Schillers Schädel
20. Januar 2005
In der Weimarer Fürstengruft befinden sich zwei Schädel, die Schiller zugeschrieben werden: Der eine liegt in dem repräsentativen Eichen-Sarkophag, der am Eingang der Gruft neben dem seines Dichterfreundes Goethe steht. Der andere ruht in einem unscheinbaren Sarg ohne Namenszug. Welcher der "echte" Schiller ist, darüber streiten die Gelehrten.
Von niemandem betrauert
Der Obduktionsbefund nach Schillers Tod beschreibt seinen beklagenswerten Gesundheitszustand: Die Lunge des 45-Jährigen sei brandig, breiartig und ganz desorganisiert gewesen, das Herz ohne Muskelsubstanz, Gallenblase und Milz unnatürlich vergrößert, die Nieren in ihrer Substanz aufgelöst und völlig verwachsen, hatte der Leibmedicus des Weimarer Herzogs attestiert. "Bei diesen Umständen muss man sich wundern, wie der arme Mann so lange hat leben können", so das knappe Fazit des Arztes.
Es war in der Mitternachtsstunde vom 11. auf den 12. Mai 1805, als der "billig gezimmerte Sarg" durch die leeren Gassen Weimars getragen wurde. Im Grufthäuschen des Kassengewölbes auf dem Jakobsfriedhof ließen sie ihn an Seilen in die Tiefe des Sammelgrabes hinab, "bis er Grund, irgendwelchen Grund fand, zwischen anderen Schreinen oder auf ihnen", so schilderte es Thomas Mann in seinem "Versuch über Schiller". "Kein milder Laut von Musik, kein Wort aus Priester- oder Freundesmund" hatten ihn zum Grab begleitet.
Selbst Schillers Weimarer Dicherkollege Johann Wolfgang von Goethe war weder zur Bestattung noch zur Trauerfeier gekommen. Denn er hasste Trauerfeiern und Begäbnisse: Goethe war schon zu den Beerdigungen seiner Eltern nicht hingegangen, und als seine Frau Christiane im Juni 1816 ins Leichenhaus gebracht wurde, lag Goethe "den ganzen Tag im Bett", wie man in seinem Tagebuch lesen kann.
Schädel-Reliquie
Schillers Witwe hatte sich das Sammelgrab nie als endgültige Ruhestätte ihres Mannes gedacht. Sie wünschte sich für ihn ein Einzelgrab, neben dem sie selber einmal bestattet werden wollte. Erst im März 1826 wurde verfügt, dass Schillers Sarg aus der Gruft gehoben werden sollte. Zu der Zeit waren die Särge aber längst geborsten und die Leichen verwest. Außerdem wurden insgesamt 23 Schädel geborgen. Der damalige Weimarer Bürgermeisters Karl Leberecht Schwabe stellte sie auf eine Tafel und rief gleich, auf den größten zeigend: "Das muss Schillers Schädel sein!"
Ein halbes Jahr danach ließ sich Goethe den (vermeintlichen) Totenschädel seines Dichterfreundes in sein Wohnhaus bringen, wo die "heilige Reliquie" auf einem blausamtenen Kissen unter einem mit Silber eingefassten Glassturz über Monate blieb. Nach vorübergehendem Aufenthalt in der Großherzoglichen Bibliothek kam der Schädel im Dezember 1827 mitsamt einiger Gebeine, die man Schiller zuschrieb, in die fürstliche Begräbnisstätte. Dort liegen sie noch heute in einem Eichenholz-Sarkophag.
Echtheit theoretisch feststellbar
1883 stellte der Anatom Hermann Welcker die Echtheit des von Schwabe rein intuitiv bestimmten Schillerschädels in Frage. Die Fachgelehrten stimmten ihm zu, während sich die Laien entrüsteten. Im Jahr 1911 ließ August von Froriep noch einmal 63 Schädel aus dem Kassengewölbe ausgraben. Nach intensiven Studien bezeichnete er einen davon als den echten Schillerschen Schädel. Eine Gutachterkommission der Anatomischen Gesellschaft bestätigte den neuen Fund einstimmig als korrekt. Darum kam 1914 der schlichte Sarg mit dem "zweiten" Schillerschädel in die Fürstengruft.
Ein wissenschaftlicher Nachweis der Echtheit ist nach Ansicht der Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen auch 200 Jahre nach Schillers Tod durchaus noch möglich. Dazu müsste man als erstes aus der Totenmaske ein Positiv des Gesichts herstellen. Wenn dies auf den Schädel passen würde, könne man durch ein Ausschlussverfahren mehr Gewissheit erlangen. Völlig sicher könnte man aber nur sein, wenn man daneben die DNA aus geschützten Arealen des Schädels, etwa aus der Zahnwurzel, extrahieren könnte und Vergleichsmaterial dazu fände: aus der Kleidung, aus irgendeinem Material, das konservierte DNA-Spuren trägt, oder von heutigen Verwandten Schillers. (arn)
Zum Nachlesen:
Albrecht Schöne: Schillers Schädel, Verlag C.H. Beck München 2001, ISBN 3-406-48689-4