Jordanien: Kein Pardon mehr für Vergewaltiger
27. April 2017Aus Sicht der Minister war es offenbar an der Zeit: In einem kühnen Schritt hat sich die jordanische Regierung entschlossen, einen der umstrittensten Artikel der nationalen Gesetzgebung zu ändern: den Paragraphen 308 des jordanischen Strafrechts. Seit Jahren hatte dieser Paragraph für Streit gesorgt. Er sah vor, dass ein Vergewaltiger straffrei ausgeht, wenn er sein Opfer nach der Tat heiratet. Dagegen erhob sich im Land zuletzt immer größerer Widerspruch. Der Kritik schlossen sich auch zahlreiche internationale Organisationen an. Sie sahen in der Gesetzesregelung auch einen Grund für die zuletzt gestiegene Zahl von Ehrenmorden: Die Familien der Opfer wussten sich oft nicht anders zu helfen als durch Selbstjustiz.
Der Parlamentsbeschluss folgte auf eine gegen den Paragraphen gerichtete Kampagne, die von muslimischen und christlichen Aktivisten und Wissenschaftlern angeführt wurde. Die jordanische Frauenrechtsbewegung setzt sich bereits seit Jahren dafür ein, dass der Artikel geändert oder zumindest korrigiert wird. Ihre Sprecherinnen weisen darauf hin, dass die derzeitige Regelung für die betroffene Frauen eine doppelte Strafe darstelle: zunächst die Vergewaltigung - und dann die Heirat mit dem Täter. Der Kritik an dem nun aufgehobenen Rechtsstand hatte sich zuvor auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch angeschlossen.
Vergewaltiger genießen juristischen Schutz
"Die nun getroffene Entscheidung ist das Ergebnis jahrelangen Engagements für den juristischen Schutz der Frauen", sagt die jordanische Frauenrechtlerin Amal Dschabr al-Atrash im Gespräch mit der DW. "Doch so wichtig sie auch ist: Die Gesetzeslage weist immer noch zahlreiche Lücken auf. So sind Frauen, die durch die Vergewaltigung schwanger wurden, weiterhin ungeschützt. Denn die Täter sind nicht zum Unterhalt eines aus der Vergewaltigung hervorgegangenen Kindes verpflichtet."
Aus welchen Gründen die bisher geltende Rechtsprechung in Jordanien und anderen arabischen Ländern einst eingeführt wurde, sei umstritten, sagt die Menschenrechtlerin Al-Atrash. Es sei darum gegangen, die Frauen zu schützen, lautet eine Theorie. Atrash hat eine andere Erklärung: Ziel sei es gewesen, das Problem rechtlich zu verklausulieren, um es auf diese Weise gesetzlich anzuerkennen. In der Konsequenz hieß das nichts anderes, als dass der Vergewaltiger rechtlichen Schutz genießt.
Die Rechtslage in anderen arabischen Ländern
Eine andere Rechtslage gilt in Marokko. Dort sieht das Gesetz für Vergewaltiger eine Haftstrafe zwischen fünf und 20 Jahren vor. In dem nordafrikanischen Staat können Vergewaltiger schon seit dem Jahr 2014 nicht mehr auf Straffreiheit hoffen, wenn sie ihr Opfer nach der Tat heiraten. Die damalige Gesetzesreform folgte auf den Fall der damals 16 Jahre alten Marokkanerin Amina Filali. Nach einer Vergewaltigung musste die junge Frau im Jahr 2012 ihren Peiniger heiraten. Daraufhin nahm sie sich durch die Einnahme von Rattengift das Leben. Der Selbstmord löste inner- und außerhalb Marokkos Bestürzung und Wut aus. Menschenrechtsorganisationen schalteten sich ein und forderten eine Änderung des entsprechenden Gesetzes.
Auch im Libanon ist Bewegung in die entsprechenden Gesetzesvorgaben gekommen. Mitte April stellten Aktivisten am Strand von Beirut Hochzeitskleider aus. Auf diese Weise wollten sie Abgeordneten der Nationalversammlung dazu ermutigen, für die Aufhebung des Artikels 522 des libanesischen Strafgesetzbuches zu stimmen. Auch dieser Paragraph sieht vor, dass der Vergewaltiger sein Opfer heiraten muss - gewissermaßen als "Entschädigung". Zwar existieren keine Statistiken, die entsprechende Fälle erfassen. Doch vor allem in den ländlichen Regionen des Libanon hat diese Regelung noch Gültigkeit. "Eine Frau muss jeden Tag damit rechnen, vergewaltigt und dann gezwungen zu werden, ihren Peiniger zu heiraten", sagt Alia Awada. Sie leitet die entsprechende Kampagne von "Abad" ("Distanz"), einer Gesellschaft, die sich für die Abschaffung des Artikels 522 einsetzt.
Opfer werden auch juristisch verfolgt
Anders liegt der Fall in Saudi-Arabien. Das Königreich hat kein Strafgesetzbuch. Entsprechende Verbrechen werden durch das Islamische Gesetz, die Scharia, geregelt. Bisherige Strafen reichten von Auspeitschung bis hin zur Todesstrafe. Findet das Verbrechen allerdings an einem Ort statt, an dem Frauen sich nicht aufhalten dürfen, wird auch das Tatopfer bestraft.
Auch im Sudan sieht das Gesetz harte Regelungen für die Opfer vor. Zeigt eine Frau eine Vergewaltigung an, muss sie selbst mit Strafverfolgung rechnen. Sie muss beweisen, dass der Akt gegen ihre Zustimmung vollzogen wurde. Gelingt ihr das nicht, muss sie mit einer Anklage rechnen.
Auch in Tunesien besteht weiterhin eine Rechtsprechung, die für einen Vergewaltiger Straflosigkeit vorsieht, wenn er sein Opfer heiratet. Zwar hat der Internationale Gerichtshof eine Empfehlung ausgesprochen, den entsprechenden Artikel 227 des Strafgesetzbuches aufzuheben. Aber von 100 politischen Parteien stimmten nur 32 der Empfehlung zu - mit der Folge, dass der Artikel immer noch in Kraft ist.
Gesetzesänderung ist erst der Anfang
Nun hoffen Menschenrechtsaktivisten, dass die Gesetzesänderung in Jordanien auch Reformen in anderen arabischen Ländern anstößt. "Allerdings gibt es noch eine Reihe weiterer Gesetze, die die Rechte der Frauen untergraben", sagt die jordanische Frauenrechtlerin Amal Dschabr al-Atrash. Würde darum das Gesetz zum Schutz von Vergewaltigern aufgehoben, wäre das ihrer Einschätzung nach nur der erste von vielen weiteren Reformschritten.