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Ein anderes Russland

Ingo Mannteufel10. März 2004

Seit August 1999 bestimmt Wladimir Putin maßgeblich das Schicksal Russlands. Innerhalb von viereinhalb Jahren hat sich Russland stark gewandelt - das zeigt ein Vergleich der Situation von damals mit der von heute.

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Ordnung im renovierten St.PetersburgBild: AP

Von Chaos und Zerfall ...

Russland 1999: Ein von Alter und Krankheiten gezeichneter Präsident Boris Jelzin verliert zunehmend die Kontrolle über den größten Flächenstaat der Erde. Innerhalb weniger Monate verschleißt er mehrere Ministerpräsidenten. Sein Ansehen in der Bevölkerung ist schlechter als schlecht. Die Wirtschaft befindet sich im Dauerniedergang. Armut erfasst immer größere Bevölkerungsschichten. Korruption und Kriminalität grassieren. Nur einige wenige so genannte Oligarchen mit Einfluss im Kreml sichern sich die riesigen Rohstoff-Vorräte des Landes und schaffen die Profite auf ausländische Konten.

Russische Panzer in Tschetschenien
Russische Panzer im Nordkaukasus, 1999Bild: AP

Die Staatsfinanzen und das Finanzsystem stehen vor dem Zusammenbruch. Über Reformen kann kaum gesprochen werden. In den russischen Regionen ignorieren vielfach Provinzfürsten die Beschlüsse Moskaus. Einige unterbinden sogar den innerrussischen Handel wichtiger Lebensmittel. Der letztendlich nicht geregelte Tschetschenien-Konflikt weitet sich mit dem Einmarsch einiger tschetschenischer Kämpfer auf die Nachbarrepublik Dagestan im Nordkaukasus aus. Viele Beobachter sehen Russland im Frühsommer 1999 an der Schwelle zum Staatszerfall.

... zu Stabilität und Ordnung?

Russland Anfang 2004: Präsident Wladimir Putin hat das Land und den russischen Staat fest im Griff. Umfragen zeigen seine hohe Popularität in der Bevölkerung. Das russische Bruttoinlandsprodukt wächst im fünften Jahr in Folge – jährlich um rund fünf Prozent. Auch die Reallöhne vieler Russen steigen, wobei vor allem Moskauer die Gewinner sind. Ein Grund dafür sind die hohen Weltmarktpreise für russische Energieträger wie Öl und Gas, ein anderer die steigende Attraktivität Russlands für ausländische Investoren angesichts politischer Stabilität und liberaler Wirtschaftsreformen: Denn Einkommen werden mit einem einheitlichen Steuersatz von dreizehn Prozent besteuert und ein neues Landgesetz ermöglicht den Kauf und Verkauf von Agrarland.

Die Staatsduma ist gezähmt und loyal gegenüber der Kreml-Führung. Politische Konkurrenten sind weitgehend entmachtet. Alle wichtigen Positionen in Staat und Verwaltung sind mit Putin-Vertrauten besetzt, die meist aus den Geheim- und Sicherheitsdiensten stammen. Den früher widerspenstigen Regionalführern schauen sieben von Putin eingesetzte Generalgouverneure auf die Finger.

Yukos Vorstandschef Michail Chodorkowski vor Gericht in Moskau
Yukos-Besitzer Michail ChodorkowskiBild: AP

Im besonderen Fall Tschetscheniens unterdrückt ein ungezügelter Militäreinsatz im Nordkaukasus separatistische Bestrebungen. Dabei bleiben massive Menschenrechtsverletzungen durch russische Sicherheitskräfte ungesühnt. Dem russischen Großkapital, den so genannten Oligarchen, hat Putin auferlegt, sich aus der Politik rauszuhalten. Wer sich an diese informelle Vereinbarung nicht hält, wird mit der gesamten Macht der Staatsgewalt konfrontiert wie seit Herbst 2003 der reichste russische Unternehmer, der Yukos-Besitzer Michail Chodorkowski. Einstmals kritische Medien wie die TV-Sender NTW oder TW6 sind geschlossen oder stehen unter den Einfluss des Kreml.

Russland am Scheideweg

Einen möglichen Staatszerfall Russlands hat Putin in seiner vierjährigen Amtszeit abgewendet. Seine Forderung nach einem "starken Staat" hat er durchgesetzt und eine "gelenkte Demokratie" geschaffen, die wenig politischen Freiraum bietet. Russland scheint vor der zweiten Amtszeit Putins wieder an einer Schwelle zu stehen, im Unterschied zu 1999 geht jedoch die Gefahr nicht von zu wenig, sondern von zu viel "Ordnung und Stabilität" aus.