Trotz Rezession soll die Entwicklungshilfe fließen
30. Januar 2009Die Entwicklungsländer und die Schwellenländer würden von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen werden, sagt die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) in ihrer jüngsten Prognose voraus. 200 Millionen Menschen könnten zusätzlich unter die Armutsgrenze von zwei US-Dollar Tageseinkommen rutschen, warnt die Organisation in Genf. Die Erfolge der letzten zehn Jahre bei der Armutsbekämpfung würden damit ausradiert.
Die Millenium-Ziele der Vereinten Nationen zur Halbierung der ärgsten Armut erlitten einen herben Rückschlag, wenn die Staaten der Erde nicht schnell radikale Maßnahmen ergriffen, so der Direktor der ILO Juan Somavia. Die Entwicklungsländer würden vor allem an der sinkenden Nachfrage aus den Industriestaaten und den versiegenden Handelsströmen leiden. In dieser Situation bräuchte man eigentlich ein Nord-Süd-Konjunkturprogramm, glaubt die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Sie forderte in Prag einen "Global Deal".
Mehr Geld muss bereitgestellt werden
"Das bedeutet Investitionen, Investitionen, Investitionen", so Wieczorek-Zeul. Und auch die Finanzierung und Mobilisierung von zusätzlichen Mitteln. Jetzt müsse man auch den Steueroasen endlich einmal die Basis austrocknen und die zusätzlichen Mittel, die dort mobilisiert werden, sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern einsetzen.
Die Europäische Union will an ihren gegebenen Zusagen zur Steigerung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2015 festhalten – trotz Rezession in den Geberländern. Die Entwicklungsländer dürften nicht alleine gelassen werden, die verschiedenen Gremien der Industriestaaten und Schwellenländer, G8 und G20, würden zur Koordination nicht ausreichen, meinte die deutsche Ministerin im Interview mit Euranet.
Viele Entwicklungsländer fühlten sich übergangen
"Es gibt natürlich viele Entwicklungsländer, die sagen, die G 192 sind das nicht. Und deswegen geht es darum ein effizientes Gremium zu haben, das gleichzeitig handlungsfähig und repräsentativ ist", so Wieczorek-Zeul. Die Schaffung eines UN-Sicherheitsrates für ökonomische und soziale Fragen sei ihres Erachtens eine aktuelle Notwendigkeit.
Auch der EU-Kommissar für Entwicklung, Louis Michel, hatte eine Art "Weltregierung" angeregt. Die meisten Staaten seien bereits dafür, sagte er. Beim nächsten Gipfel der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer im April wolle die Europäische Union einen Vorstoß wagen. "Das wird kein internes Programm zur Belebung der Wirtschaft sein, sondern ein internationaler Plan, der den Entwicklungsländern helfen soll. Das ist eine extrem wichtige Entscheidung."
Wer Probleme macht, muss sie auch wieder lösen
Protektionismus dürfe es nicht geben, fordern die Entwicklungshilfeminister. In früheren Rezessionsphasen sind die Leistungen für Entwicklungshilfe allerdings um ein Viertel zurückgegangen und die privaten Investitionen in Entwicklungsländern schrumpften um ein Drittel.
Das dürfe diesmal nicht geschehen, sagt die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. "Das ist eine Frage der Menschlichkeit. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist aber auch eine Frage unseres aufgeklärten Eigeninteresses", so die Ministerin. Denn was sollten Entwicklungsländer denken, die nicht verantwortlich seien für die Finanzkrise, die nicht verantwortlich seien für die Klimakrise? Wenn sie die Folgen tragen sollten und zusätzlich noch dramatisch betroffen seien, mache dies deutlich, warum Handeln angesagt sei.
Versäumnisse bei der Entwicklungshilfe
Schon vor Ausbruch der Finanzkrise hatten nicht alle EU-Staaten die Stufenpläne zur Aufstockung ihrer Entwicklungshilfe eingehalten. Großbritannien, Frankreich und Italien haben ihre Ausgaben zurückgefahren. Zurzeit zahlen die EU-Staaten rund 0,35 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes als Entwicklungshilfe.
Im Jahr 2007 hatten alle Geberländer zusammen etwa 80 Milliarden Euro an staatlicher Entwicklungshilfe gezahlt. Das ist genau die Summe, die ein einziger EU-Staat, nämlich Deutschland, jetzt für seine Konjunkturprogramme aufwendet. Das Konjunkturprogramm der EU insgesamt soll 500 Milliarden Euro umfassen.