Was passiert mit der Kirchenkunst?
10. April 2020Wie ein schützendes Zelt steht die Kirche des ehemaligen Klosters "Schwestern zum Guten Hirten" im Kölner Stadtteil Lindenthal. "Dieser Ort war als Arche Noah, als Rettungsschiff für sogenannte 'gefallene Mädchen' gedacht", sagt Ruth Pauli. Als solche bezeichnete man junge Frauen in Not, zum Beispiel durch eine ungewollte Schwangerschaft. Der Künstler Franz Pauli, Ruth Paulis Vater, hat die Glasfenster für diesen schützenden Ort gestaltet.
"Da ist eine mystische Stimmung im Kirchenraum mit dem Licht, das durch dieses Fensterband einfällt", sagt Ruth Pauli im Gespräch mit der DW. Seit die Nonnen das Kloster vor 30 Jahren verlassen haben, nutzt die Syrisch-Orthodoxe Gemeinde die Räume. Hier kümmert man sich aktuell auch um christliche Flüchtlinge aus Syrien. Zusammen mit ihren drei Schwestern Gisela, Anna und Hedda kämpft Ruth Pauli schon seit fünf Jahren darum, den Abriss dieser besonderen Kirche des bekannten Architekten Fritz Schaller zu verhindern.
Zu wenig Gläubige, zu viele Kirchen
Die Mitgliederzahlen der katholischen und evangelischen Kirchen in Deutschland gehen seit Jahren zurück. 2018 spitzte sich die Lage dramatisch zu, als allein die katholische Kirche über 216.000 Kirchenaustritte verzeichnete, 29 Prozent mehr als im Jahr davor. Leerstehende Kirchen bedeuten für die Bistümer hohe Instandhaltungskosten. So wurden von den 1200 Gotteshäusern im Erzbistum Köln in den letzten zehn Jahren 28 Kirchen umgewidmet oder "profaniert", also weltlichen Zwecken zugeführt. Sieben sind bereits abgerissen.
Kirchen aus der Nachkriegszeit, vor allen Dingen aus den späten 1950er und 1960er Jahren, sind besonders gefährdet. "Nachkriegskirchen stehen oft in dünn besiedelten Vororten, die von der demographischen Entwicklung besonders betroffen sind. Da gehen die Zahlen der Katholiken stark zurück", sagt Erzdiözesanbaumeister Martin Struck vom Generalvikariat des Erzbistums Köln. Die Einrichtungsgegenstände könne man oft noch retten, aber die Kunst, die mit dem Gebäude verbunden sei, wie Mosaike, Wandmalereien oder die Glasfenster seien nur schwer auszubauen und zu erhalten. "Die Werke haben leider zurzeit auch keinen Marktwert, weil es keine Interessenten gibt", bedauert Struck. "Es fehlt einfach an Raum, wenn Sie eine Fensterscheibe mit 4 Metern Breite und 8 Metern Höhe haben."
Natur und Technik in Paulis Fenstern
Franz Pauli war ein künstlerischer Vertreter genau jener Nachkriegs-Epoche. 1927 in Oberschlesien im heute polnischen Gleiwitz geboren, floh er Ende des Zweiten Weltkriegs in den Westen. Er studierte Freie Kunst in Köln und an der Kunstakademie Düsseldorf. Dazu Philosophie sowie Kunst und Biologie auf Lehramt.
Obwohl Pauli vor seinem Tod 1970 nur 13 Jahre als Künstler tätig war, hat er ein umfangreiches Werk an figürlichen und abstrakten Kirchenfenstern, Ölbildern und Objekten hinterlassen. Rund 120 Kirchen hat Franz Pauli in Deutschland mit seiner Glasmalerei ausgestattet, dazu sieben Kirchen in den USA.
Sein Werk wird von Kunsthistorikern sehr geschätzt. Die Reduktion auf das Wesentliche prägte seine Arbeiten. "Neben der Natur und Gesteinen hat er auch Erfindungen und technische Neuerungen durch den Menschen als Sinnbild der göttlichen Schöpfungskraft gesehen und in seiner Kunst dargestellt", erklärt seine Tochter Gisela Pauli Caldas. Wer sich etwa die Fenster in der Stiftskirche des kleinen Ortes Bad Münstereifel anschaut, findet dort Darstellungen mikroskopischer Vergrößerungen von Bakterien und Mineralien.
Die rheinische Glaskunst ist einmalig
Das Rheinland wurde im Zweiten Weltkrieg besonders stark zerstört. Schnell brauchte man neuen Wohnraum und neue Kirchen. Für die Kirchenfenster suchten die Bistümer innovative Künstler. "Das ist weltweit ein Highlight, dass so viele moderne Kirchenfenster in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind", sagt Kirchenbaumeister Martin Struck. "Da gab es nicht nur Franz Pauli, sondern auch Glaskünstler wie beispielsweise Hubert Spierling, Jochen Poensgen oder Maria Katzgrau."
Bei der Ausgestaltung der Kirchen spielte das Zweite Vatikanische Konzil eine große Rolle. "Es hat in den 1960er Jahren ein Umdenken für die Liturgie der katholischen Kirchen gegeben", erklärt Gisela Pauli Caldas. Der Pastor sollte nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde predigen, sondern sich den Gläubigen zuwenden, die Bänke waren in offenen Räumen um den Altar aufgestellt.
Der Künstler Franz Pauli hat sich viel mit der Moderne auseinandergesetzt. Das Thema Mensch und Maschine bis hin zur künstlichen Intelligenz faszinierte ihn. "Er hat Schaltkreise dargestellt und Festplatten als Sinnbild der Elektronik und der Computertechnologie", erläutert Gisela Pauli Caldas. In der Kirche von Bad Driburg nahm er bei seinen Fenstern auch Bezug auf politische Entwicklungen wie die Mondlandung oder den Vietnamkrieg. "Dinge, die aktuell in der Welt passieren, hat er in einen religiösen beziehungsweise spirituellen Kontext gesetzt", so Gisela Pauli Caldas. "Er hat die Menschen mit der Gestaltung seiner Fenster in die Gegenwart geholt."
Wen im Ausland interessiert deutsche Kirchenkunst?
Während in Deutschland Kirchen sterben, wollen Gemeinden im Ausland, gerade in Gebieten, die vom Krieg zerstört wurden, ihre Gotteshäuser wiederaufbauen. Bänke und Altäre aus abgerissenen deutschen Kirchen kamen bereits Gemeinden in Polen und Bosnien zugute. Eine Orgel aus Deutschland spielt jetzt in der Ukraine.
Mit zweckgebundenen Kirchenfenstern ist eine solche Weitergabe allerdings schwierig - und das nicht nur wegen der Größe, wie Kirchenbaumeister Martin Struck erläutert: "Polnische Gemeinden sagen uns zum Beispiel, es seien Heilige abgebildet, die ihnen nichts sagen würden." Außerdem gäbe es im Ausland oft auch andere ästhetische Vorstellungen. "In polnischen Gemeinden goutiert man die historistische Kunst und eher nicht die moderne Gestaltung. Das ist ein Problem."
Warum man sich in den modernen Kirchen auf das Wesentliche besinnen wollte, wüssten auch viele Menschen in Deutschland nicht, meint Gisela Pauli Caldas und erklärt: "Diese klaren und aus heutiger Sicht kalten Formen waren eine Antwort auf Schmuck und Fassade, auch auf die Lügen der Nationalsozialisten."
Dokumentation ist wichtig
Mit dem Verlust der Kirchen und der Kirchenkunst ginge ein Stück der christlichen spirituellen Kultur in Deutschland verloren, meint Ruth Pauli. Wichtig ist den Pauli-Schwestern nicht nur die Erhaltung der Gotteshäuser, sondern auch die Dokumentation der Kirchenausstattung. "Die Bistümer ergreifen jetzt Maßnahmen zur Inventarisierung", erläutert Gisela Pauli Caldas. "Das geht zum Beispiel mit Drohnen, die Kirchenräume abfotografieren, damit man sich auch nach einem Abriss noch eine dreidimensionale Vorstellung von dem Raum machen kann."
Wichtig sei auch, dass Kunstwissenschaftler aller Richtungen über die Kunstwerke schreiben und forschen. "Wenn die Dinge nicht dokumentiert werden, wenn sie wissenschaftlich nicht aufgearbeitet werden; egal wo auf der Welt, sind sie viel eher gefährdet", meint Gisela Pauli Caldas. Deshalb möchte die Familie Pauli Studierende weltweit animieren, wissenschaftlich über die Kirchenkunstwerke der Nachkriegszeitund die Glasfenster zu arbeiten.
Wie es mit der Kirche der "Schwestern zum Guten Hirten" weitergeht, ist noch ungewiss. Die Gespräche zwischen allen Parteien laufen nach Angaben des Erzbistums Köln weiter ergebnisoffen. Darüber hinaus wird gerade ein Netzwerk für den Austausch von Kirchenkunst eingerichtet. "Wir sind dabei, demnächst eine Internetseite unter 'www.kunstinventar.org' freizuschalten", erläutert Martin Struck. So könne man Such- und Angebotsanfragen aus dem In- und Ausland ins Netz stellen. Auch die Fenster von Franz Pauli könnten über dieses Netzwerk vielleicht Interessenten in anderen Gemeinden finden. Wegen der Corona-Krise wurde die Freischaltung der Seite allerdings vorerst verschoben.