Ein Spiel, zwei Welten
9. Juni 2019Schon von weitem sind die Trommelschläge zu hören, nigerianische Congas. Eine kleine Gruppe von Fans, die für ihr Team aus Paris angereist sind, hat sich vor dem Stadion in Reims versammelt. Sie singen und tanzen. Eine Frau hat sich die grün-weiße Flagge um die Hüften gewickelt. "Wir sind hier, um unsere Schwestern anzufeuern", erklärt sie. "Unsere Frauen brauchen heute weibliche Unterstützung - nicht nur weibliche," fällt ein Freund ihr ins Wort. "Wir Männer sind auch hier, alle zusammen, Schwestern und Brüder!"
Ihr Team kann jede Unterstützung gut gebrauchen. Dass die Superfalcons, wie die nigerianische Frauen-Fußball-Nationalmannschaft auch genannt wird, es überhaupt zur WM geschafft haben, grenzt an ein Wunder. Im gesamten Jahr 2017 hatten die Frauen keinen Trainer und haben kein einziges Spiel bestritten. "Das war sehr hart", sagt Asisat Oshoala rückblickend.
Die 24 Jahre alte Stürmerin ist der Star der Superfalcons. Drei Mal schon wurde sie als Afrikas beste Spielerin des Jahres geehrt. Im Mai spielte sie mit ihrem Club, dem FC Barcelona, im Champions League Finale und schoss dort als erste Afrikanerin ein Tor. Von ihrem Verband zuhause aber fühlte sie sich lange vernachlässigt. "Wir mussten wirklich viel kämpfen", sagt sie: "Am Ende wir haben es geschafft und einen neuen Trainer bekommen."
Neustart für die Superfalcons
Im Frühjahr 2018 übernahm der Schwede Thomas Dennerby die Nationalmannschaft, ein Trainer mit internationaler Erfahrung. Innerhalb kurzer Zeit stellte er ein neues Team zusammen und führte es im Dezember - mit einiger Mühe zwar, aber erfolgreich - zum Turnier-Sieg beim Afrika-Cup der Frauen, der gleichzeitig die Qualifikation für die WM bedeutete. Anschließend blieben noch sechs Monate, um die Mannschaft irgendwie auf die Endrunde in Frankreich einzustimmen. "Wir sind fast bereit", sagt Oshoala beim Training und lächelt.
Ob sie wisse, unter welchen Voraussetzungen ihre ersten Gegnerinnen aus Norwegen sich auf das Turnier vorbereitet haben? Ja, das wisse sie sehr gut, antwortet Oshoala: "In Norwegen setzen sie sich viel für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein. Das ist super und freut mich sehr für sie."
Norwegen als Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung
Tatsächlich liegen zwischen den beiden Teams Welten. Im November 2017, als sich in Nigeria also schon seit Monaten niemand um die Nationalspielerinnen kümmern wollte, beschloss der norwegische Fußballverband, Frauen und Männer fortan gleich zu bezahlen. Um dies zu ermöglichen, verzichteten die männlichen Nationalspieler freiwillig auf einen Teil ihres Budgets. In der Welt des Frauenfußballs ist dieser Schritt noch immer ungewöhnlich. Auch bei der WM werden die Norwegerinnen immer wieder darauf angesprochen. "Klar sind wir stolz darauf", sagt die Abwehrspielerin Ingrid Moe Wold: "Wir sind ein Vorbild für viele andere."
Und dennoch ist der wichtigsten Spielerin des Landes auch das zu wenig. Ada Hegerberg, im Dezember von der FIFA ausgezeichnet als beste Spielerin der Welt, ist nicht mitgereist zur WM, weil sie sich als Frau im norwegischen Fußball immer noch strukturell benachteiligt fühlt. Auch dazu werden ihre ehemaligen Teamkolleginnen in diesen Tagen viel befragt. Hier sind ihre Antworten aber nicht ganz so geduldig, denn Hegerbergs Haltung finden viele Nationalspielerinnen überzogen. Auch Moe Wold winkt ab: "Ich habe eigentlich keine Lust, noch mehr Energie in das Thema zu stecken."
Echte Gleichberechtigung, das heißt für sie auch, als Sportlerin ernst genommen und nicht auf ihre Rolle als Frau reduziert zu werden. "Nach dem Turnier können wir gerne noch mal darüber reden, was es noch zu tun gibt. Aber jetzt wollen wir uns auf die WM konzentrieren."
Auch die norwegischen Journalisten bei der WM sehen das so. Auf der Pressekonferenz geht es um taktische Details und mögliche Aufstellungen. Niemand stellt eine Frage zum Stellenwert des Frauenfußballs. Die führende norwegische Zeitung Aftenposten veröffentlicht einen langen Artikel darüber, dass die ausländischen Medien die von Hegerberg ausgelöste Diskussion um Gleichberechtigung völlig missverstehen. Auch die Fans vor dem Stadion schütteln den Kopf: "Ich verstehe die Frage nicht", sagt ein junger Mann im roten Trikot. "Warum sollte es einen Unterschied zwischen den Männern und Frauen geben?"
Aufholbedarf in Nigeria
In Nigeria ist dieser Unterschied gewaltig. "Mädchen haben es immer noch schwer, wenn sie Fußball spielen wollen", sagt die Frau mit der grün-weißen Flagge um die Hüften. Vor allem im muslimisch geprägten Norden des Landes sei es für viele Frauen praktisch unmöglich und sie schaut sehr ernst dabei. "Deshalb ist es eben doch wichtig, dass jetzt vor allem nigerianische Frauen aufstehen und die weibliche Nationalmannschaft unterstützen."
Die Unterschiede zwischen den Nigerianerinnen und den Norwegerinnen werden an diesem Abend auch auf dem Platz deutlich. Die beiden Teams treffen im ersten Gruppenspiel aufeinander. Die Superfalcons kämpfen, einzelnen Spielerinnnen gelingen tolle Dribblings und beeindruckende Sprints. Beim Zusammenspiel aber hapert es. Und Abschlüsse gelingen kaum. Schon nach kurzer Zeit bricht ihr System zusammen. Am Ende gewinnen die Norwegerinnen hochverdient mit 3:0.
Fans: "Die Zeit wird kommen."
Oshoala ist deutlich enttäuscht, als sie anschließend vor die Reporter tritt. Sie sammelt sich kurz, lächelt dann wieder und sagt: "Wir werden weiter unser Bestes geben und die Fans unterhalten. Das ist unser Ziel."
Die Fans draußen vor dem Stadion sind damit schon zufrieden. "Alles braucht einen Anfang", erklärt eine junge Nigerianerin. "Auch unsere Zeit wird kommen." Mit ihren Freunden macht sie noch ein Gruppenfoto vor dem hell erleuchteten Stadion, klemmt sich eine der Congas unter den Arm und macht sich auf den Weg zurück nach Paris.