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Entsetzen über Missbrauch im Schwimmsport

19. August 2022

Der frühere Top-Wasserspringer Jan Hempel wurde nach eigenen Worten 14 Jahre lang von seinem Trainer missbraucht. "Athleten Deutschland" fordert weitere Aufklärung.

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Tokyo 2020 | Synchronspringen  Tina Punzel und Lena Hentschel
Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

"Das ekelt mich an", sagt Karla Borger, Präsidentin den Vereins "Athleten Deutschland", über die neuen Missbrauchsvorwürfe im deutschen Schwimmsport. Sie sei "erschüttert", so Borger. Die 33 Jahre alte Beachvolleyballerin spielte bei der Europameisterschaft in München und hätte sich wahrscheinlich gerne zu hundert Prozent darauf konzentriert. Doch als Athletenvertreterin wird sie eben auch mit Themen wie den schweren Vorwürfen des früheren Top-Wasserspringers Jan Hempel konfrontiert. Es müsse weiter aufgeklärt werden, fordert Borger, auch darüber, "was im Hintergrund passiert".

Der ehemalige Weltklasse-Wasserspringer Hempel hatte in einer ARD-Dokumentation berichtet, dass er von seinem elften Lebensjahr an von seinem damaligen Trainer Werner Langer sexuell missbraucht worden sei, insgesamt 14 Jahre lang. 2001 hatte sich Langer das Leben genommen. Hempel warf Verantwortlichen beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV) vor, von dem Missbrauch gewusst, aber nichts unternommen zu haben. Namentlich nannte er Lutz Buschkow, seit 20 Jahren Chefbundestrainer der deutschen Wasserspringer.

"Personen, die schweigen, betreiben Institutionen- und damit Täterschutz", sagt Maximilian Klein von "Athleten Deutschland" der DW. "Teilweise denken sie auch, ihr Handeln würde weiteren Schaden von den Betroffenen abwenden. Manchmal sind es Abhängigkeitsverhältnisse oder enge Beziehungsgeflechte, die den Mitwissenden das Gefühl geben, machtlos zu sein, und die damit Aufklärung verhindern."

Buschkow suspendiert

Der DSV stellte Bundestrainer Buschkow nach Bekanntwerden der Vorwürfe "bis zur finalen Klärung des Sachverhaltes" von seinen Aufgaben frei. Buschkow war bei der Schwimm-EM in Rom im Einsatz. Man nehme ihn "aus dem Feuer hier raus, was aber zunächst mal eine Unschuldsvermutung darstellt", sagte Verbandspräsident Marco Troll der ARD: "Wir sind schockiert über diese Inhalte, die wir heute zum ersten Mal in dieser Form überhaupt gehört haben."

Jan Hempel mit seiner Olympischen Silbermedaille von Atlanta 1996
Jan Hempel mit seiner Olympischen Silbermedaille von Atlanta 1996Bild: Gero Breloer/dpa//picture-alliance

Wassersprung-Rekordeuropameister Patrick Hausding kritisierte das Vorgehen des Verbands. "Man kann ihm nicht die Verantwortung in die Schuhe schieben, das ist nicht fair. Er hatte überhaupt keine Entscheidungsgewalt", sagte Hausding, der im vergangenen Mai seine Karriere beendet hatte. "Er war als Trainer in dem Moment ein kleiner Teil des Systems." Auch er, so Hausding, sei geschockt gewesen, als er von Hempels Aussagen gelesen habe: "Die Vorfälle sind schrecklich, Jan Hempel sollte gehört werden. Ich verstehe aber nicht, warum er es erst 25 Jahre später öffentlich macht."

Vom Ausmaß erschlagen

Ex-Wasserspringer Heiko Meyer, viele Jahre lang Partner Hempels im Synchronspringen, sagte, sein Freund habe ihn eingeweiht. "Ich wusste, dass das passiert ist. Aber in was für einem Ausmaß - das hat mich auch erschlagen", sagte Meyer. Hempel sei ihm gegenüber "nie ins Detail gegangen".

Für Karla Borger wird es "höchste Eisenbahn", dass das von "Athleten Deutschland" vorgeschlagene unabhängige "Zentrum für Safe Sport" gegründet wird, eine unabhängige Anlaufstelle für Opfer sexualisierter Gewalt im Sport und Beratungsinstanz für Vereine.

Es brauche "eine Art Gewaltenteilung mit unabhängigen Strukturen", ergänzt Maximilian Klein. "Allein und aus sich selbst heraus kann dem Sport ein effektiver Kampf gegen Gewalt und Missbrauch nicht gelingen. Dafür herrschen im System zu viele Interessenkonflikte, Abhängigkeitsverhältnisse, abgeschottete Strukturen oder familiäre Näheverhältnisse. Zu oft kann oder will nicht gehandelt werden, wird Betroffenen nicht geglaubt, versanden Hinweise oder folgen unzureichend Konsequenzen."

Hempel: "Es muss etwas passieren"

In den vergangenen Jahren hatte es in Deutschland auch in anderen Sportarten Missbrauchsskandale gegeben, etwa im Judo. Weltweit ist sexualisierte Gewalt im Sport ein Problem. Das zeigten unter anderem die Enthüllungen im US-Turnen oder im Fußball EnglandsAfghanistans und Haitis.

"An die Stelle der Kultur des Schweigens muss eine Kultur des Hinsehens, des Erkennens und des Handelns treten", fordert Klein. "Bis das in die Fläche und damit in die letzte Turnhalle des Landes getragen ist, wird Zeit vergehen. Das erfordert lange und schmerzhafte Entwicklungsprozesse in Vereinen und Verbänden."

Jan Hempel hofft nach eigenen Worten, dass er "einen Stein ins Rollen gebracht" hat: "Es muss einfach was passieren."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter