Literaturnobelpreis: Deutschsprachige Preisträger und Eklats
5. Oktober 2017Der erste deutschsprachige Autor, der den Literaturnobelpreis bekam, war 1902 Theodor Mommsen. Er gilt als einer der bedeutendsten Historiker des 19. Jahrhunderts. Die Auszeichnung bekam er für seine "Römische Geschichte", die bis heute noch Bedeutung für die Geschichtswissenschaft hat. Seine positive Charakterzeichnung von Julius Caesar etwa beeinflusste die deutsche Forschung fast ein Jahrhundert lang. Mehr als 30 Jahre hatte Mommsen an seinem umfassenden Werk geschrieben.
Mommsen, der unter anderem Professor an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität war, war wegen seiner herrischen Art bei seinen Studenten unbeliebt. In Rom war er deutlich angesehener: Dort ernannte man ihn zum Ehrenbürger.
Als Bürgerschreck war dagegen Gerhart Hauptmann bekannt. Der Dramatiker brach in jungen Jahren reihenweise Tabus und schreckte die vornehme Gesellschaft auf. Sein Debüt, das drastische Sozialdrama "Vor Sonnenaufgang" um den Niedergang einer reichen Bauernfamilie durch Trunksucht, führte 1889 im Berliner Lessing-Theater zu Tumulten und bedeutete den Durchbruch des Naturalismus. Seine zentrale Botschaft: Der Mensch ist nicht selbstbestimmt, sondern wird entscheidend geprägt durch Vererbung, Milieu und Erziehung. Hauptmanns bedeutendstes Drama, "Die Weber" (1892) über den Weberaufstand 1844, wurde in seiner Sprache und seiner Darstellung realistischer "Volkstypen" als revolutionär angesehen. 1912 bekam er den Nobelpreis "für sein fruchtbares und vielseitiges Wirken im Bereich der dramatischen Dichtung."
Thomas Mann musste lange warten
Thomas Mann erhielt den Nobelpreis für seine Betrachtung einer gegensätzlichen Gesellschaftsschicht: "Buddenbrooks - Verfall einer Familie" erzählt vom Abstieg einer Lübecker Kaufmannsfamilie über vier Generationen hinweg und gilt als der erste große deutschsprachige Gesellschaftsroman. Als Vorlage diente dem Kaufmannssohn die eigene Familiengeschichte. Mit nur 26 Jahren veröffentlichte Mann dieses Epos im Jahr 1901. Die zweibändige Erstausgabe blieb weitgehend unbeachtet, den Durchbruch schaffte erst die einbändige zweite Auflage zwei Jahre später. Und auch dann dauerte es noch 26 Jahre, bis die Nobel-Jury Mann, der sich längst mit zahlreichen Werken als einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts etabliert hatte, für die "Buddenbrooks" die Auszeichnung zusprach.
Er selbst war irritiert, dass sich der Preis fast ausschließlich auf die "Buddenbrooks" und nicht etwa auch auf "Der Zauberberg" und sein Gesamtwerk bezog - und ließ rückblickend dennoch Stolz durchscheinen: "Die sensationelle Auszeichnung (...) hatte, soviel ich wusste, schon mehr als einmal dicht über mir geschwebt und traf mich nicht unvorbereitet. Sie lag wohl auf meinem Wege - ich sage es ohne Überheblichkeit, aus gelassener, wenn auch nicht uninteressierter Einsicht in den Charakter meines Schicksals, meiner Rolle auf Erden, zu der nun einmal der zweideutige Glanz des Erfolges gehört und die ich durchaus menschlich betrachte, ohne viel geistiges Aufheben davon zu machen."
"Der Steppenwolf": Humor als Lösung
Thomas Mann war ein erklärter Bewunderer Hermann Hesses, der den Preis 17 Jahre nach ihm zugesprochen bekam. Hesse, in Baden-Württemberg geboren, wanderte später in die Schweiz aus, wo er Thomas Mann auf dessen Weg aus Nazi-Deutschland heraus Unterschlupf bot. Weltberühmt wurde Hesse mit der Erzählung "Der Steppenwolf", veröffentlicht 1927, die stark autobiografische Züge hat. Die Hauptfigur Harry Haller leidet unter der Zerrissenheit ihrer Persönlichkeit, der bürgerlichen, angepassten auf der einen, und der einsamen, sozialkritischen auf der anderen Seite. Die Überwindung dieses innereren Konflikts gelingt Haller schließlich mit Humor, der Fähigkeit, über sich selbst zu lachen.
Für ihre Gesamtwerke wurden Heinrich Böll (1972), Günter Grass (1999) und Herta Müller (2009) ausgezeichnet. Böll setzte sich in seinen Romanen, Kurzgeschichten, Essays und auch Hörspielen kritisch mit der jungen Bundesrepublik auseinander. Seine Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" aus dem Jahr 1974,die mit der Sensationsgier der Boulevardpresse abrechnet, gilt als sein bekanntestes Werk. Den Durchbruch schaffte er jedoch bereits 1951 mit seiner Lesung der Satire "Die schwarzen Schafe" bei der Gruppe 47, einem deutschsprachigen Schriftstellertreffen, dessen Förderpreis sieben Jahre später auch Günter Grass erhielt. Die beiden teilten die Fronterfahrung des Zweiten Weltkriegs, beide waren engagierte Bürger und Personen des öffentlichen Lebens, die nicht nur Zuspruch, sondern auch viel Gegenwind bekamen.
Grass und das Schreiben: "Schlimmer sind nur Dichterlesungen vor Frauenkränzchen"
Politisch waren die beiden Linksintellektuellen durchaus nicht immer einer Meinung, doch Böll gab auf einer Postkarte an Grass seiner Freude Ausdruck, "dass wir beide - wohl, weil wir so verschieden sind! - zusammengekommen sind." Grass wiederum schrieb 2009 in seinem Essay "Als Heinrich Böll beerdigt wurde": "Geliebt, ja, im Ausland verehrt, gab er vielen Lesern und Zuhörern Orientierung und einen Begriff von Freiheit, der sich nicht auf die Marktwirtschaft beschränkte. Vielleicht war er deshalb einer Meute von Politikern und deren Claqueuren verhasst, bis zu seinem Todestag am 16. Juli 1986."
Grass bekam den Nobelpreis, weil er nach Ansicht der Jury "in munterschwarzen Farben das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet hat." Mit "Die Blechtrommel", "Hundejahre" "Katz und Maus", der sogenannten "Danziger Triologie", prägte Grass den Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur. Auch spätere Werke, etwa "Ein weites Feld" (1995) und das autobiografische "Beim Häuten der Zwiebel" (2006), in dem Grass von seiner Mitgliedschaft bei der Waffen-SS als 17-Jähriger schreibt, wurden viel beachtet und diskutiert. Dabei fiel es ihm nicht immer leicht, produktiv zu sein, wie er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1999 gestand: "Das Schreiben ist eine schreckliche Tortur - schlimmer nur sind Dichterlesungen vor Frauenkränzchen." Bis zu seinem Tod im Jahr 2015 galt Grass als einer der wichtigsten Intellektuellen Deutschlands.
Herta Müller: Aus Rumänien nach Deutschland
Jüngstes Mitglied in der Reihe deutschsprachiger Preisträger und Preisträgerinnen ist Herta Müller. Müller, die 1953 in Rumänien geboren wurde und 1987 in die Bundesrepublik Deutschland ausreiste, erhielt den Nobelpreis für Literatur 2009. Sie setzt sich in ihren Werken mit den Folgen der kommunistischen Diktatur in Rumänien auseinander. Ihre Familie gehörte in Rumänien zur deutschen Minderheit, der Vater war Soldat der Waffen-SS, die Mutter wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu mehrjähriger Zwangsarbeit in ein ukrainisches Lager deportiert. In ihrem Roman "Atemschaukel" von 2009 zeichnet Müller die Deportation eines jungen Mannes in ein sowjet-ukrainisches Arbeitslager nach, das beispielhaft für das Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen nach dem Zweiten Weltkrieg steht. Als Vorlage dienten ihr dabei die mündlichen Erinnerungen des Lyrikers Oskar Pastior, die sie aufgeschrieben hatte. Die Jury erklärte in ihrer Begründung, Müller habe "mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit" gezeichnet.
Weitere deutschsprachige Preisträger sind Elfriede Jelinek (2004), Elias Canetti (1981), Nelly Sachs (1966), Carl Friedrich Georg Spitteler (1919), Paul Heyse (1910) und Rudolf Eucken (1908).
Bei der Verleihung des Literaturnobelpreises gab es immer wieder Überraschungen. Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie über dem Text und erfahren Sie, wer neben Bob Dylan noch für Wirbel sorgte.