Nein soll Nein heißen - ohne wenn und aber
10. November 2014Der Täter lauert nachts im Park auf ein willkürliches Opfer, das er dann vergewaltigt - diese Klischeevorstellung ist weit verbreitet. Statistisch gesehen sind die meisten Vergewaltigungen jedoch Beziehungstaten und finden im nahen Umfeld des Opfers statt. Die Täter sind Kollegen, Bekannte, Verwandte oder gar der eigene Partner. Die Frauen zeigen die Übergriffe nur in den seltensten Fällen an.
Gesetzlich ist in Deutschland der Straftatbestand der Vergewaltigung im Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Danach muss dem Opfer entweder Gewalt angetan, mit Gefahr für Leib und Leben gedroht werden oder es muss dem Angriff des Täters schutzlos ausgeliefert sein. Sonst wird im juristischen Sinne nicht von einer Vergewaltigung gesprochen. Ein "Nein, ich will nicht!" reicht nach derzeitiger Rechtslage nicht aus.
Für Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen ist diese Rechtslage nicht hinnehmbar. Etta Hallenga betreut und berät seit Jahren Opfer sexualisierter Gewalt in der Frauenberatungsstelle Düsseldorf. "Die wenigsten Frauen kennen diese Rechtslage. Wenn sie nein sagen, bitten, weinen oder flehen, dass derjenige aufhören soll, dann sind sie später entsetzt, dass das nicht als Vergewaltigung anerkannt ist." Nach Hallengas Beobachtung kommt es aufgrund dieser Gesetzeslage bei vielen Vergewaltigungen gar nicht erst zu einem Gerichtsverfahren. "Die Frau kann Anzeige erstatten, aber der Fall wird dann in der Regel von der Staatsanwaltschaft eingestellt." Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen folgte im Jahr 2012 nur in 8,4 Prozent der Anzeigen auch eine Verurteilung.
Justizminister: Lücken schließen
Die Justizminister von Bund und Ländern wollen den Paragrafen 177 StGB nun reformieren. Wie das im Einzelnen ausgestaltet werden soll, ist noch unklar. Wahrscheinlich wird es jedoch in Richtung einer "Nein-heißt-nein"-Regelung gehen. Deutschland steht auch international unter Zugzwang, da im August 2014 die sogenannte Istanbul-Konvention in Kraft getreten ist - ein Übereinkommen des Europarats zu Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Danach sind generell "nicht einverständliche" sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen.
Bundesjustizminister Heiko Maas sagte nach einem Treffen mit seinen Kollegen aus den Ländern am vergangenen Donnerstag, es sei klar, "dass es Schutzlücken gibt, und wir wollen die Schutzlücken auch schließen". Auf die Frage, "wie viel Widerstand eine Frau leisten muss, damit es sich um Vergewaltigung handelt", gebe das geltende Recht nicht immer eine klare Antwort, räumte der Bundesminister ein.
Symbolpolitik mit Schwächen?
Kritiker befürchten, dass eine Gesetzesverschärfung zu mehr Falschanschuldigen führen könnte. Das sexuelle Zusammentreffen zweier Menschen sei komplex und nicht immer widerspruchsfrei und die Grenze zwischen einvernehmlichen Handlungen und Zwang sei manchmal nicht klar. So könne ein "Nein" eigentlich ein "Ja" implizieren und ein "Ja" bedeute nicht immer ein wirkliches Wollen. Schwierigkeiten sehen manche Kritiker auch dort, wo sexuelles Verhalten von gesellschaftlichen Konventionen abweicht - zum Beispiel bei sadomasochistischen Praktiken. Gewaltvolle Handlungen, die üblicherweise eine Straftat darstellen, werden hier ausdrücklich vereinbart und bedeuten besonderen Lustgewinn.
Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund sieht darin jedoch keinen Widerspruch: "Bei sadomasochistischen Handlungen greifen wir nicht ein. Da bestehen grundsätzlich Regeln, beispielsweise wird ein Stichwort vereinbart. Wenn das gesprochen wird, dann hört es auf. Das ist genauso als Einverständnis zu erkennen oder als Rückzug des Einverständnisses wie in anderen Kontexten auch."
Paradigmenwechsel nötig
Den Vorwurf einer Vergewaltigung vor Gericht auch zu beweisen - das wird durch eine entsprechende Gesetzesänderung nicht einfacher. Das weiß auch Freudenberg. "Es wird nichts daran ändern, dass Aussage gegen Aussage steht, das ist völlig klar. Man muss aber zwischen dem Rechtsgut, das man schützt, und der Frage, ob es hinterher bewiesen werden kann, unterscheiden."
Das sieht auch Etta Hallenga so. "Mir geht's gar nicht darum, ob hinterher mehr Anzeigen kommen oder mehr Verurteilungen. Mir geht es um die Einstellung, die wir im Bezug auf sexuelle Selbstbestimmung haben. Der Paragraph 177 ist ein Schlag ins Gesicht, was die Menschenrechte angeht." Langfristig hoffen beide, dass ein verschärftes Strafrecht auch einen Wandel in den Köpfen bewirkt: Das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, kennt keine Ausnahmen. Gleichzeitig müssen die Betroffenen ihre Wünsche und Ablehnungen auch unmissverständlich äußern.
Um Frauen nach sexualisierten Übergriffen zu helfen und ihnen mehr Handlungsspielraum einzuräumen, ist jedoch ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig - auch da sind sich Freudenberg und Hallenga einig. So gebe es bisher nur in wenigen Bundesländern die Möglichkeit, nach einer Vergewaltigung die vorhandenen Beweismittel wie DNA-Spuren sichern zu lassen, ohne dass gleichzeitig die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden. Denn sobald die Behörden davon erfahren, müssen sie von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen - die Entscheidung wird der Frau aus der Hand genommen. Betroffene brauchten aber oft Zeit, um über eine Anzeige und die damit verbundenen Folgen nachzudenken, so Freudenberg. Hallenga ergänzt, dass Polizei und Gericht bisher zu selten die Möglichkeit einer Videovernehmung nutzten, die Frauen die Aussage erleichtern könnte. Außerdem dauere es nach einer Anzeige viel zu lange, bis es zu einem Gerichtsverfahren komme - manchmal ein bis zwei Jahre.
Im US-Bundesstaat Kalifornien gibt es seit einigen Wochen ein Gesetz, dass an den dortigen Universitäten Sex ohne ein ausdrückliches "Yes" beider Partner untersagt - die Befürworter sehen die Regel als eine Weiterentwicklung des bisher geltenden "No means No".