(K)eine Kindheit in Simbabwe
3. April 2010Mabvuku ist einer der ärmsten Vororte von Harare. Die Straßen sind von Schlaglöchern übersät, in einigen Ecken türmt sich der Abfall, denn die Müllabfuhr kommt schon seit Jahren nicht mehr hierhin. Strom gibt es nur sporadisch. Fließend Wasser so gut wie gar nicht mehr. Nyasha Chigora hat ihr ganzes Leben hier verbracht. Viele der Häuser in Mabvuku wurden schon lange vor der Unabhängigkeit vor 30 Jahren gebaut, erzählt die 68-Jährige. Damals galt Simbabwe als Musterland in Afrika, das Bildungssystem als vorbildlich, die Landwirtschaft florierte. Von alledem ist heute nichts mehr übrig, seufzt sie. Auf die Frage, ob sich die Situation verbessert habe, seit die Regierung der nationalen Einheit an der Macht ist, zuckt sie nur mit den Schultern: "Viel hat sich hier nicht verändert".
Unterricht im Schichtsystem
Vor allem die Kinder litten unter der Armut, erzählt die Großmutter. Viele sind Waisen, weil die Eltern an Aids gestorben sind. Sie haben keine Kleidung, nichts zu essen und können es sich nicht leisten die Schule zu besuchen. Deshalb hat Nyasha Chigora fünf Waisenkinder bei sich aufgenommen: "Ich verdiene ein bisschen Geld, indem ich für andere wasche und bügele. Das reicht gerade so, um das Schulgeld zu bezahlen und die Kinder zu ernähren."
Die Schule von Mabvuku ist nur ein paar Straßen entfernt. Von den Gebäuden blättert der Putz, die Fensterscheiben sind zerbrochen oder fehlen ganz. Im letzten Jahr war sie für mehrere Monate geschlossen, wie etliche andere Schulen in Simbabwe, denn viele Lehrer haben ihr Land in der Krise verlassen. Jetzt wird wieder unterrichtet, in zwei Schichten, die Hälfte der Kinder vormittags, die andere nachmittags, weil es an Klassenzimmern und auch noch immer an Lehrern mangelt, erzählt die 13-jährige Calista. "Richtig lernen können wir hier nicht", sagt das Mädchen. Es gebe kaum Schulbücher und Hefte. Viele ihrer Mitschüler blieben ganz zu Hause, weil sich ihre Eltern das Schulgeld nicht leisten könnten.
"Erst gestern mussten wir wieder ein Kind begraben"
90 Prozent der Bevölkerung in Vierteln wie Mabvuku sind arbeitslos, schlagen sich irgendwie durch, wie Kumbirai Kadyamalilo Tagarira, Mutter von sechs Kindern. "Arm waren wir schon immer", sagt die 40-Jährige, "doch in den letzten Jahren ist unser Leben noch viel schwieriger geworden." Das größte Problem in Mabvuku sei die Wasserversorgung. Vor rund drei Jahren ist sie zusammengebrochen. Sauberes Wasser gibt es seitdem nicht mehr. Das Abwasser läuft durch die Straßen auf denen die Kinder spielen. Viele sind schon an Cholera und anderen Durchfallerkrankungen gestorben. "Es ist einfach furchtbar", seufzt Frau Tagarira. "Erst gestern mussten wir wieder ein Kind begraben."
Zunahme der Kriminalität
Eine junge Frau setzt sich zu der Mutter in den Schatten vor der Schule, hört zu, nickt zustimmend. Die Kinder hätten noch ein anderes großes Problem, fügt Felistas Chitiki hinzu. Oft werden sie losgeschickt, um Wasser zu holen. Drei bis vier Kilometer müssen sie dabei zu Fuß zurücklegen. Und das ist nicht ungefährlich. Denn in der Gegend hat die Kriminalität zugenommen. "Immer wieder stößt Kindern auf dem Weg etwas zu. Viele Mädchen werden missbraucht," so Felistas Chitiki, die für die Nichtregierungsorganisation "Community Arts Project" arbeitet, eine Nichtregierungsorganisation, die Kinder in Mabvuku über ihre Rechte aufklärt.
„Es könnte dein Vater sein, der dich missbraucht“
Nach der Schule sammeln sich ein Dutzend Mädchen unter dem Baum. Spielerisch, in Theater, Gedichten und Liedern setzen sie sich mit ihrem schwierigen Alltag auseinander. "Es könnte dein Vater sein, der dich missbraucht", singen die Mädchen und zeigen auf Brust und Schambereich, die Stellen ihres Körpers, die keiner außer ihnen selbst berühren sollte. Eine beeindruckende und zugleich beklemmende Darbietung. Doch die Probleme müssten beim Namen genannt werden, betont Projektleiter Fortune Rego, es nütze nichts, die Situation zu beschönigen. "Wir wollen, dass diese Kinder selbstbewusst und aufgeklärt sind. Denn ein selbstbewusstes Kind läuft weniger Gefahr missbraucht zu werden", meint der engagierte Familienvater. Damit werde nicht nur den Kindern, sondern dem gesamten Viertel geholfen. Wann es hier in Mabvuku wieder bergauf geht, darüber aber mag Fortune Rego nicht spekulieren. Gegenüber der internationalen Presse halten sich viele wie er mit politischen Aussagen lieber zurück.
Autorin: Leonie March
Redaktion: Stephanie Gebert