„Für freie Journalisten gibt es keine Unantastbaren“
27. Mai 2019DW-Intendant Peter Limbourg überreichte die Auszeichnung am Abend im Rahmen des Global Media Forum im World Conference Center. Hernández erhält den Preis für ihren herausragenden Einsatz für die Meinungsfreiheit und ihren Kampf gegen Korruption, Vertuschung und Straffreiheit in ihrem Heimatland. Die Laudatio hielt der britische Journalist und Buchautor Misha Glenny.
„Ich stehe heute hier, bin unter Ihnen. Aber in den fast zehn Jahren, in denen ich Drohungen ausgesetzt war, sind mehr als 100 Journalisten in meinem Land hingerichtet worden als Folge ihrer Arbeit“, sagte Hernández in ihrer Dankesrede. „Wir Journalisten leben in der gewalttätigsten Zeit der jüngeren Geschichte“, beklagte die Preisträgerin.
In vielen Ländern „ist die Demokratie und sind die Freiheiten bedroht, die wir uns so mühevoll erkämpft haben“. Vielfach seien es „nicht mehr die Bürger, die täglich über ihr Schicksal entscheiden, sondern Gruppen, die Tag für Tag mehr politische, wirtschaftliche, technologische und soziale Macht bündeln. Sie arbeiten im Rahmen des Legalen und des Illegalen“, sagte Hernández. Organisierte Kriminalität gebe es nicht nur in mexikanischen Drogenkartellen, „sondern auch außerhalb Mexikos in Unternehmen, Banken und Börsen“.
Diese Gruppen liebten „die Dunkelheit, das Undurchsichtige“, nur so erreichten sie ihre Ziele. „Es ist unsere Aufgabe als Journalisten, herauszufinden, was sie tun, wie sie es tun, warum sie es tun und wer ihre Komplizen sind“, sagte die Preisträgerin. „Bei unzähligen Gelegenheiten gelangen wir an die Wahrheit, zu der weder Staatsanwälte noch Richter vordringen, denn oft sind diese, vor allem in Ländern wie Mexiko, von diesen Machtgruppen abhängig.“
„Wir stehen noch immer und verschaffen uns Gehör“
Die Mächtigen schafften es oft, der Justiz zu entkommen, so Hernández. „Aber nicht entkommen können sie dem unabhängigen, beharrlichen, präzisen Journalismus. Sie wollen unantastbar sein, doch für freie Journalisten, freie Medien gibt es keine Unantastbaren“, so die Preisträgerin. „Deshalb bringen sie uns um. Deshalb diese Jagd auf unabhängige Journalisten und Medien.“
Sie rief dazu auf, die weltweite Zusammenarbeit von Medienschaffenden zu verstärken. Dafür brauche man Regeln, gemeinsame Interessen, flexible Plattformen. „Niemand hier will in Angst leben, aber sich in Schweigen zu hüllen ist auch kein Leben“, sagte Hernández.
Der Preis gelte nicht ihr persönlich, er gelte den ermordeten Journalisten „und all jenen, die Tag für Tag ihren Job machen, mit Moral und Ausdauer“. Die Preisträgerin: „Sie wollen, dass wir tot sind, dass wir zum Schweigen gebracht werden – aber wir stehen noch immer und verschaffen uns Gehör.“
DW-Intendant Peter Limbourg sagte: „Anabel Hernández' Berichterstattung über Korruption und die Drogenkartelle ist ein beeindruckendes Beispiel für mutigen investigativen Journalismus. Wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen, die trotz der persönlichen Gefährdung weiter nach der Wahrheit suchen, schützen und unterstützen.“
„Die Preisträgerin ist ein wandelndes Wunder“
Laudator Misha Glenny, Autor des Bestsellers „McMafia“ und ehemaliger Korrespondent von The Guardian und BBC, würdigte Anabel Hernández als „eine jener couragierten Analysten, die aufgedeckt haben, wie sich Staatsbedienstete ebenso illegal am Drogenkrieg bereicherten wie die Kartelle“. Die Preisträgerin habe „diese Verstrickungen und die Gier, die dieses dämonische Netzwerk antreibt“, in unzähligen Artikeln und zahlreichen Bestsellern offengelegt.
Das Schwerwiegendste aber sei, so Glenny, dass „dieses Blutvergießen in Mexiko, das Elend, das sich Anabel Hernández zu dokumentieren gezwungen sieht, vor allem Folge einer gescheiterten Politik ist, maßgeblich gesteuert aus Washington D.C., gewissenhaft umgesetzt von Regierungen in Mittel- und Südamerika“. Angesichts der Gefahren, denen Journalisten gerade hier ausgesetzt seien, sei die Preisträgerin so etwas wie ein „wandelndes Wunder“. Dieses Wunder bestehe schlicht in dem Umstand, „dass sie noch unter uns weilt“, so Glenny.
Abgesehen von der Akribie, mit der sie ihre Recherchen betreibe, pflege Anabel Hernández einen sehr eleganten Schreibstil. „Sie bekämpft Ungerechtigkeit sowohl mit Wahrheit als auch mit Schönheit“, sagte der Laudator im alten Plenarsaal des Deutschen Bundestags.
Anabel Hernández und „Los Señores del Narco“
Anabel Hernández, 1971 in Mexiko geboren, schreibt als anerkannte Investigativjournalistin über Regierungskorruption, Drogenhandel und sexuelle Ausbeutung. Motiviert und angetrieben, wie sie sagt, nicht zuletzt durch das Schicksal ihres Vaters; er wurde im Jahr 2000 in Mexiko-Stadt entführt und ermordet. Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt.
International bekannt wurde Hernández durch ihren 2010 erschienenen Bestseller „Los Señores del Narco“ (englische Fassung: „Narcoland“) über die Verbindungen hochrangiger mexikanischer Regierungsvertreter und der Drogenkartelle des Landes. Nach Morddrohungen musste sie 2015 Mexiko verlassen. Seither lebt sie im Exil, mittlerweile in Europa.
Im Herbst 2018 erschien ihr Buch über die nicht aufgeklärten Morde an 43 Studenten im mexikanischen Bundesstaat Guerrero im Jahr 2014 in englischer Übersetzung („A massacre in Mexico: The true story behind the missing forty-three students“).
Erste Frau unter den Preisträgern
Anabel Hernández ist die erste Frau unter den Preisträgern. Seit 2015 verleiht die Deutsche Welle den Freedom of Speech Award an eine Person oder Initiative, die sich in herausragender Weise in den Medien für Menschenrechte und Meinungsfreiheit engagiert.
Ausgezeichnet wurden bisher der in Saudi-Arabien weiterhin inhaftierte Blogger Raif Badawi (2015), der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung Hürriyet, Sedat Ergin (2016), die US-amerikanische White House Correspondents’ Association (2017) sowie der iranische Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam (2018). Verliehen wird der Freedom of Speech Award jeweils im Rahmen des Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn.
Bei der zwölften Ausgabe der internationalen Medienkonferenz im World Conference Center Bonn diskutieren seit Montag rund 2.000 Gäste aus 140 Ländern über das diesjährige Fokusthema „Shifting powers“.