Priester fehlen, Pfarreien verschwinden
22. September 2020Noch ist Wolfgang Picken einer von mehreren katholischen Pfarrern in der Bonner Innenstadt. Als Stadtdechant am Bonner Münster ist er das prominenteste Gesicht der Kirche in der ehemaligen Bundeshauptstadt. Doch Picken wird - so sehen es Pläne des Erzbistums Köln vor - vom Bonner Münster aus bald für weit mehr Kirchen als bislang zuständig sein. Das wird, sagt der 53-Jährige der Deutschen Welle, eine "wahnsinnige Umstellung".
Ansage aus Rom: Leiten muss ein Priester
Strukturreform heißt das Zauberwort in der katholischen Kirche. Angesichts der sinkenden Zahl an einsatzfähigen Geistlichen und absehbar schwindenden Kirchensteuer-Einnahmen stellen sich Bistümer neu auf. Das Erzbistum Köln, Deutschlands mitgliederstärkste Diözese und eines der reichsten Bistümer der Welt, will bis zum Jahr 2030 aus rund 500 Pfarreien rund 50 machen. 50 Großgemeinden, an deren Spitze jeweils ein Priester steht. Köln ist das bislang prominenteste Beispiel.
Der Rückbau von Strukturen ist die deutlichste Folge des Priestermangels, der seit Jahren die katholische Kirche in Deutschland trifft. Lange befassten sich Kirchenoffizielle intern mit dem Thema. Das ist seit diesem Jahr anders. Die Debatte wird breiter. Wenn die deutschen Bischöfe bis Donnerstag in Fulda bei ihrer Herbstvollversammlung beraten, werden sie sich gewiss auch über diese Frage austauschen. Es ist ein Puzzlestein zwischen Kirchenkrise und Suche nach künftiger Gestalt, Aufarbeitung von Missbrauch und Debatten mit Rom.
Denn im Juli hatte sich der Vatikan zum Thema Strukturreform geäußert und mit den Vorgaben seiner Stellungnahme bei vielen deutschen Bischöfen Irritationen ausgelöst. Die vatikanische Kleruskongregation betonte deutlich: Kirchengemeinden müssen von einem Priester geleitet werden - immer. Eine klare Absage an jedes Konzept, die Leitung von Pfarreien gleichberechtigten Teams aus Priestern und Laien anzuvertrauen. Dabei sinkt die Zahl der Priester weiter. Pfarreien werden größer. Verwaltung ist das eine, Seelsorge das andere.
"Wirklichkeitsfremd und absurd"
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, meinte, er habe nach der Lektüre der Instruktion "schwer schlucken müssen. Dann habe ich mir gesagt: Das ist in manchen Teilen so wirklichkeitsfremd und absurd". Selbst Bischöfe äußerten sich ähnlich deutlich. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, ein Kirchenrechtler, nannte das Schreiben" theologisch defizitär". Und sprach von "mehr Schaden als Nutzen".
Das Bistum Trier arbeitet seit Jahren und am längsten an einer Strukturreform. Eine Vorlage wurde 2019 vom Vatikan gekippt. Sie sah vor, die bislang 887 Pfarreien in 35 Großpfarreien unter Leitung eines Teams aus Pfarrer und Laien zu errichten. Nach dem römischen Veto sollen 172 Verbünde errichtet werden - unter Leitung je eines Pfarrers. Das Bistum Mainz will bis 2030 aus 134 Seelsorge-Einheiten 50 Pfarreien machen, geleitet jeweils von einem Pfarrer. Man werde "geeignete Formen finden, Verantwortung zu teilen", sagt Bischof Peter Kohlgraf.
Mehr Distanz zur Kirche
Mag sein, dass durch größere Gemeindeverbünde Verwaltungsapparate wegfallen. Aber die Wege der Gläubigen zu ihrer Sonntagsmesse werden länger. Die Distanz zur Kirche vor Ort wächst. Das hat Auswirkungen für die Gemeinden. Aber auch für die soziale und gesellschaftliche Landschaft in Deutschland - jenseits von Kirche.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, verweist im Gespräch mit der Deutschen Welle auf all das, was die Kirchen im sozialen Bereich leisten, von Kindergärten über Jugendarbeit und Integrationsangebote bis zu Altersheimen. Er appelliert an die Kirchen, auf ihre Mitglieder zuzugehen und deren Belange ernst zu nehmen. Zu befürchten sei, dass Städte und Gemeinde viele der Leistungen von Kirche, auch von Diakonie und Caritas, "aus eigener Kraft" nicht stemmen könnten. Da sei der Bund, seien die Bundesländer mit Hilfen gefordert: "Wenn es tatsächlich dazu kommt, werden wir in einigen Jahren eine andere Sozialstruktur brauchen."
Frust an der Basis
Viele Vertreter der kirchlichen Basis sehen die Reformpläne "sehr kritisch". Bei ihrer Bewertung wird deutlich, dass alles mit allem zusammenhängt: Frust an der Basis und Kirchenaustritte, römische Strenge und eine Ausrichtung der Kirche an Priestern. "Am Schluss ergibt das dann eine auf die Kirche zugeschnittene Kirche", sagt Susanne Ludewig, Kasseler Katholikin und Mitglied im Bundesteam der Bewegung "Wir sind Kirche". Viele Katholikinnen und Katholiken seien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mündig geworden und wollten vor Ort Kirche und Gemeinde erleben: "Wenn man erst 50 Kilometer bis zum Gottesdienst fahren muss - das hat keine Zukunft."
Am Donnerstag, wenn das Treffen der Bischöfe endet, ist Ludewig jedenfalls in Fulda, sagt sie. Dann demonstrieren "Wir sind Kirche" und die Bewegung "Maria 2.0" für mehr Mut der Kirche zu Reformen. Sie sehen den Priestermangel einfach in der Verpflichtung der Priester zum Zölibat begründet und drängen auf eine grundsätzliche Öffnung.
Bonns Stadtdechant Picken verweist bei der Suche nach neuen Rahmenbedingungen für Gemeinden auf "Strukturen, die uns vertraut sind". In Regionen Asiens, Afrikas, Lateinamerikas gebe es schon längst Gemeinden und lebendiges Christsein ohne Priester und das auch ohne große Finanzmittel.