Die Krisenkanzlerin
27. Oktober 2011Am Tag danach sind in Berlin überwiegend wohlwollende Stimmen zu vernehmen. Die Kanzlerin habe einen guten Job gemacht, das Paket sei stimmig. Der meiste Zuspruch kommt natürlich aus der Unionsfraktion, wo von einem wichtigen Schritt zur Stabilisierung des Euro, von weitgehend durchgesetzten Positionen und von den Führungsqualitäten der Kanzlerin die Rede ist. In die Zufriedenheit der Christdemokraten mischt sich aber auch ein wenig Erleichterung. War Angela Merkel doch in den vergangenen Monaten nicht nur daheim, sondern auch auf europäischer Ebene Zögern und Zaudern vorgeworfen worden. Nicht nur skeptische Gemüter unkten schon, dass von dem zweigeteilten Gipfel in Brüssel wohl auch nicht viel zu erwarten sei.
Nun reibt sich so mancher die Augen. Über Nacht sind Maßnahmen beschlossen, über die Wochen, nein Monate gestritten wurde, die zum Teil als undurchsetzbar galten. Griechenland wird die Hälfte seiner Schulden erlassen und der Privatsektor, also Banken und Versicherungen müssen sich an dieser Entschuldung beteiligen. Schaffen sie das nicht alleine, muss es zuerst nationale Hilfe geben, ehe Europa mit seinem Rettungsschirm einspringt. Die EFSF erhält dafür aber keine Banklizenz, wie es die Franzosen unbedingt durchsetzen wollten. Hilfen für Schuldenstaaten soll es nur unter strengen Auflagen geben, für Sparprogramme und Reformen wurden sogar schon Zeitlinien ausgehandelt, siehe Italien. Die europäischen Verträge sollen geändert werden und zwar schnell.
Deutschland als Entscheider?
Ist das wirklich vor allem das Werk der deutschen Bundeskanzlerin? Romano Prodi, der frühere Präsident der EU-Kommission, soll es mal so formuliert haben: Es sei mittlerweile so, dass "die Lady die Entscheidungen trifft und der französische Präsident anschließend eine Pressekonferenz gibt, um die Entscheidungen zu erklären". Sicher, Deutschland ist die stärkste Wirtschaftskraft in Europa und Deutschland trägt den größten Teil der finanziellen Lasten, die diese Schuldenkrise mit sich bringt. Aber das allein kann nicht der Grund für das Ergebnis der langen Nacht in Brüssel sein. In Berliner Regierungskreisen wird das Ganze mit einer glücklichen Fügung erklärt. Beginnend mit dem vergangenen Mittwoch, als der französische Präsident Nicholas Sarkozy überraschend nach Frankfurt gekommen war, habe es eine Abfolge von Treffen im kleineren Kreis gegeben, die so gar nicht geplant waren, aber in ihrer Summe so effizient und ergiebig gewesen seien, dass es am Ende in einer Nacht gelingen konnte, die verschiedenen Stränge zusammenzuführen und zu einem Entschluss zu kommen.
Einer dieser kleinen Kreise ist die sogenannte Frankfurter Runde. Bei der offiziellen Verabschiedung von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hatten die Bundeskanzlerin, der französische Präsident, IWF-Chefin Christine Lagarde, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und natürlich EZB-Präsident Trichet erstmals in dieser Zusammensetzung getagt. Sarkozy hatte mit seinem unangekündigten und dramatischen Auftauchen - immerhin lag zeitgleich in Paris seine Frau in den Wehen - versucht, vor allem die Kanzlerin emotional zu überrumpeln. Doch die hatte sich nicht beeindrucken lassen.
Stählerne Konstitution
Das hätte Sarkozy aber eigentlich wissen müssen. Wenn Merkel eins ist, dann kaum zu beeindrucken. Manche nennen ihre Art auch stoisch. Nach außen ruhig, beherrscht, unauffällig und mit eisernem Lächeln, in der Sache aber beharrlich und unnachgiebig. Dazu mit einer stählernen Konstitution gesegnet. Wer kann schon von sich behaupten, dass er mit vier bis fünf Stunden Schlaf pro Nacht auskommt und sein Schlafbedürfnis, wenn es darauf ankommt, auch ganz unterdrücken kann? Das wird Merkel in der Nacht zum Donnerstag geholfen haben, als es darauf ankam, den Gipfel doch noch zu einem Erfolg werden zu lassen. In die zähen Verhandlungen mit den Banken griffen sie und Sarkozy gemeinsam mit den Spitzen der EU-Institutionen sogar persönlich ein. "Wir haben nur ein einziges Angebot gemacht", sagte Merkel später. "Das war unser letztes Wort."
Klingt ein wenig so, als habe Merkel inzwischen aber auch einfach keine Lust mehr gehabt, die Diskussion noch länger weiterzuführen. Die Kanzlerin selbst würde es wahrscheinlich anders formulieren. Die Dinge müssten immer eine gewisse Reife erlangen, bevor man entscheiden könne, hat sie mal gesagt. Da spricht die Naturwissenschaftlerin. Physikalische Versuchsreihen erfordern bekanntlich auch viel Geduld, analytisches Verständnis und das Gefühl dafür, wann man sie unterbrechen oder abschließen sollte. In Brüssel ist ihr der Versuch jedenfalls gelungen.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Diana Hodali