Der Traum von der eSport-Bundesliga
31. Januar 2018"Gänsehaut pur", sagt Cihan Yasarlar. Einer der besten deutschen eSportprofis im Fußball-Simulationsspiel "FIFA" ist gerade in der Zukunft unterwegs. Er stellt sich die Leipziger Red Bull Arena, den schicken Fußballtempel in der Leipziger Innenstadt mit einem Fassungsvermögen von aktuell 42.959 Zuschauern, bis auf den letzten Platz gefüllt vor. Er wäre der Star und sein Gegenüber, sagen wir ein Profi-Zocker von Schalke 04, dem VfL Wolfsburg oder VfB Stuttgart, der Herausforderer. Dann würde virtuell die Post abgehen bevor später an gleicher Stelle die realen Fußballprofis im Stadion auflaufen.
Der 24-jährige Yasarlar träumt von einer offiziellen Teamliga parallel zur analogen Fußball-Bundesligasaison. Wenn also bei den echten Fußballern gekickt wird, soll es Woche für Woche virtuell das gleiche Duell geben. Unrealistisch sind solche Ideen nicht, bestätigt Felix Falk. Der Geschäftsführer von "game", dem Verband der deutschen Games-Branche, geht mit Blick auf die nordamerikanische Basketball-Liga NBA und die Asien-Spiele 2022, bei denen eSports erstmals eine offizielle Disziplin werden soll, sogar noch einen Schritt weiter: "Um die digitale Generation zu erreichen, öffnen sich immer mehr Wettbewerbe dem digitalen Sport. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch beschleunigen."
Dynamik im Nischenmarkt
Keine Frage, in der kleinen Fußball-Nische des weltweit wachsenden eSport-Marktes ist richtig Dynamik. Auch wenn sich für Yasarlar seit seinem Wechsel vom FC Schalke 04 zu RB Leipzig im vergangenen Sommer noch nicht wirklich viel verändert hat. Zu Hause ist er weiterhin in Berlin-Neukölln und pendelt nur gelegentlich die 200 Kilometer in die ostdeutsche Metropole. Meistens für PR-Termine. Von der Infrastruktur, die der Bundesliga-Emporkömmling in den vergangenen Jahren für seine Kicker aufgebaut hat, profitiert Yasarlar erst seit wenigen Wochen. Im Dezember hat der Berliner erstmals im Leipziger Trainingszentrum Leistungstests absolviert. Dazu hat er von einem Athletiktrainer Trainingspläne und von anderen Experten Ernährungstipps bekommen. Sogar vor die Konsole hat er einige Spieler bekommen. Sein Urteil: "Diego Demme war stark. Bernardo und Kevin Kampl müssen aber noch ein wenig trainieren."
Auf Timo Werner freut er sich bei einem seiner nächsten Besuche noch besonders, denn der soll wiederum "ziemlich gut" sein. Aber echte Konkurrenten, die findet Yasarlar unter den Kickern ohnehin nicht: "Gerade im 1:1 merkst du sofort den Unterschied." Dennoch lässt er sich von den realen Kickern gerne inspirieren - so nutzt der eSportler oft die von Ralph Hasenhüttl kultivierte 4:2:2:2-Formation, um seine Gegner auszukontern. "Wenn ich auf dem Rasen eine Formation sehe, die ich noch nicht gespielt habe, dann versuche ich es auch bei FIFA umzusetzen. Und gezielt schaue ich mir auch das Verhalten von Einzelspielern an."
Kaum Transfereffekte
Umgekehrt sieht Yasarlar kaum Transfereffekte für zockende Profis. "Höchstens, was Laufwege und Passstafetten angeht. Aber zur Vorbereitung auf den nächsten Gegner empfehle ich eher, dass sie sich Youtube-Clips anschauen sollten." Für die Macher des vom Getränkehersteller Red Bull geförderten Vereins in Leipzig ist Yasarlar eine Investition in die Zukunft: In einem Beitrag der "Süddeutschen Zeitung" heißt es, der 24-Jährige verdiene einen "niedrigen sechsstelligen" Betrag im Jahr. Mit ihm soll das Thema Fahrt aufnehmen. Und mit eSportlern will RB die junge Zielgruppe der 13- bis 30-Jährigen besser erreichen. Denn bislang hat der Fußball-Bundesligist Rasenballsport Leipzig, so bestätigt es uns ein Unternehmenssprecher auf Grundlage einer Studie, mit die ältesten Fans in Deutschland.
In diese Kerbe haut auch der ehemalige Trainer und DFB-Sportdirektor Robin Dutt, der inzwischen als Berater im Bereich eSports tätig ist: "Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn die Unter-30-Jährigen bald nicht mehr ins Stadion kommen", so Dutt. "Junge Leute leben heute in einer anderen Welt, fast einer Parallelwelt. Da müssen wir alle über den Tellerrand hinausschauen."
Größere Freiheiten
Und so darf Yasarlar auch Dinge tun, für die es ein Kicker des Klubs sicher auf die Finger bekommen hätte. Beim Interview im Presseraum des Trainingszentrums regt der Berliner forsch an, daraus einen eSport-Raum zu machen: "Wenn ich mal Lust habe, könnte ich vorbeikommen, um meine Spiele hier zu machen. So etwas wird kommen. Denn bei RB legt man viel Wert auf bestmögliche Bedingungen." Das Selbstbewusstsein eines kommenden Stars bringt er jedenfalls schon mal mit.
Yasarlars Traum eines vollen eSport-Stadions soll innerhalb von zwei, drei Jahren wahr werden, glaubt er. "Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die anderen Bundesliga-Vereine einsteigen."