Durchbruch beim EU-Gipfel in Brüssel
27. Oktober 2011"Die Welt hat heute auf uns geschaut, und wir haben gezeigt, dass wir die richtigen Schlüsse gezogen haben", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, als die Ergebnisse der Marathon-Beratungen in Brüssel am frühen Donnerstagmorgen (27.10.2011) bekannt wurden. Der Schuldenschnitt für Griechenland von 50 Prozent, der "Haircut", wie auch die Kanzlerin es nannte, war dabei nicht das einzige Ergebnis.
Ziel des EU-Gipfels war ein effektives Gesamtpaket gegen die Schuldenkrise. Dazu gehören auch die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF und eine bessere Kapitalausstattung der Banken. Die Botschaft: "Europa schützt die von der Krise bedrohten Staaten." Adressaten dieser Botschaft: Märkte, künftige Investoren und die EU-Länder selbst.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy betonte, wie wichtig die Entscheidungen seien. Die Komplexität der Themen und die Notwendigkeit, eine Vereinbarung für alle zu treffen, hätten zwar zu sehr langen Verhandlungen geführt, erklärte Sarkozy. "Aber ich glaube, das Resultat wird von der ganzen Welt als Erleichterung aufgenommen, die auf starke Entscheidungen der Euro-Zone gewartet hat."
Doch der Weg dahin war schwer. Größtes Problem: Der Schuldenschnitt. Zäh verhandelten die Vertreter Griechenlands mit den Bankenvertretern des Institute of International Finance (IIF) parallel zum EU-Gipfel: Wie viele Schulden sollten erlassen werden und unter welchen Bedingungen? Die Banken wehrten sich lange Zeit dagegen und vor allem gegen die damit verbundenen Verluste.
Zähes Ringen um den Schuldenschnitt
Um den Druck auf die Geldinstitute zu erhöhen, stießen schließlich auch Kanzlerin Merkel, der französische Präsident Sarkozy, EU-Ratspräsident Herman van Rompuy und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, zum Verhandlungsmarathon mit den Banken. Der eigentliche Euro-Gipfel wurde unterbrochen.
Gegen halb vier am Morgen gab es erste Gerüchte. Und dann die Bestätigung: Die Banken verzichten freiwillig auf 50 Prozent ihrer Forderungen. "Nur so kann der Schuldenstand von 120 Prozent auf der Basis der Annahmen der Troika im Jahre 2020 erreicht werden“, erklärte Merkel. Ansonsten wäre das gesamte Rettungspaket in Gefahr gewesen. Bis 2014 sollen Griechenland noch einmal 100 Milliarden Euro an Krediten zur Verfügung gestellt werden.
Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou drückte seine Hoffnung aus, dass jetzt – buchstäblich – ein neuer Tag anbreche. Er dankte allen Griechen für ihre Opfer, ohne die Griechenland bereits im Mai 2010 pleite gewesen wäre: "Heute können wir die Rechnungen des Landes mit der Vergangenheit abschließen, um nunmehr uneingeschränkt all unsere Kräfte dem Heute, Morgen, der Zukunft des Landes zu widmen." Ohne die Last der Vergangenheit könne man jetzt in ein Land und eine Zeit des Aufschwungs eintreten, der auf den eigenen Kräften Griechenlands basiere, sagte Papandreou. Er betonte die Bedeutung des Rettungspakets auch für die griechischen Banken.
Ein Hebel für den EFSF
Eine Einigung erzielten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone auch über die Aufstockung des Euro-Rettungsschirms EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). Auf bis zu eine Billion Euro sollen die Mittel des aktuell 440 Milliarden Euro schweren EFSF vervielfacht werden. Dazu soll er "gehebelt" werden. Auf welche Weise dies geschehen soll, war in der Nacht allerdings ungeklärt.
Eine Variante dieses Hebels ist, eine Art Teilkasko-Versicherung durch den EFSF zu etablieren. Der Euro-Rettungsschirm haftet dann für etwa zwanzig Prozent des Ausfallrisikos, wenn Investoren Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen. Die andere Variante ist, einen oder mehrere Fonds mit EFSF-Bonds und Einzahlungen privater Investoren einzurichten. Mit deren Hilfe könnte man wiederum mehr Geld am Markt mobilisieren. Auch Mischformen dieser Varianten seien möglich, erklärte Merkel. Durch diese beiden Optionen könne die Maximierung der Schlagkraft des EFSF erreicht werden. Aber die Kanzlerin räumte auch ein: "Es ist sehr schwer, heute, ohne die Instrumente jemals angewendet zu haben, schon sagen zu können, was das dann wirklich bedeutet." Trotzdem glaube man, viel Flexibilität zu haben und so den Euro schützen sowie Ansteckungsgefahren vermeiden zu können.
Puffer für die Banken
Die Rekapitalisierung der Banken war zuvor in der ersten Verhandlungsrunde von allen 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen worden. Mit dieser Nachricht trat der polnische Ministerpräsident Donald Tusk als amtierender EU-Ratsvorsitzender bereits am Mittwochabend als erster vor die versammelte internationale Presse. Wie erwartet sollen systemrelevante europäische Banken verpflichtet werden, ihre Kernkapitalquote auf neun Prozent zu erhöhen. Es geht um etwa 106 Milliarden Euro zusätzliches Kapital, schätzt die europäische Bankenaufsicht EBA. Durch diese Verpflichtung sollen die Banken für mögliche Krisen in größeren Euro-Ländern gewappnet sein. Im Zuge der Verhandlungen hatten zwei der wichtigsten von der Euro-Krise bedrohten Länder, nämlich Italien und Spanien, Sanierungsprogramme angekündigt. Der Gipfel begrüßte den Willen Italiens, gegen seinen hohen Schuldenstand vorzugehen. Die Beschlüsse der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi müssten jetzt aber auch umgesetzt werden, sagte EU-Ratspräsident Van Rompuy.
Kanzlerin Merkel verwies zudem auf eine Reihe von Vereinbarungen im Hinblick auf engere Zusammenarbeit und Vertragsänderungen. Neben regelmäßigen Euro-Gipfeln werde man eine Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten umsetzen, dass Schuldenbremsen in den Verfassungen festgeschrieben würden.
Autorin: Daphne Grathwohl, Brüssel
Redaktion: Martin Schrader/Marko Langer