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Kenias Suche nach Gerechtigkeit

Maja Braun3. März 2013

Kenia wählt an diesem Montag einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Ein Thema im Wahlkamp war der Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Es geht um ethnische Gewalt.

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Ein Mann hält zwei Messer in der Hand (Foto: TONY KARUMBA/AFP/Getty Images)
Unruhen in Kenia bei Wahlen 2007Bild: AFP/Getty Images

So kompliziert die politische Gemengelage in Kenia auch ist, immerhin hat sie einen hohen Unterhaltungswert. Denn die Kenianer haben stets einen guten Spruch parat: "Don't be vague, go to Hague". Auf gut Deutsch heißt das etwa: keine halben Sachen machen, gleich nach Den Haag gehen. Das rief Uhuru Kenyatta, Sohn des langjährigen Staatschefs Jomo Kenyatta und heute ein favorisierter Präsidentschaftskandidat, bereits vor vier Jahren.

Nun ist ausgerechnet er am Internationalen Strafgerichtshof vorgeladen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Chef des öffentlichen Dienstes, Francis Muthaura, soll er nach den Wahlen im Dezember 2007 Milizen der Kikuyu, Kenias größter Volksgruppe, koordiniert und zu Gewaltakten an der Opposition aufgehetzt haben. Die ist ebenfalls angeklagt - in Person des ehemaligen Agrarministers William Ruto und des Radiomoderators Joshua arap Song. Beide werden beschuldigt, Angriffe der Milizen der Kalenjin gegen die Kikuyu geplant zu haben.

Die Verantwortung auf die lange Bank geschoben

Als Kenyatta und die Mehrheit der Parlamentarier nach den ethnischen Auseinandersetzungen die Verantwortung für die Aufklärung nach Den Haag schoben, ging es ihnen jedoch nicht darum, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Stattdessen war ihr Kalkül, dass der Internationale Strafgerichtshof in den Niederlanden Jahrzehnte brauchen würde, um die Klagen gegen die Hintermänner der ethnischen Übergriffe aufzuarbeiten, während sie ungestört weiterregieren. Unbequeme Gerichtsverhandlungen im eigenen Land würde es nicht geben.

Der kenianische President Mwai Kibaki, schüttelt dem Oppositionschef Raila Odinga, die Hand. Kofi Annan klatscht Beifall (Foto: AP Photo/Karel Prinsloo)
Kofi Annan (links) half, die Kontrahenten in Kenia auf Friedenskurs zu bringenBild: AP

Aber ihre Rechnung ging nicht auf: Der Gerichtshof arbeitete schneller als erwartet, so dass schon im April der Prozess beginnen kann. Womöglich fällt der Prozessauftakt sogar auf das gleiche Datum wie die Stichwahl, die viele in Kenia erwarten.

"Schuldig, bis der Reichtum bewiesen ist"

Die Entscheidungen von Den Haag sind für die Menschenrechtsaktivisten in Kenia ein Hoffnungsschimmer, oder gar eine "Gelegenheit, die uns Gott geschickt hat". So formuliert es Joseph Omondi, der sich in Nakuru engagiert. Die Stadt, die gut 150 Kilometer nordwestlich von Kenias Hauptstadt Nairobi liegt, war bei den Auseinandersetzungen vor fünf Jahren eines der Zentren der Gewalt. Eine juristische Aufarbeitung ist in Nakuru wie auch anderswo in Kenia noch nicht geschehen. "Wir haben hier 5000 Fälle, die bei den Unruhen nach den Wahlen passierten, und was wurde gemacht? Nichts!" beklagt Omondi.

Für die Straflosigkeit in ihrem Land haben die Kenianer auch ein geflügeltes Wort: "You are guilty, until proven rich". Wer reich genug ist - oder einflussreiche Freunde hat - kann sich von jeder Schuld freikaufen, so nehmen es viele in Kenia wahr. Das hat Tradition, und zwar bei allen Unruhen, die bei vielen Wahlen in den letzten zwanzig Jahren auftraten. Dass sich bei den Prozessen in Den Haag jetzt zum ersten Mal Politiker ihrer Verantwortung stellen müssen, ist die Folge des UN-vermittelten Friedensprozesses nach den Wahlunruhen von 2007/2008. Als Teil eines Friedensabkommens hatte eine Kommission die Verantwortlichen für die Nachwahlkonflikte ausfindig gemacht. Weil die kenianische Regierung nach dem Veto des Parlaments ein eigenes Tribunal ablehnte, gab der damalige Vermittler Kofi Annan eine Liste mit möglichen Anstiftern an Den Haag weiter. 70 Prozent der Kenianer befürworten die Prozesse am Internationalen Strafgerichtshof.

Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, der zur Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit am 11.3.2003 eröffnet worden ist. (Foto: dpa)
Der Internationale Gerichtshof in Den HaagBild: picture-alliance/dpa

Wird Kenias "ethnischer Drache" erneut geweckt?

Aber die Gerechtigkeit könnte einen hohen Preis haben. Viele fürchten, dass der Prozess die ethnischen Konflikte erst recht anheizt. Denn die Angeklagten und einstigen Gegner Kenyatta und Ruto haben längst einen Pakt geschlossen und lassen ihre Anhänger bei der Wahl nun de facto abstimmen, ob sie ihren politischen Führern trauen - oder einem Gericht in Europa.

Uhuru Kenyatta und William Ruto bei einer gemeinsamen Kundgebung c) dpa - Bildfunk+++
"Uhuruto" machen gemeinsam WahlkampfBild: picture-alliance/dpa

Warum sie mit diesem Schachzug viele Stimmen bekommen könnten, liegt laut Samuel Tororei daran, dass die Kenianer eine andere Auffassung von Recht haben, als es der Internationale Strafgerichtshof verfolgt. "Das Land hat die Idee noch nicht verinnerlicht, das jemand für etwas verantwortlich sein kann, was er selbst nicht direkt ausgeführt hat. Die Leute fragen, ob er es war, der ein Haus abgebrannt hat oder eine Machete genommen und jemanden umgebracht hat", sagt der Politikwissenschaftler, der bis vor kurzem Mitglied in der kenianischen Menschenrechtskommission war.

Ein Bürgerkrieg unter politischen Anhängern

Sie seien unschuldig, beteuern Uhuru Kenyatta und William Ruto, die in Kenia nur noch "Uhuruto" genannt werden. Stattdessen werfen sie Premierminister Raila Odinga vor, hinter den Den Haager Anklagen zu stecken. Odinga bewirbt sich dieses Jahr erneut um das Präsidentenamt. Schon vor fünf Jahren hatte er beste Aussichten auf den Sieg und schrie laut "Foul", als er nur knapp gegen den Kikuyu-Kandidaten Mwai Kibaki verlor. In den ersten Wochen nach der Wahl hatten Anhänger der Opposition viele Kikuyu ermordet, vertrieben oder vergewaltigt. In einer zweiten Welle der Gewalt, einen Monat nach der Wahl, mussten Luos, Kalenjin und andere Ethnien aus der Opposionskoalition für die Übergriffe büßen.

Robert Opiyo aus Nakuru bekam den Hass auf die Luo besonders zu spüren. Er war auf dem Weg in die Stadt und wollte Essen für seine Kinder besorgen, erinnert er sich. "Da hat mich eine Gruppe Jugendlicher verfolgt. Ich bin gerannt, und sie liefen hinter mir her. Als sie mich eingeholt hatten, schlugen sie mich zusammen. Dann haben sie mich gewaltsam beschnitten." Die Luo sind der einzige Stamm in Kenia, deren Männer traditionell nicht beschnitten werden. "Ich weiß nicht mehr, wie ich es ins Krankenhaus geschafft habe."

Nach seiner Flucht in ein Lager für Vertriebene bekam Opiyo einige Jahre später ein Haus und ein Stück Land für seine Familie, auf dem der gelernte Ingenieur nun Landwirtschaft betreibt. Die Anklagen in Den Haag sind für ihn ein kleiner Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Gleichzeitig fühlt er sich auf seinem Stück Land zwischen Kikuyu- und Kalenjin-Nachbarn nicht sicher und hat seine Familie vorsorglich schon mal bei Verwandten in einer reinen Luo-Gegend untergebracht.

Vorsorgen für neue Gewalt

Wie Opiyo machen es viele Kenianer, egal welcher Abstammung. In der Angst vor unerwarteten Angriffen von aufgebrachten Nachbarn anderer Ethnien nach der Wahl, bringen sie sich schon vorher in Sicherheit. Beobachter fürchten um die Folgen von möglichen neuen Unruhen für Kenias Wirtschaft, denn schon 2008 hatten der Tourismus und andere Sektoren unter zurückgehenden Investitionen nach den Auseinandersetzungen gelitten.

Ein Oppostionsanhänger mit einem Hammer während der Proteste im Januar 2008 (Foto: dpa)
Die Oppositionsanhänger rächten sich brutal für die vermutete StimmenmanipulationBild: picture-alliance/dpa

Und dann beschäftigt alle die große Frage: Was ist, wenn "Uhuruto", die beiden Angeklagten von Den Haag, tatsächlich die Wahlen gewinnen? Kenyatta sieht darin kein Problem. Sein Land sei schließlich keine Bananenrepublik, sagte er in einem Interview. Wenn er in den Niederlanden vor Gericht erscheinen müsse, würden die starken Institutionen des Landes für Stabilität sorgen. Seine Gegner jedoch argwöhnen, dass Kenyatta, ähnlich wie Sudans Präsident Al Bashir, gar nicht erst nach Den Haag reisen wird, und Kenia womöglich unter internationalen Sanktionen leiden muss.