Wo Frauenfußball floriert - und wo nicht
29. Juni 2019Lesen Sie diesen Artikel auf Englisch.
Alleine 73 der 552 aktuellen WM-Spielerinnen trainieren bei Vereinen in den USA, wenn sie nicht gerade ihr Nationalteam vertreten. Kein Wunder: Die Umstände sind dort deutlich besser, von der Ausstattung über die Honorare bis hin zur öffentlichen Aufmerksamkeit. Solche Faktoren tragen dazu bei, dass sich die Mehrheit der Spitzen-Fußballerinnen in einigen wenigen Ländern konzentriert.
"Viele Frauen wechseln natürlich das Team, weil sie auf der Suche nach neuen Herausforderungen sind, nach einer Chance, sich zu verbessern", sagt Gitta Axmann vom Institut für Soziologie und Genderforschung an der Deutsche Sporthochschule Köln. Neben sportlichen Gründen geht es bei der Entscheidung oft auch um die Bedingungen, die Spielerinnen vorfinden: Viele Teams schaffen es kaum, Trainer oder Reisekosten zu finanzieren, Zugang zu Stadien oder simpler Ausrüstung wie Schuhe und Bälle zu gewährleisten.
Die US-amerikanischen Fußballklubs dominieren beständig in internationalen Rankings - was zum Teil daran liegen mag, dass Männerfußball dort nie richtig Fuß gefasst hat, sagt Axmann. "Frauenfußball wird dort als ihr eigener Sport gesehen." Daher müssen die Frauen nicht mit den Männerteams um Aufmerksamkeit wetteifern, wie es anderswo der Fall ist.
Das jamaikanische Team: Erstmals qualifiziert, alle spielen im Ausland
Die Spielerinnen einiger WM-Teams sind dagegen fast gänzlich Legionärinnen, also im Ausland unter Vertrag. Beim jamaikanischen Team zum Beispiel, das sich in diesem Jahr zum ersten Mal für eine Weltmeisterschaft qualifiziert hat, trainiert keine der Spielerinnen bei einem jamaikanischen Fußballklub. Die meisten spielen in den USA, manche in Norwegen oder Italien. Das Team, genannt die "Reggae Girlz", ist bereits in der Gruppenphase aus dem Turnier ausgeschieden.
Angesichts der Umstände ist die Qualifikation selbst allerdings bereits eine beeindruckende Leistung. Jamaika hat nur drei Millionen Einwohner - weniger als Berlin - und Fußball ist dort bei weitem nicht der beliebteste Sport. Fehlendes Interesse gegenüber weiblichen Fußballspielerinnen haben es den Reggae Girlz schwer gemacht, eine Fangemeinde aufzubauen. Zudem hat der nationale Verband, die Jamaican Football Federation, das Team bereits mehrfach aufgelöst, weil Geld oder Erfolg fehlten.
In den letzten Jahren haben die Jamaikanerinnen jedoch prominente Unterstützung von Cedella Marley bekommen, der Tochter von Bob Marley. Ihre Initiative brachte dem Team Aufmerksamkeit sowie finanzielle Unterstützung, um die Trainingsbedingungen zu verbessern. Geld ist jedoch noch immer eine Hürde für die Spielerinnen: "Finanziell ergibt es keinen Sinn", sagte Angreiferin Ashleigh Shim der New York Times. In deren Umfrage gaben manche jamaikanischen Spielerinnen an, durch Fußball im letzten Jahr nur wenige hundert Dollar verdient zu haben, eine verdiente überhaupt nichts.
Nationale Ligen weltweit haben Probleme, Spielerinnen zu halten
In anderen Ländern mag die Situation weniger schwerwiegend sein, doch ähnliche Geschichten finden sich an vielen Orten. In Brasilien, den Niederlanden oder auch in Kanada spielen mehr als die Hälfte des aktuellen WM-Kader als Legionärinnen in anderen Ländern. Oder etwa Nigeria: Alle 23 Spielerinnen sind im Land geboren, doch nur sieben von ihnen trainieren aktuell bei nigerianischen Vereinen. Zum Vergleich: aus dem Kader der deutschen Elf spielen gerade mal zwei Akteurinnen im Ausland.
Diese Fluktuationen finden sich natürlich nicht nur bei den Frauenteams; auch bei den Männern kulminieren die Wechsel in europäische Topligen. Auch bei ihnen ist das ein klarer Indikator dafür, wo Trainingsbedingungen und Finanzen am besten sind.
Im Fall der Frauen ist der Job in einem anderen Land oft weniger eine Frage der Präferenz als eine Frage der Notwendigkeit, sagt Gitta Axmann: "In vielen Ländern können Frauen immer noch gar nicht offen Fußball spielen. Und selbst in Deutschland kenne ich Spitzensportlerinnen, die mit dem Fußball aufgehört haben, weil sie nicht davon leben konnten."
Spielerinnen geben viel auf, um in Top-Ligen zu trainieren
In einem anderen Land zu spielen bedeutet oft auch, Freunde, Familie und Zuhause zurückzulassen. Die französische Verteidigerin Wendie Renard wurde in dem französischen Überseegebiet Martinique in der Karibik geboren. Auf die Frage, was das größte Opfer war, das sie je für den Fußball gebracht hätte, sagte sie der New York Times: "Ich habe meine Familie für Frankreich verlassen, als ich vierzehneinhalb war." Renard spielt derzeit ihre dritte Weltmeisterschaft für Frankreich.
Frankreich, England oder Spanien etwa haben sich in den letzten Jahren zu Top-Zielländern entwickelt. Ein vergleichsweise hohes Budget für Frauenfußball lockt die Spielerinnen an. Ein Land, das sich in den letzten Jahren besonders verbessert hat, ist Spanien - auf nationaler und internationaler Ebene: Das spanische Frauen-Nationalteam hat sich 2015 zum ersten Mal für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Damals spielten nur 21 Spielerinnen für den FC Barcelona, Atletico Madrid und Co.. Inzwischen stehen 51 Spielerinnen aus 12 verschiedenen Nationalteams bei spanischen Vereinen unter Vertrag.
Unterstützung für Frauenfußball macht Spanien attraktiver für Spielerinnen
Es ist schwer, einen spezifischen Grund für diesen Wandel zu bestimmen. Aber Spanien hat, wie einige andere europäische Länder, seine Unterstützung für Frauenfußball in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Die spanische Spielerin Verónica Boquete kann das bestätigen. Sie hat unter anderem für Vereine in Spanien, Deutschland und den USA gespielt, abgesehen von ihrem Auftritt im spanischen Nationalteam bei der WM 2015. "Die Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahre war sehr gut", sagte Boquete der DW.
Das Land sorgte in diesem Jahr bereits für Schlagzeilen, als sich 60.739 Fans das Ligaspiel zwischen Atletico Madrid und dem FC Barcelona im prestigeträchtigen Wanda Metropolitano Stadion ansahen. Für einen solchen Erfolg sei auch die Unterstützung der Männerteams essenziell wichtig, sagt Gitta Axmann: "Alleine eine Investition von Seiten der Männerklubs oder, wie im Fall von Atlético Madrid, die Stadien der Männer zu nutzen, kann ungemein hilfreich sein." Und obwohl Ticketverkäufe und Zuschauerzahlen im Fernsehen insgesamt noch immer zu wünschen übrig lassen, helfen Ereignisse wie diese WM laut Axmann, Frauenfußball in die Köpfe der Öffentlichkeit und, in Folge, auch in die Köpfe von Sponsoren zu bringen.
Die Frauen-Weltmeisterschaft 2019 ist ein Beweis für die positiven Veränderungen, die der Frauenfußball in den letzten Jahren durchmacht. "Wir sehen deutliche Leistungssteigerungen weltweit. England, Schweden oder Deutschland können nicht mehr so einfach durch die Spiele marschieren: Die Teams aus Australien, Asien und Afrika haben sich auf sportlicher Ebene deutlich verbessert." Für Axmann wird dieser Prozess nicht mehr zu stoppen sein.