"Frauen-Unterdrückung steht im Widerspruch zum Koran"
3. März 2006
Auch unter muslimischen Migranten gibt es solche Bemühungen schon länger. Die Debatten um einen "Euro-Islam" oder die Werke verschiedener Muslime in europäischen Ländern sind Beispiele dafür. In den USA tun sich vor allem muslimische Frauen mit Reformideen hervor, wie Amina Wadud, die in einer New Yorker Moschee ein Gebet leitete, oder die aus Pakistan stammende Politikwissenschaftlerin Asma Barlas, die in ihrem Buch die traditionell männliche Auslegung des Koran kritisiert. Ihr Buch heißt "Gläubige Frauen im Islam - Patriarchale Interpretationen des Koran". Es gehe um unterschiedliche Wahrnehmungen eines heiligen Textes, sagt sie - und vor allem um die Frage, warum die Mehrzahl der Muslime weltweit den Koran stets als patriarchalischen Text lesen.
Keine Rechte für geschiedene Frauen
Asma Barlas fing vor vielen Jahren in ihrer Heimat Pakistan an, darüber nachzudenken. Es war ihre eigene Ehe-Scheidung, die sie zu dem Schluss kommen ließ, dass da etwas nicht richtig verstanden werde. Denn bei der Trennung wurde ihr bewusst, dass sie so gut wie keine Rechte hat. "Ich wurde sensibler gegenüber dem Fakt, dass die überwältigende Mehrheit der (muslimischen) Frauen, die Eheprobleme haben, von ihren Ehemännern aus dem Haus geworfen und ihnen ihre Kinder weggenommen werden können", sagt Barlas. Männer könnten ihnen auch die Bezahlung jeglicher Entschädigung verweigern. "Es gibt eine ganze Reihe unterdrückerischer Praktiken gegenüber Frauen, die für mich zutiefst in Widerspruch stehen mit dem, was der Koran lehrt", fügt sie hinzu.
Interpretation wichtig
Den Grund für diese unterschiedliche Lesart, dachte Barlas, müsse im historischen Kontext gesucht werden, in dem das heilige Buch der Muslime interpretiert wird. Diese Herangehensweise, betont sie, bedeute aber nicht, dass sie die Gottgegebenheit, die Heiligkeit des Koran anzweifelt, sagt die gläubige Muslimin. " Der Sinn des Textes ist nicht aus sich selbst heraus zu verstehen. Jemand muss ihm einen Sinn geben. Ich weise darauf hin, dass der Koran 1400 Jahre lang ausschließlich von Männern - und immer in patriarchalischen Gesellschaften - interpretiert wurde", erklärt Barlas.
Sie bezeichnet sich nicht als Feministin. Trotzdem hält sie die Stärkung des Selbstbewusstsein muslimischer Frauen für notwendig - und ihren Kampf für eigene Rechte für unvermeidlich. Nur so könne die dominierende rein männliche Lesart des Koran überwunden werden.
Wenig Wissen über den Islam in den USA
Muslimische Frauen, meint Barlas, benötigten mehr Zugang zu alternativen Interpretationen religiösen Wissens. In den USA, wo sie lebt, trägt sie selbst zur Entwicklung solcher Alternativen bei. Asma Barlas schätzt ihre neue Heimat, in die sie 1983, auf der Flucht vor dem putschenden pakistanischen General Zia ul Haq, als politischer Flüchtling kam. Bis dahin hatte sie im auswärtigen Dienst Pakistans gearbeitet - bis sie den General kritisierte. Heute mache sie sich keine Illusionen mehr, sagt sie. In den USA habe sie ausreichende Möglichkeiten, jene Arbeiten voranzutreiben, die sie in einem repressiven Land wie Pakistan eben nicht möglich wären. Zugleich, so Asma Barlas, merke sie jedoch, wie wenig die Amerikaner nach wie vor vom Islam und vom Nahen Osten verstünden. "Als ich anfing, am Ithaca College über den Nahen und Mittleren Osten zu lehren, musste ich sehr schnell feststellen, dass die meisten amerikanischen Studenten die Politik in Nahmittelost kaum verstehen. Auch weil sie nichts über den Islam wissen", sagt sie.
Diese Erkenntnis brachte Asma Barlas letztlich dazu, sich mit dem Islam auch wissenschaftlich zu beschäftigten. So kam ihr bald die Idee, ein Buch zu schreiben. Sie betont aber, dass sie keine Islamwissenschaftlerin ist: "Ich bevorzuge zu sagen, dass ich eine Studentin des Islam bin. Denn meine Ausbildung ist weder eine in Islamwissenschaften, noch eine in Theologie gewesen. Ich studiere die Religion als Muslimin."
Kritik von vielen Seiten
Fast immer stoße ihre Arbeit und ihre Gedanken auf großes Interesse - und sogar auf Zustimmung, sagt die muslimische Wissenschaftlerin. Ebenso wie auf heftige Proteste - nicht immer nur von Männern. Die bisher schärfste Kritik kam ausgerechnet von christlich-amerikanischer Seite. Der einflussreiche Kommentator Robert Satloff nannte Barlas in der New York Times "eine Stimme, die gegen uns spricht", also gegen die USA. Der Grund war in diesem Fall, dass Asma Barlas auch als entschiedene Kritikerin der Außenpolitik von US-Präsident George W. Bush auftritt.
In ihrem nächsten Buch soll es wieder um Religion gehen - genauer: um die Wahrnehmung des Unterschiedlichen, des Fremden, des Anderen. Gerade hier sei der Koran sehr facettenreich und vorbildlich, meint Asma Barlas - auch wenn westliche Islam-Kritiker und radikale Islamisten unisono das Gegenteil behaupteten.