Erdogan und Gül - Zwei Wege zur Macht
7. Juli 2013
Die beiden mächtigsten Männer in der türkischen Politik, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül, trotzen den anhaltenden Protesten in der Türkei auf sehr unterschiedliche Weise. Während die Popularität von Ministerpräsident Erdogan stark abgenommen hat, verdiente sich der langjährige politische Verbündete Gül mit seinem moderaten und konstruktiven Ton sogar Anerkennung.
Eine kürzlich durchgeführte Umfrage der türkischen Umfrageinstituts MetroPOLL ergab, dass Erdogans Beliebtheit im letzten Monat um sieben Prozent abgerutscht ist - auf 53,5 Prozent. Fast zwei Drittel der Befragten (72,5 Prozent) sagten, dass sie Staatspräsident Gül von allen Politikern am meisten schätzten.
"Der Staatspräsident war schon immer beliebter als der Ministerpräsident", sagte Ozer Sencer, Leiter des MetroPOLL, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Grund: Seine Entscheidungen beträfen nicht unmittelbar das tägliche Leben der Menschen, seine Aufgaben seien eher zeremoniell. Ein zweiter wichtiger Aspekt seiner Meinung nach: Erdogan bedient sich oft einer harschen Sprache, während Gül ein moderater Rhetoriker sei. Auch das beeinflusse die Leute.
Wahlurne versus Straßenprotest
Sedat Bozkurt ist Journalist, spezialisiert auf den politischen Islam und die derzeitige türkische Regierungspartei AKP. Er glaubt, dass die Unterschiede zwischen den beiden Männern auch durch die Gezi-Park-Proteste vergrößert wurden. "Was wir bei den Protesten gesehen haben ist: Während Gül Demokratie als einen partizipativen Prozess begreift, reduziert Erdogan sie auf den Gang zur Wahlurne."
Während der landesweiten Proteste gegen die türkische Regierung im vergangenen Monat hatte Ministerpräsident Erdogan die Demonstranten scharf kritisiert und zum Wahlgang statt zum Straßenprotest aufgerufen. Staatspräsident Gül betonte dagegen, dass es in der Demokratie "nicht nur um Wahlen geht." Diese unterschiedlichen Aussagen haben Spekulationen angeheizt: Analysten fragen sich nun, ob damit die Weichen für einen Wettbewerb für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im August 2014 gestellt wurden.
Hinter verschlossenen Türen
Medienberichte über eine wachsende Konkurrenz zwischen Erdogan und Gül wurden bislang von Erdogans Anhängern vehement bestritten und als "Komplott" bezeichnet. Trotz allem: Es gibt Anzeichen, die genau darauf hindeuten. So versuchten Erdogans engste Mitarbeiter im vergangenen Jahr eine Verfassungsänderung zu erwirken, um Güls Chance auf eine zweite Amtszeit als Staatspräsident zu verhindern. Der Versuch scheiterte und derzeit ist unklar, ob Gül überhaupt eine zweite Amtszeit anstrebt. Auf der anderen Seite zeigen seine jüngsten Medien-Kampagnen, dass er auch lange nach 2014 noch politisch aktiv sein möchte.
Bozkurt glaubt, dass es Ministerpräsident Erdogans langjähriger Wunsch war, das politische System der Türkei in ein Präsidialsystem zu verwandeln und der erste direkt gewählte starke Präsident zu werden. "Die Proteste im Gezi-Park haben Erdogan jedoch gezeigt, dass er diese Pläne aufgeben muss, da ihm die Unterstützung für eine Verfassungsänderung fehlt", so der Journalist weiter.
Erdogan wird wohl im nächsten Jahr, wenn die Wähler zum ersten Mal ihren Präsidenten direkt wählen können, für das Amt des Präsidenten kandidieren. Dies scheint seine einzige Chance zu sein. Denn nach derzeitigen Bestimmungen ist für Erdogan eine vierte Amtszeit als Premierminister nicht möglich.
"Ich halte die Möglichkeit einer offenen Konfrontation, oder sogar eines Rennens zwischen Gül und Erdogan auf die Präsidentschaft für höchst unwahrscheinlich", so Bozkurt. Nach Bozkurt ist "das wahrscheinlichste Szenario derzeit, dass Erdogan auf die Präsidentschaft im Jahr 2014 setzt und Gül Premierminister und Anführer der AKP im Jahr darauf wird". Diese Lösung könnte zwar die Spannungen zwischen den beiden zwar kurzfristig lösen, was aber nach 2015 geschieht, bleibe abzuwarten.