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Kritik an Polizei

23. August 2007

Den Opfern der Hetzjagd von Mügeln geht es nach Auskunft einer Betreuerin "richtig schlecht". Unterdessen wird Kritik an dem Vorgehen der Polizei laut.

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Herzlich willkommen?, Quelle: AP
Herzlich willkommen?Bild: AP

Die Opfer der Hetzjagd von Mügeln stehen nach Auskunft einer Betreuerin nach wie vor unter dem Eindruck des Gewaltexzesses vom Wochenende. "Den Menschen geht es nicht gut, es geht ihnen richtig schlecht", sagte Grit Armonies, Projektkoordinatorin der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA) Leipzig, am Donnerstag (23.8.) auf N24.

"Sie halten abwechselnd Wache"

Die acht Inder werden auch von ihrer Organisation betreut. Am Mittwoch habe sie die Männer zur Zeugenvernehmung bei der Polizei begleitet. "Sie können nicht schlafen, sie wechseln sich ab, halten gegenseitig Wache, und sie haben einfach Angst", sagte Armonies. Nach ihren Informationen wollen sie "aber hier in Mügeln bleiben". Auf einem Stadtfest waren in der Nacht zum vergangenen Sonntag die Inder von etwa 50 Deutschen angegriffen und über den Marktplatz gejagt worden. Insgesamt 14 Menschen wurden verletzt.

Singh Gorvinda, eines der Opfer, Quelle: AP
Singh Gorvinda, eines der OpferBild: picture-alliance/dpa

Nach Einschätzung sächsischer Opferberatungsstellen waren die Übergriffe eindeutig rassistisch motiviert. Betroffene und Zeugen hätten in Gesprächen erklärt, dass die Angreifer Parolen wie "Ausländer raus!" und "Scheiß Ausländer" gerufen hätten, teilten die in der Region aktiven Initiativen RAA Sachsen und AMAL am Donnerstag mit. Die Berater betreuen nach eigenen Angaben die Inder, die verfolgt und verletzt worden waren. Sie nennen "Parteilichkeit für die Betroffenen" als wichtigstes Prinzip ihrer Arbeit.

"Kein rechtsextremer Hintergrund"

Innenminister Buttolo hatte am Mittwoch erklärt, dass an den Auseinandersetzungen keine organisierte rechtsgerichtete Gruppierung beteiligt gewesen sei. Bei den vorläufig festgesetzten jungen Deutschen, gegen die inzwischen auch die Staatsanwaltschaft ermittelt, sei in den Vernehmungen kein rechtsextremer Hintergrund erkennbar geworden, so Polizeichef Bernd Merbitz.

Für die in der Region aktiven Opferberatungen AMAL und RAA Sachsen reiht sich der Vorfall in Mügeln in eine Reihe rechtsextremer Überfälle in Sachsen ein, wie ein AMAL-Sprecher am Donnerstag sagte. Wiederholt hätten Neonazis versucht, Dorffeste "zu säubern". Rechtsextremismus müsse "als gesellschaftliche Dauerproblematik verstanden werden".

Rufe nach besserer Polizeiausbildung

Unterdessen mehren sich die Rufe nach einer besseren Ausbildung der Polizei. Die Beamten müssten "systematisch für das Erkennen von Fremdenfeindlichkeit und den Umgang mit rechtsextremistischen Übergriffen geschult werden", forderte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der "Netzeitung". Es könne nicht sein, "dass Polizisten sich zurückziehen und Neonazis und Kameradschaften den Raum überlassen". Der Vorsitzende des Vereins "Gesicht zeigen", Uwe-Karsten Heye, warf der Polizei vor, "offenbar nicht ausreichend motiviert" zu sein, "richtig durchzugreifen und repressiv gegen rechte Gewalt vorzugehen".

Derweil kritisierte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, das Vorgehen der Polizei in Mügeln: "Wenn die Polizei vorsichtig erklärt, es sei ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht auszuschließen, so klingt das beschwichtigend", sagte Pfeiffer der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". "Wenn die Opfer ausnahmslos Inder sind und tatsächlich Rufe wie 'Ausländer raus' ertönten, müssen wir zunächst davon ausgehen, dass es sich um eine fremdenfeindliche Aggression handelte." Das Risiko, Opfer einer fremdenfeindlich motivierten Tat zu werden, sei im Osten 20 Mal höher als in Westdeutschland, erklärte der Kriminologe.

Die 16-köpfige Ermittlungsgruppe der Polizei wurde um zehn Beamte aufgestockt. "Das läuft heute an", sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Zudem sollte eine Anlaufstelle für Zeugen ihr Arbeit aufnehmen. Bisher wurden Ermittlungsverfahren gegen zwei Männer aus Mügeln wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Es seien noch keine weiteren Verdächtigen ermittelt worden. "Aber wir sind optimistisch", sagte der Sprecher.

"Aufgabe für jeden von uns"

Gotthard Deuse, Bürgermeister von Mügeln
Bürgermeister Deuse: "Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen"Bild: AP

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) kündigte für November eine Konferenz mit Vertretern sächsischer Kommunen zum Thema Rechtsextremismus an. Brandenburgs Justizministerin Beate Blechinger (CDU) erneuerte ihre Forderung nach härteren Strafen für rassistische und fremdenfeindliche Taten. So sollten Freiheitsstrafen über sechs Monate in der Regel nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden, sagte sie in einem Interview der "Jüdischen Allgemeinen" (Donnerstag). Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), rief die Deutschen zu mehr Zivilcourage auf. Gerade der Kampf gegen Rassismus sei "eine Aufgabe für jeden von uns".

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, rief FDP-Chef Guido Westerwelle auf, sich unverzüglich von seinem Parteifreund und Bürgermeister von Mügeln und dessen Verständnis für fremdenfeindliche Sprüche zu distanzieren. Bürgermeister Gotthard Deuse hatte zu den "Ausländer raus"-Rufen gesagt: "Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen." (stu)