Ein dichterisches Kammerspiel
5. Mai 2005Es ist eine Art "Kammerspiel mit Goethe" im Originalton daraus entstanden, in dem es um das alltägliche Leben der beiden größten deutschen Dichter geht, um ihre Krankheiten und ihr Verhältnis zur ihrer Dichtkunst und zum Theater. Denn so bekannt die beiden Dichter und ihre Stücke sind, so wenig kennt man ihr Privatleben. Vor ihrem Briefwechsel beispielsweise mochten sich die beiden nur wenig.
Angewidert hat Schiller einst gesagt: "Öfters um Goethe zu sein, würde mich unglücklich machen. (…) Ich betrachte ihn wie eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muss, um sie vor der Welt zu demütigen."
Goethe hat daraufhin gekontert: "Schiller ist ein kraftvolles, aber unreifes Talent. (…) Alle Versuche, von Personen, die ihm und mir gleich nahe stehen, lehne ich ab, und so leben wir nebeneinander fort."
Aus der Ferne zur Freundschaft
Bis zum 20. Juli 1794 sollte das auch so bleiben. Nach einer Sitzung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena allerdings kamen der damals 34-jährige Friedrich Schiller und der 44-jährige Johann Wolfgang von Goethe doch miteinander ins Gespräch. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Schiller: "Wissen Sie, Goethe, lange schon habe ich, obgleich aus ziemlicher Ferne, dem Gang Ihres Geistes zugesehen, und den Weg, den Sie sich vorgezeichnet haben, mit immer erneuerter Bewunderung bemerkt. Sie suchen das Nothwendige der Natur, aber Sie suchen es auf dem schweresten Wege, vor welchem jede schwächere Kraft sich wohl hüten wird."
Goethe: "Schiller, Sie ziehen da mit freundschaftlicher Hand die Summe meiner Existenz. Und muntern mich durch Ihre Teilnahme zu einem emsigeren und lebhafteren Gebrauch meiner Kräfte auf. Reiner Genuß und wahrer Nutzen kann nur wechselseitig sein, und ich freue mich, Ihnen gelegentlich zu entwickeln: was mir Ihre Unterhaltung gewährt, wie ich von jenen Tagen an auch eine Epoche rechne, und wie zufrieden ich bin, ohne sonderliche Aufmunterung, auf meinem Wege fortgegangen zu sein, da es nun scheint als wenn wir, nach einem so unvermutheten Begegnen, mit einander fortwandern müßten. Alles was an und in mir ist werde ich mit Freuden mittheilen. (…) Wie groß der Vortheil Ihrer Theilnehmung für mich sein wird, werden Sie bald selbst sehen, wenn Sie, bei näherer Bekanntschaft, eine Art Dunkelheit und Zaudern bei mir entdecken werden, über die ich nicht Herr werden kann, wenn ich mich ihrer gleich sehr deutlich bewußt bin. Aber … wie steht es mit Ihnen, Schiller?"
Schiller: "Mein Verstand wirkt eigentlich mehr symbolisirend, und so schwebe ich, als eine Zwitterart, zwischen dem Begriff und der Anschauung, zwischen der Regel und der Empfindung, zwischen dem technischen Kopf und dem Genie. Dieß ist es, was mir, besonders in frühern Jahren, sowohl auf dem Felde der Speculation als der Dichtkunst ein ziemlich linkisches Ansehen gegeben; denn gewöhnlich übereilte mich der Poet, wo ich philosophiren sollte, und der philosophische Geist, wo ich dichten wollte. Noch jetzt begegnet es mir häufig genug, daß die Einbildungskraft meine Abstractionen, und der kalte Verstand meine Dichtung stört. (…) Sie wollten, daß ich von mir selbst reden sollte, und ich machte von dieser Erlaubnis Gebrauch. Mit Vertrauen lege ich Ihnen diese Geständnisse hin, und ich darf hoffen, daß Sie sie mit Liebe aufnehmen."
Das war im September 1794. Schillers Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Nur wenig mehr als ein Jahr später hatte Goethe die Idee zu einem gemeinsamen Werk. Es war die Zeit um den Jahreswechsel 1795/96.
Lesen Sie weiter: Zwei kreative Köpfe für ein Werk
Goethe: "Haben Sie schon die abscheuliche Vorrede Stolbergs zu seinen platonischen Gesprächen gelesen? Die Blößen die er darin giebt sind so abgeschmackt und unleidlich, daß ich große Lust habe drein zu fahren und ihn zu züchtigen."
Beide lachen.
Goethe: "Es ist sehr leicht die unsinnige Unbilligkeit dieses bornirten Volks anschaulich zu machen, man hat dabei das vernünftige Publicum auf seiner Seite und es giebt eine Art Kriegserklärung gegen die Halbheit, die wir nun in allen Fächern beunruhigen müssen. (…) Ich denke gegen Recensenten, Journalisten, Magazinsammler und Compendienschreiber sehr frank zu Werke zu gehen und mich darüber, in einer Vor- oder Nachrede, gegen das Publicum unbewunden zu erklären und besonders in diesem Falle keinem seine Renitenz passiren zu lassen."
Schiller: "Ihr Unwille über die Stolberge und Consorten teilt sich auch mir mit, und ich bin's herzlich zufrieden, wenn Sie ihnen eins anhängen wollen. Indeß, das ist die histoire du jour. Es war nie anders und wird nie anders werden. Seien Sie versichert, wenn Sie einen Roman, eine Comödie geschrieben haben, so müssen Sie ewig einen Roman, eine Comödie schreiben. Weiter wird von Ihnen nichts erwartet, nichts anerkannt (…) Es liegt gewiß weniger an der Neuerung selbst, als an der Person, von der sie herrührt, daß diese Philister sich so dagegen verhärten."
Goethe: "Sie haben Recht, Schiller, man muß sich gegen die Philister wehren. Ich hatte neulich den Einfall Zweizeiler, zu machen, Spottverse wie die Xenia des Martials sind. Vielleicht können wir das cultiviren und eine solche Sammlung in Ihren Musenalmanach des nächsten Jahres bringen. Wir müssen nur viele machen und die besten aussuchen. Ein paar habe ich schon zur Probe geschrieben."
Er kramt in Papierstößen.
Goethe: "Da sind sie ja."
Er liest vor.
Goethe: "Steil wohl ist er, der Weg zur Wahrheit, und schlüpfrig zu steigen, Aber wir legen ihn doch nicht gern auf Eseln zurück."
Sie lachen beide.
Goethe: "Mit hundert Xenien, wie hier ein Dutzend beiliegen (er klopft dabei auf den Tisch), könnte man sich sowohl dem Publico als seinen Collegen aufs angenehmste empfehlen."
Schiller: "Der Gedanke mit den Xenien ist prächtig und muß ausgeführt werden. Ich denke aber, wenn wir das Hundert voll machen wollen, werden wir auch über einzelne Werke herfallen müssen, und welcher reichliche Stoff findet sich da!"
Goethe: "Ich freue mich sehr, daß die Xenien bei Ihnen Beifall finden, und ich bin völlig der Meinung, daß wir weiter um uns greifen müssen. Wie werden sich Charis und Johann prächtig neben einander ausnehmen! Wir müssen diese Kleinigkeiten nur ins Gelag hineinschreiben und zuletzt sorgfältig auswählen. Über uns selbst dürfen wir nur das, was die albernen Bursche sagen, in Verse bringen, und so verstecken wir uns noch gar hinter die Form der Ironie."
Doch es geht zwischen Goethe und Schiller nicht nur um die Kunst. Es geht auch um ganz alltägliche Dinge. Im Frühjahr 1797 zum Beispiel ist Schiller hin und her gerissen zwischen dem Kauf eines Hauses in Jena und dem Umzug nach Weimar.
Lesen Sie weiter: Schiller'sche Alltagsprobleme
Eine Gesellschaft. Im Hintergrund Stimmen, das Klirren von Gläsern.
Schiller: "Ich bin jetzt genöthigt, mich in der Wahl einer Wohnung zu beeilen, da ein Gartenhaus hier zu verkaufen ist, welches mir convenient wäre, wenn ich hier wohnen bleiben wollte. (…) Nun sind aber verschiedene überwiegende Gründe da, warum ich doch lieber in Weimar wohnen möchte, und könnte ich dort eine Wohnung von derselben Art finden, so möcht ich es wohl vorziehen. Nach den Erkundigungen, die ich habe anstellen lassen, wird dieses aber schwer halten. Da Sie neulich von Ihrem Gartenhause sprachen und meinten, es habe Raum genug, so wünschte ich zu wissen, ob Sie es vielleicht für eine längere Zeit entbehren und es mir ordentlich vermiethen könnten."
Goethe: "Mein Gartenhaus stünde Ihnen recht sehr zu Diensten, es ist aber nur ein Sommeraufenthalt für wenig Personen. Da ich selbst so lange Zeit darin gewohnt habe, und auch Ihre Lebensweise kenne, so darf ich mit Gewißheit sagen, daß Sie darin nicht hausen können, um so mehr als ich Waschküche und Holzstall habe wegbrechen lassen, die einer etwas größeren Haushaltung völlig unentbehrlich sind."
Schiller (enttäuscht): "Ich entschließe mich ungern, in Jena sitzen zu bleiben; denn wenn Humboldt erst fort ist, so bin ich schlechterdings ganz allein, und auch meine Frau ist ohne Gesellschaft. Ich will mich doch noch erkundigen, ob das Gartenhaus des Geheimen Rates Schmidt nicht verkäuflich ist; denn wäre es gleich in seinem jetzigen Zustand nicht bewohnbar, so könnte ich es doch, wenn es mein eigen wäre, in Stand richten lassen."
Goethe: "Ich wünsche, daß der Handel mit dem Gartenhaus gelingen möge. Wenn Sie etwas daran zu bauen haben, so steht Ihnen mein Gutachten zu Diensten."
Der kranke Schiller
Im Dezember 1799 konnte Schiller endlich seinen Plan verwirklichen, nach Weimar in die Nähe des Freundes zu ziehen. Doch die Folgen einer nie wirklich überwundenen schweren Erkrankung aus dem Jahre 1791 machten sich jetzt immer öfter bemerkbar. Goethes Sorge um die Gesundheit Schillers wurde im Februar 1085, drei Monate vor Schillers Tod, zu einem festen Bestandteil ihres Gespräches miteinander. Schiller erholte sich damals nur langsam von mehreren heftigen Fieberanfällen.
Goethe (besorgt): "Schiller! Wie geht es Ihnen?!"
Schiller geht langsam auf ihn zu.
Schiller (erfreut): "Goethe!"
Er schweigt, setzt sich dann auf, was ihm hörbar schwer fällt. Er hustet.
Schiller: "Ich habe einen harten Anfall ausgestanden und es hätte leicht schlimm werden können, aber die Gefahr wurde glücklich abgewendet; alles geht nun wieder besser, wenn mich nur die unerträgliche Hitze zu Kräften kommen ließe. (…) Aber wie geht es Ihnen. Sie sehen auch nicht gesund aus."
Goethe: "Er kann's nicht lassen, der Medikus Schiller. (…), wenn ich an Ihre Fieberanfälle denke, will ich nicht klagen. Es scheint doch mit mir vorwärts zu gehen. Wie sieht es mit Ihnen aus?"
Schiller: "Zwar mein jetziger Anfall scheint nur die allgemeine epidemische Ursache gehabt zu haben, aber das Fieber war so stark und hat mich in einem schon so geschwächten Zustand überfallen, daß mir eben so zu Muthe ist, als wenn ich aus der schwersten Krankheit erstünde, und besonders habe ich Mühe eine gewisse Muthlosigkeit zu bekämpfen, die das schlimmste Übel in meinen Umständen ist."
Goethe: "Ich hoffe, Sie sind wenigstens leselustig. Ich habe hier ein tüchtiges Bündel Literatur-Zeitungen und unsre Winckelmanniana etc., die Sie so viel ich weiß noch nicht gesehen haben."
Schiller: "Ich danke Ihnen, Goethe."
Am 9. Mai 1805 starb Friedrich Schiller. Er wurde am 11. Mai 1805 auf dem alten Friedhof der St. Jakobskirche beerdigt. 1827 erfolgte die endgültige Beisetzung in der Fürstengruft zu Weimar. Goethe überlebte ihn um 27 Jahre.