1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sextortion: Sexueller Missbrauch im Sport

Kalika Mehta
24. Mai 2022

In einer Studie von Transparency International wird deutlich, dass "Sextortion" immer noch verbreitet ist. Prominente Fälle von sexuellem Missbrauch im Sport zeigen, dass die Probleme tiefgreifend sind.

https://p.dw.com/p/4Bjun
Ukraine | Gymnastik 2018
Bild: Jaap Arriens/NurPhoto/picture alliance

"Sextortion" ist im internationalen Sport immer noch ein großes und beunruhigendes Thema. Dies zeigt der jüngste Bericht von Transparency International (TI). Bei einer Umfrage unter Athletinnen und Athleten in Deutschland, einem von vier Ländern neben Rumänien, Mexiko und Simbabwe, in denen diese Studie durchgeführt wurde, gaben etwas mehr als 30 Prozent der Befragten an, mindestens einmal sexualisierte Gewalt im organisierten Sport erlebt zu haben.

Obwohl die jüngsten Fälle in Sportarten wie Gymnastik und Fußball das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs deutlich skizzieren, wird in der Sportwelt nach wie vor kaum über das Problem berichtet. "Sextortion" wird dabei als eine Form der sexuellen Ausbeutung und Korruption beschrieben, die auftritt, wenn Menschen in Machtpositionen versuchen, sexuelle Gefälligkeiten im Austausch für etwas zu erpressen, das in ihrer Macht steht, wie etwa Unterzeichnung eines Vertrags mit einem Verein oder die Teilnahme an wichtigen Turnieren. 

Dynamik der Macht

"Mir ist aufgefallen, dass der Sportsektor alle Voraussetzungen mitbringt, um das Problem der Sextortion aufrechtzuerhalten", sagt Marie Chene, Leiterin der Forschungsabteilung von Transparency International, gegenüber DW. "Das Machtgefälle ist enorm, denn viele Kinder befinden sich in einer prekären Situation. Die Beziehungen zwischen Trainer*innen und Athlet*innen sind oft aufgrund der Natur des Sports sehr eng, emotional und körperlich. Die Beziehung kann in manchen Fällen über die Karriere entscheiden und das schafft ein gefährliches Umfeld".

Chene: "Sport könnte gutes Vehikel sein"

Simone Biles war eine von mehreren Turnerinnen aus den USA, die über sexuellen Missbrauch berichteten. Aufgrund der relativ neuen Definition von "Sextortion" stützte sich der Bericht von Transparency International auf Statistiken über sexuellen Missbrauch im Sport, der weltweit in allen Sportarten weit verbreitet ist. Ein wichtiger Grund für die Entscheidung von TI, die aktuelle Situation rund um "Sextortion" in der Sportwelt unter die Lupe zu nehmen, war die Überzeugung, dass die Sport-Industrie die Macht habe, eine Grundlage für echte Veränderungen schaffen zu können.

Turnerin Simone Biles im Zeugenstand bei der Anhörung zum Missbrauchsfall um Larry Nassar in den USA
Turnerin Simone Biles bei der Anhörung zum Missbrauchsfall um Larry Nassar in den USABild: Graeme Jennings/Pool/AP/picture alliance

"Wir sind der Meinung, dass dem Sportsektor eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung von Werten zukommt", erklärt Chene. "Im Prinzip geht es beim Sport um soziale Gerechtigkeit, um Fairness und um Leistung." Die Wissenschaftlerin erklärt weiter: "Wenn sexueller Missbrauch, der einer der beiden Komponenten von Sextortion ist, im Sport vorkommt, untergräbt dies den Auftrag, den die Sportwelt hat. Der Sport ist sichtbar, und wenn wir dieses Thema sichtbar machen und Sextortion als eine Form der Korruption anerkennen wollen, dann könnte der Sportsektor ein gutes Vehikel dafür sein."

Obwohl viele der untersuchten Fälle zeigten, dass beide Geschlechter von "Sextortion" betroffen waren, bestätigte der Bericht auch, dass die Täter bei sexuellem Missbrauch überwiegend Männer sind.

Ungleichheit der Geschlechter

Der Anteil der männlichen Missbrauchstäter lag in den verschiedenen Studien zwischen 96 und 100 Prozent. TI kritisiert eine "hyper-maskuline Kultur". In Verbindung mit der mangelnden Gleichstellung von Sportlerinnen in Bezug auf Bezahlung und Sichtbarkeit sowie der geringen Anzahl von Frauen in Machtpositionen in Organisationen, wird das Problem dadurch nur noch verstärkt.

Missbrauch im Sport (Symboldbild) - Füße auf einem Barren bei den Gymnastics British Championships 2018 in England
Bei Missbrauchsfällen im Sport zählen hauptsächlich Männer zu den TäternBild: Laurence Griffiths/Getty Images

"Der Frauensport hat nicht den gleichen Stellenwert wie der Männersport", so Chene. "Es gibt ein enormes geschlechtsspezifisches Lohngefälle, eine sehr geringe Vertretung von Sportlerinnen sowie wenige Frauen in Führungs- und Leitungsfunktionen.“ Es gäbe ein 'old boys network', sagt Chene, "in dem alte Männer jahrzehntelang in Machtpositionen bleiben und keinen Anreiz haben, den Status quo zu ändern. So dass sich das System selbst aufrechterhält."

Sylvia Schenk, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International Deutschland, erklärte in einer Stellungnahme: "Von der Chinesin Peng Shuai, deren mutmaßlicher Übergriff durch einen hochrangigen Regierungsbeamten vertuscht wurde, bis hin zur US-Amerikanerin Kylie McKenzie, die keine Chance mehr hat, an Wettkämpfen teilzunehmen, nachdem sie von ihrem Verbandstrainer langfristig belästigt und missbraucht wurde - viel zu viele haben mit den Folgen eines sexistischen und ausbeuterischen Systems zu kämpfen."

Nicht einmal die Hälfte der Sportverbände reagiert

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat 2010 mit der Verabschiedung der Münchener Erklärung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport versucht, dies zu ändern, ist aber gescheitert. Zu den 15 Maßnahmen der Erklärung gehören die Prävention von sexueller Gewalt als Pflichtthema in der Sportausbildung und die Verabschiedung eines Ethikkodexes. Neun Jahre später ergab eine Studie, dass weniger als die Hälfte der nationalen Sportverbände die Prävention von sexuellem Missbrauch in ihre Statuten aufgenommen hatten.

Vorbeugung an erster Stelle

Das Ergebnis zwang den DOSB, die öffentliche Finanzierung der Verbände von der Annahme dieser Präventionsmaßnahmen abhängig zu machen. Zudem behindern die unzureichenden Meldesysteme für Sportorganisationen weiterhin Fortschritte bei der Bekämpfung und Verhinderung von sexuellem Missbrauch.

Bild vom Hauptsitz des Deutschen Olympischen Sportverbandes in Frankfurt
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordert Veränderungen zum Thema "Sextortion"Bild: Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

"Um Missbrauch nicht länger zu ermöglichen, müssen Sportorganisationen und Regierungen handeln", so Schenk weiter. "Die erste Verteidigungslinie besteht darin, Missbrauch zu verhindern, bevor er geschieht, und zwar durch eine transparente Kultur, starke Präventionsmaßnahmen, einschließlich Aufklärung über Sextortion und anderen sexuellen Missbrauch sowie über die weiteren Auswirkungen von Sexismus."

"Sextortion" muss ernst genommen werden

Der Bericht enthält eine Reihe von Empfehlungen, wobei TI zum ersten Mal im Zusammenhang mit "Sextortion" den Schwerpunkt auf die Prävention legt. Obwohl es sich bei vielen Vorschlägen um langfristige Maßnahmen handelt, bekräftigte Chene die dringende Notwendigkeit eines raschen Wandels.

"Während unserer Recherchen haben wir so viele Horrorgeschichten gehört, so viele zerstörte Träume", sagte sie. "Es geht nicht nur um den sexuellen Missbrauch, sondern auch darum, wie Berichte über den sexuellen Missbrauch aufgenommen und Überlebende zum Schweigen gebracht werden."

Chene fügte in ihrer Erklärung hinzu: "Es ist an der Zeit, die Kultur des Schweigens und der Straffreiheit für alle Formen des Missbrauchs im Sport zu ändern. "Sportorganisationen, Regierungen und die Zivilgesellschaft müssen den Missbrauch ernst nehmen und jetzt handeln, um Sextortion zu stoppen."

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Klein