen wieder angestiegen. Vergangenes Jahr wurde die Todesstrafe wieder eingeführt, nachdem sie vier Jahre lang ausgesetzt war. Gesetze, die Menschenrechte schützen, werden nach unseren Beobachtungen nicht konsequent angewandt und die Aufarbeitung von vergangenen Menschenrechtsverletzungen geht nicht voran. Die Präsidentschaftswahl könnte eine gute Gelegenheit bieten, diese Situation zu verbessern, die Gesetze weiter zu reformieren und die Verantwortlichkeit der Behörden zu stärken.

Prabowo Subianto (li) und Joko Widodo (re.) geben sich im Wahlkampf die Hand (Foto: Romeo Gacad/AFP/Getty Images)
"Alle Menschenrechtsverletzungen, ob von Prabowo (li.) oder anderen begangen, müssen aufgearbeitet werden", sagt Josef Benedict von Amnesty InternationalBild: ROMEO GACAD/AFP/Getty Images

Wo sehen Sie die drängendsten Probleme?

Amnesty International hat im April eine Liste zentraler Menschenrechtsanliegen an beide Präsidentschaftskandidaten geschickt. Religiös motivierte Gewalt und Diskriminierung von religiösen Minderheiten standen ganz oben auf der Liste. Wir beobachten seit einigen Jahren eine wachsende Zahl von Angriffen auf Schiiten und Angehörige der Ahmadiya-Gemeinde. Es ist auch eine Diskriminierung, wenn radikale Islamisten religiösen Minderheiten die Einrichtung von Andachtsstätten erschweren. Die Regierung hat bisher nicht viel gegen solche Hardliner unternommen.

Ein weiteres Anliegen ist die Meinungsfreiheit. Einerseits hat sie sich seit dem Ende der Suharto-Ära dramatisch verbessert, anderseits haben wir aber auch gesehen, dass sie in Provinzen wie Papua oder Maluku massiv eingeschränkt wurde. Dort wurden politische Aktivisten zu bis zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil sie eine Flagge gehisst oder eine Demonstration organisiert hatten.

Wir erhalten auch immer wieder Berichte über Missbrauch durch Polizeibeamte, da geht es um Folter und exzessive Gewaltanwendung. In vielen Fällen wird jedoch niemand zur Verantwortung gezogen.

Welches Thema sollte der neue Präsident Indonesiens als erstes angehen?

Der neue Präsident sollte die Toleranz in der Gesellschaft stärken und versuchen, die verschiedenen religiösen Gemeinschaften einander näher zu bringen. Außerdem sollte er die Blockadeaktionen der Islamisten zum Thema machen und die diskriminierenden Gesetze abschaffen. Wenn er bereits in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit entsprechende Schritte unternimmt, wird er ein starkes Signal an die indonesische Bevölkerung und an das Ausland senden, dass er sich religiöser Freiheit verpflichtet hat.

Welcher Kandidaten ist in einer besseren Position, um solche Akzente zu setzen?

Amnesty bezieht zu dieser Frage keine Stellung. Wir wissen, das Jokowi seine Vision für den Umgang mit einigen dieser Themen klar umrissen hat. Wir haben auch zur Kenntnis genommen, dass Prabowo einige dieser Themen in seinen öffentlichen Debatten erwähnt hat. Am Ende kommt es darauf an, inwieweit der neue Präsident bereit ist, Verbesserungen der Menschenrechtssituation auch wirklich verbindlich umzusetzen.

Ein Indonesier wirft einen Stimmzettel in eine Wahlurne (Foto: Picture Alliance/dpa)
"Die große Frage ist, wie der neue Präsident mit Straffreiheit umgeht", so BenedictBild: picture-alliance/dpa

Subianto Prabowo wurden in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Halten Sie ihn für den Richtigen, um diese Herausforderungen anzugehen?

Alle Menschenrechtsverletzungen, ob von Prabowo oder anderen begangen, müssen aufgearbeitet werden. Wir wissen von Anschuldigungen gegen ihn. Aber solange er nicht offiziell vor einem Gericht angeklagt wurde, gilt die Unschuldsvermutung. Die größere Frage ist, wie der neue Präsident mit Straffreiheit umgeht. Das mag für Prabowo, dem diese Vorwürfe anhängen, eine Herausforderung sein. Aber entscheidend ist, dass derjenige, der an die Macht kommt, die Vergangenheit ins Visier nimmt.

Kann eine neue Regierung tatsächlich in Sachen Menschenrechte das Ruder herumreißen?

Zurzeit fehlt der politische Wille, viele dieser Themen anzugehen. Indonesien muss sich wirklich loslösen von der Suharto-Ära. Viele Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit sind noch nicht offiziell anerkannt worden und die Opfer warten immer noch auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Aber ich glaube, dass es möglich ist, mit einem neuen Regierungschef eine neue Richtung einzuschlagen. Er muss bereit sein, die Probleme öffentlich anzusprechen, sie mit dem Parlament zu diskutieren, nötige Reformen durchzuführen und Fehler früherer Regierungen anzuerkennen. Diese Wahlen bieten wirklich eine Chance auf eine Neuorientierung.

Josef Benedict ist Chef der Indonesienkampagne von Amnesty International.

Das Interview führte Sofia Diogo Mateus.